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Sie war schön. Kein Mensch konnte sich ihrem Anblick entziehen. Ich am wenigsten.
Denn ich war ebenfalls schön. Fast so schön wie sie.
Aber interessierte das irgendjemanden?
Natürlich nicht, denn sie hatte das Geld, um ihre Schönheit und ihren äußeren Wert mit teurer Kleidung zu unterstreichen. Ich nicht.
Ihr Name war Paula. Sie war erst letztes Jahr auf unsere Schule gekommen und hatte mir sofort den Titel als Ballkönigin davongeschnappt. Kein Wunder, bei dem Aufgebot an Chanel, in das sie sich gehüllt hatte. Kein Mädchen hätte da mithalten können. Dieser Abend war der schlimmste meines Lebens gewesen. Seitdem hatten wir nie wieder ein Wort miteinander gewechselt.
Wahrscheinlich wusste sie überhaupt nicht, dass ich existierte. Und hoffentlich bemerkte sie nicht, dass ich sie beobachtete. Jede Pause.
Heute ebenfalls. Denn heute hatte sie Geburtstag. Die halbe Klassenstufe drängte sich in ihrer Nähe, um ihr zu gratulieren.
Wie schaffte sie es bloß ständig, die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Ich schaute meine Freundinnen an, als würde ich in ihren Augen die Antwort suchen. Sie erwiderten meinen Blick nicht. Alle starrten sie gierig zu der Schülermasse hinüber. "Hallo?!"
Meine Reaktion war schneller als mein Gehirn.
Aber wenigstens konzentrierten sie sich jetzt auf mich. Ich war wieder die Königin. Der Mittelpunkt meiner Clique. Und genau dieses Gefühl legte ich jetzt in meine Stimme.
"Wollt ihr etwa alle zu ihr gehen?"
Eigentlich erwartete ich gar keine Antwort. Oder zumindest ein empörtes, untergebenes Kopfschütteln. Allerdings rechnete ich nicht mit dem Schulterzucken von Mona und dem schüchternen Nicken von Emily. Die anderen beiden sahen auch nicht so aus, als wären sie anderer Meinung.
"Ist das euer Ernst?"
Komischerweise war ich fast immer die einzige von uns, die redete. Doch gerade war mir das recht egal. Ich meine, die vier einzigen Personen, die sich noch für mich interessierten, waren plötzlich auch in Paulas Bann gezogen worden. Was waren das denn bitte für Freunde? Auf solche Art von Freunden konnte ich gut und gerne verzichten.
Nein. Halt. Natürlich nicht. War ich denn jetzt dumm?
Ohne sie hatte ich niemanden mehr, dessen Königin ich sein konnte.
Ohne sie hatte ich niemanden mehr, der mich toll fand.
Ohne sie war ich einsam.
Innerlich kämpfte ich.
Und schließlich gewann das Aufgeben die Oberhand.
"Also gut, wir gratulieren ihr kurz. Ganz kurz."
Emily strahlte wie ein kleines Kind. Selbstverständlich ging ich vor und stolzierte an den anderen vorbei, die mich keines Blickes würdigten.
Da stand sie nun.
Umringt von unzähligen Ballons und Torten.
Ihre Nägel waren wie immer in einem perfekten weiß lackiert und sündhaft teure Armbänder zierten ihre karamellfarbenen, schlanken Arme. Das honigblond glänzende Haar hatte sie zu einem schlichten Zopf geflochten. Und anders als erwartet war ihr Outfit kein bisschen feierlich. Ganz im Gegenteil. Den hochgeschnittenen Rock, dessen tiefes Dunkelblau einfache, weiße Kreuze zierten, hatte sie schon häufig getragen und der ebenfalls dunkelblaue Pullover mit der mehr als auffälligen Schrift 'CHILL' konnte gar nicht anders als lässig wirken. Was war denn mit ihr los?
Während meine Freundinnen ihr alle höflich ihre Glückwünsche vortrugen, musterte ich sie von oben bis unten. Ihr Lächeln wirkte offen und an ihrer Kleidung klebten kleine Sahneflecken. Jetzt fiel mir auf, dass sie die einzige war, die an alle Kuchen verteilte. War das etwa der Grund, weshalb alle hier waren?
In meinem Kopf passte nichts mehr zusammen. Sie hätte ihr schönstes Kleid tragen und sich von allen feiern lassen sollen. Stattdessen symbolisierte ihr Pulli doch deutlich, dass das für sie keine große Sache war und anscheinend sprangen ziemlich viele darauf an.
Das war also ihr Geheimnis. Einfach cool und freundlich sein.
Ich konnte nicht anders, ich musste etwas davon abhaben.
"Hey, Paula."


Bildergeschichten - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt