„Das geht so nicht weiter", hörte ich jemanden.
„Aber er ist doch unser Sohn. Mein Kleiner", diese Stimme kannte ich.
Ich beschloss meine Augenlieder noch ruhen zu lassen.
„Das müssen sie gemeinsam und mit dem Amt regeln. Jedoch denke ich, nach all den Geschehnissen, dass es für ihn besser wäre, hier hin zu ziehen.", dies war sehr wahrscheinlich die Stimme des Arztes.
„Phoenix wird gleich aufwachen, ich würde vorschlagen, ihn erstmal nicht damit zu konfrontieren."
Ich zählte auf zweiundneunzig, dann gab ich ein Räuspern von mir. Langsam öffnete ich meine Lider.
Keine Minute später blickten mich von oben hinab ein Paar Ozean-blaue Augen an – Mamas Augen.
„Hi", gab ich von mir.
„Ach mein Kleiner was machst du nur für Sachen?", entgegnete sie.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Schnell schaute ich weg, ich mochte es nicht, anderen zuzuschauen, wenn sie weinten. Weinen machte einen schwach, schon nur das zusehen einer weinenden Person löste etwas in einem aus und man konnte es nicht kontrollieren. Es ist, als würden die Träne dieser Person auf einen Knopf fallen und dieser Knopf brachte die eigne Bewässerungsanlage zum Laufen.
Mama weinte oft, doch sie weinte nicht wie ich. Ich weinte selten, wie schon gesagt weinen machte einen schwach und das Leben konnte keine Schwächlinge gebrauchen. Mama weinte bei Filmen, meistens ging es darin um krebskranke Kinder. Ich überlege oft, ob sie auch bei diesen Filmen weinen würde, wenn ihr Kind nicht selbst davon betroffen wäre. Doch diese Filme sind voller Lügen. Immer dasselbe; Kind bekam Krebs, Eltern verzweifeln, Eltern lassen sich scheiden, Kind tot.
Mama und Papa sind noch zusammen, sie erfüllen nicht das Klischee, dass irgendwann der Vater mit der Sekretärin fremdgeht und die Mutter im Selbstmitleid versinkt. Wie auch? Papa war selbstständiger Journalist und hatte somit keine Sekretärin, Mama hatte Psychologie studiert und war somit ihr eigener Psychiater. Sie erfüllen auch nicht das Klischee von den Eltern die ihrem Kind ab dem Zeitpunkt, wo die Krankheit entdeckt wurde alle Wünsche erfüllen.
Mit zwölf habe ich es mal versucht; ich lag schon seit längerer Zeit wieder im Kinderkrankenhaus. Die Ärzte hatten mit meinen Eltern gerade über eine neue Behandlungsmethode gesprochen. Mit grossen, bettelnden Augen schaute ich sie an. Scheu nuschelte ich: „Mama, darf ich mir was wünschen?".
Sie antwortete, sie könne mich nicht verstehen, wenn ich so nuschle. Eine weitere Macke von mir. Seit ich denken kann nuschelte ich, sobald ich mich unwohl fühlte. Dies geschah noch dazu öfters als es mir lieb war. Wenn zu viele Menschen um mich rum waren oder mir unangenehme Fragen gestellt wurden. Ich senkte dann den Kopf, kratzte mich am Hinterkopf, biss mir auf die Unterlippe und die Wörter kamen unverständlich aus meinem Mund.
Die einte Krankenschwester beschwerte sich ständig, da ich auf die Frage wie es mir ging, nie eine deutlich ausgesprochene Antwort gab. Zurück dazu, als ich zwölf war.
Ich widerholte mich, doch Mama schaute mich noch immer unverständlich an.
Ich atmete tief durch: „Mama? Können wir, wenn die Therapie fertig ist, ins Disneyland?"
Klassiker ich weiss. Immer der gleiche Wunsch. Doch damals konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als das Biest aus dem Film die Schöne und das Biest zu treffen. Ich mochte das Biest als Kind. Ich war fasziniert, wie er es hinbekam das Mädchen mit seiner Persönlichkeit zu erobern, so dass es voll und ganz vergass wie das Biest aussah. Mama schaute mich nur streng an und meinte, dafür würde das Geld nicht reichen und momentan hätte sie auch keine Zeit.
Einfach, einfach war das Leben damals. Der grösste Wunsch war ein Tag im Disneyland. Und die grösste Enttäuschung, wenn Mama nein sagte. Hätte ich heute noch einen Wunsch frei, ich würde... Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen.
„Phoenix? Wie geht es dir?", der Arzt stand neben meinem Bett.
Ich war es leid, immer dieselben Fragen. Wie geht es dir? Von einer Skala von 1-10 wie stark sind die Schmerzen? Zum Kotzen, denen ging es doch eh nur darum, dass sie ihr Geld bekamen. Je öfters die Therapie nichts nutzte und je öfters die Patienten wieder im Krankenbett lagen, je mehr Geld sprang für sie raus. Ich antwortete trotzdem, dass es mir ganz gut ging. Ich hatte gelernt, wenn man alles gutheisst und zu allem ja und amen sagte kam man schneller wieder raus, als wenn man sich weigerte. Er nickte mir zu und meinte, dass jetzt dann eine Krankenschwester vorbeikommen wird und meine Werte überprüfen wird.
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Somnambulist
Teen FictionEin Geschichte in der es um ein Mädchen geht, dass leben wollte und ein Junge der nichts mehr wollte als endlich von dieser Welt zu verschwinden. Eine Art der Liebe mit einer Prise Sarkasmus