4 Kapitel

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Es war ziemlich unbequem, da auf dem Boden unter den Büschen. Wird das jetzt immer so sein? Werde ich ab jetzt mein ganzes Leben unter Büschen schlafen und hoffen dass mich keiner umbringt? Irgendwann schlief ich wohl trotz meiner Angst ein, wobei ich einige Stunden später von der ersten U-Bahn geweckt wurde. Was sollte ich heute tun? Mir fiel auch nach längerem überlegen nichts ein. Nach einiger Zeit schnappte ich mir aus langeweile mein Handy. Mist! Akku leer. Bevor ich schon wieder anfing zu fluchen stand ich lieber auf und schnappte mir mein Zeug. Ich fuhr wie aus Gewohnheit zum Plärrer, und dann nach St. Leonhard. Ich lief den Weg, von dem ich so viele Jahre nur den Boden kannte, weil ich immer auf diese Schuhe schaute. Zum ersten Mal sah ich ihn aus dieser Perspektive, zum ersten Mal sah ich die Häuser und die Umgebung. Da! Dort war es geschehen. Dort hatte mein Pech begonnen. Dort hatte mich mein bester und einziger Freund einfach im Stich gelassen. Was er wohl gerade tat? Wo er gerade war? Ich hoffte ihm nicht zu begegnen, denn darauf hatte ich gerade überhaupt keine Lust. Ob er sich wohl entschuldigen würde? Warscheinlich eher nicht. Oder doch? Ich werde es warscheinlich eh nie erfahren. Ach Mist! Jetzt wollte ich ihn irgendwie doch ganz gern noch ein letztes Mal sehen.

Ohne es zu merken war ich bereits im Hundepark an unserer üblichen Bank angekommen. Ich setzte mich. Mein Zeug legte ich neben mich. Anscheinend war ich immer hier im Park etwas naiver als sonstwo, denn ich wusste doch genau, wie viele Kriminelle es hier anscheinend geben sollte. Vorallem war es noch einigermassen dunkel, so dass man es noch fast unter Nacht einordnen konnte, denn es brachen erst die ersten Sonnenstrahlen aus dem dichten Nebel der herrschte hervor. Ich blickte hoch, sah wie die letzten Sterne verschwanden um dem Tag platz zu machen. Sonnenstrahlen blendeten mich und ich musste blinzeln. Wie viel Uhr es wohl war? Ich war kein grosser Fan von Uhren und würde vermutlich auch nie eine tragen, aber gerade wünschte ich mir eine, nur um mir im klaren darüber zu sein, dass die Zeit überhaupt verging. Bis jetzt hatte ich mich immer auf mein Smartphone verlassen, was absolut immer funktionierte, aber ich hatte auch immer genug Akku gehabt.

"Eeh... Sevi? Bist du das? Oh mein Gott ich glaubs nicht!", rief eine begeisterte Stimme. Oh nein... Das war doch nicht etwa... "Pete, hi.", war meine etwas unglückliche und natürlich äussertst Originelle Begrüssung. Ich zwang mich zu einem Lächeln, was sich als recht schwierig erwies, weil ich ihm am liebsten eine gescheuert hätte. "Warum hast du mich einfach stehen lassen?" Okay, ganz cool bleiben, Sevi... "Ich will doch nicht von den Bullen geschnappt werden! Bist du entwischt?", fragte er mich, als ob er jeden Tag vor der Polizei flüchten würde, was ich ihm aber inzwischen gut zutrauen würde. "Nein. Und weisst du was? Du bist ein verdammtes Arschloch. Du hättest mich ihnen auch auf dem Servierteller präsentieren können! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben! Wegen dir sitz ich auf der Strasse, du Held! Ist das das was du wolltest, hmm? Wegen dir hat Andreas mich rausgeschmissen, wegen dir werde ich in vermutlich zwei Monaten sterben, weil mir das Geld ausgeht!" "Sevi!", unterbrach er mich. "Hätte Alexandra mir nicht siebenhundert..." "Pssssssssst!" "Euro gegeben...", weiter kam ich nicht, denn nun bemerkte auch ich, dass ich gerade etwas sehr, sehr naives getan hatte. Zwei Typen kamen auf uns zu. Wären wir gerade irgendwo anders wäre es ja nichts besonderes, dass zwei Männer auf einem zu laufen, doch hier bekam man gleich ein sehr, sehr schlechtes Gefühl. So schnell ich konnte schnappte ich mir meine Taschen, stand von der Bank auf und rannte davon in Richtung U-Bahn. Die Typen begannen ebenfalls zu rennen, was mich dazu brachte alles zu geben. Ich war nie besonders sportlich gewesen, aber mit all diesen Taschen war ich noch viel langsamer. Brauchte ich alle davon? Nein, nur die mit dem Umschlag. Da hatte ich schon bevor ich mich schlafen gelegt hatte das wichtigste reingetan.

"Da vorn ist er. Siebenhundert! Schnappt ihn euch!", hätten sie vermutlich gesagt, würden sie die deutsche Sprache beherrschen. Da dies aber nicht der Fall war, riefen sie nur irgendwelchen Kauderwelsch, den ich nicht verstand. Ich wollte ihn auch gar nicht verstehen. Ich wollte es nur unbeschadet zur U-Bahn schaffen. Wo war eigentlich Pete? Wie es aussah hatte er sich beim Anblick der Männer aus dem Staub gemacht. Mal wieder hatte er mich im Stich gelassen. Erneut. Ein weiteres Mal. Konnte man denn keinem trauen?

Nun waren sie direkt hinter mir. Was sollte ich tun? Ich tat das vermutlich einzig Richtige, ich liess alles ausser die Tasche mit dem Geld fallen, und rannte so schnell ich konnte weiter der Leopoldstrasse entlang. Sie blieben alle stehen, um das Geld zu suchen, welches ich immernoch bei mir trug. Endlich! Schweinauerstrasse. Ich rannte die Treppen zur U-Bahn runter, und wartete auf die nächste in Richtung Plärrer. Damit sie mich schlechter verfolgen konnten stieg ich dort um, und fuhr mit der U3 weiter zum Rathenauplatz.  Dort setzte ich mich in irgendeine Ecke, um mich erst mal auszuruhen. Ich war total Müde. Ich beschloss etwas zu schlafen, damit ich morgen an der Ost nicht ganz so fertig aussah. Bevor ich allerdings einschlief, dachte ich das erste Mal daran etwas zu essen. Das was Alexandra mir gegeben hatte musste also nun dran glauben. Ich ass es restlos auf, ans trinken dachte ich natürlich auch. War es wohl immer so stressig auf der Strasse? Ich hoffte auf das Gegenteil. Denn lieber sass ich nichts tuend irgendwo am Strassenrand herum, als dass ich von Kriminellen verfolgt zur U-Bahn rennen musste.

Irgendwann beschloss ich dann, mir einen besseren Schlafplatz zu suchen als ich ihn gestern hatte. So streunte ich in der Nähe der U-Bahn Station herum, in der Hoffnung, irgendwas annehmbares zu finden. Es kam mir vor, als ob mich noch mehr Leute als sonst anstarren. War etwas anders als sonst? Sah man mir meine Heimat an?

Ich sah mir die verschiedensten Plätze an, doch keiner schien so richtig zu passen. Am Ende war es eine überdachte Treppe neben einem Spielplatz, welche mir am besten gefiel.

Meine inzwischen ziemlich mitgenommen aussehende Tasche sah aus als wäre sie schon jahrelang mein Begleiter. Ich hoffte sie würde keine Löcher bekommen, sonst würde noch etwas hinausfallen.

Ich setzte mich auf die Treppe, mein Hab und Gut ganz nah an mich gepresst.
Wie wird es nun weitergehen mit mir? Werde ich sterben? Plötzlich überkam mich die Angst. Wie das wohl war? Zu sterben? Zu wissen dass es gleich vorbei sein wird? Und dass keiner dich je vermissen wird?

Warum hatte ich eigentlich Angst? Es konnte ja nicht so schlimm sein, zu sterben. Sonst würden sich nicht so viele Menschen umbringen, wenn der Tod schlimmer als das Leben wäre...
Ich finde jeder Mensch muss für sich selbst entscheiden ob er leben oder sterben will, weil für manche ist das Leben schöner und für manche der Tod. Wer sterben will sollte das auch tun dürfen. Bei solchen Sachen darf man auch mal egoistisch sein und nur an sich selbst denken. Denn dein eigenes Leben ist nur deins. Das einzige was nur ganz allein dir gehört. Da darf dir keiner reinreden. Klar, sie werden dich vermissen doch wenn du für sie wichtig bist werden sie dich gehen lassen. Wenn du ihnen wichtig bist wissen sie dass es dir, wo auch immer du bist nun besser geht als in deinem Leben.

Wie stand es eigentlich mit mir selbst? Warum brachte ich mich eigentlich nicht um? Mich brauchte hier keiner. Und mein Leben war wortwörtlich am Arsch. Warum also nicht... nein! Severin was denkst du dir dabei? Man gibt nicht einfach so auf. Ist halt scheisse gelaufen, klar aber aufgeben? Niemals. Oder doch...?

Warum sollte ich mich nicht einfach gehen lassen? So wäre es doch viel einfacher. Keiner würde sich dafür interessieren. Die Leiche würde irgendwer finden und sich paar Gedanken machen - aber das wars dann auch schon. So viele wie sich hier täglich umbrachten - einer mehr oder weniger wird da nicht auffallen. Das war ich schon immer gewesen. Einer von vielen. Zuerst einer von vielen kleinen Jungs, dann einer von vielen Emos. Und nun? Einer von vielen die auf der Strasse lebten... was war nur aus mir geworden? Was machte die Welt mit mir? Wollte sie mich loswerden? Definitiv.

Mit diesen Gedanken schweifte mein Blick zu einer zerschlagenen Glasflasche am Boden... Ob die scharfen Kanten... Ich schnappte mir eine der vielen Scherben, und pikste damit in meinen Finger. Ein pikantes Stechen liess mich zusammenzucken. Aua! Das Teil war verdammt scharf. Würde es für eine Ader reichen? Vielleicht.

Voller Vorfreude begann ich zu schneiden, mit einem schmerzverzerrten aber glücklichen Lächeln...

Leben auf der Strasse?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt