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"Wie kommst du darauf, dass ich Blau mag?"
Verdattert sieht sie mich an. So, als hätte ich nicht den Pullover, sondern Mila selbst beleidigt. Was für ein zimperliches Mädchen.
"Ich wollte ja nur helfen."
Plötzlich fangen ihre Augen an, zu verschwimmen. Soll ich Mitleid mit ihr haben?
Ich mustere sie eine Weile und wäge ab, wie ich jetzt reagieren soll.
Einerseits geht sie mir die meiste Zeit auf den Keks und ich hasse diese Farbe wirklich.
Andererseits ist Mila einen ganzen Kopf kleiner als ich, was sie unter Welpenschutz stellt und wenn wir das hier durchziehen wollen, müssen wir zusammenhalten.
Seufzend gebe ich nach.
"Also gut. Es wird wohl nicht anders gehen. Dankeschön."
Ja, trotz meiner Sturheit bekomme ich sogar das letzte Wort irgendwie über die Lippen gepresst.
Wenigstens lächelt sie wieder. Das kann sich eigentlich nur positiv auswirken. .

"Mila aufwachen!"
Verschlafen sieht sie mich an. Als sie erkennt, dass ich es bin, wird so sofort hellwach.
"Geht's los?"
"Ja."

"Wahnsinn, wir haben es geschafft! Mila, wir sind draußen!"
Überglücklich sieht sie mich an.
Ohne zu Zögern nehme ich sie in die Arme. All die Nervenspielchen und Streitigkeiten sind vergessen. Wir haben es geschafft. Sind dem Kinderheim entkommen und endlich frei. Jetzt sind wir auf uns allein gestellt, unabhängig.
Ich hätte nie gedacht, mich so sehr über Milas Anwesenheit zu freuen. Über all die Jahre ist sie für mich wie eine Schwester geworden. Jedes Mal, wenn ich in einer Pflegefamilie gewesen bin, hatte ich kein Heimweh, weil ich mich dagegen gewehrt habe, das Kinderheim als mein Zuhause anzusehen. Aber innerlich habe ich immer eine klitzekleine Sehnsucht verspürt, die mit Sicherheit Mila galt.
"Danke!"
Wir müssen losprusten, weil wir es gleichzeitig sagen.
Ich bin die erste, die sich wieder fängt.
"Nein, mal im Ernst. Ohne deine Hilfe hätte ich das nicht geschafft. Wirklich, danke Mila.".

Im letzten Sommer waren wir viel draußen. Es gab fast jede Woche eine Abschieds- oder Willkommensfete, die unsere Betreuer auf die Festwiese am Wald verlegt haben, weil das Wetter so schön war.
Während einer dieser Feier haben Mila, Lotte und ich uns gemeinsam mit ein paar Jungs aus dem Dorf heimlich vom Rest abgespalten.
Niemand, weder die Betreuer oder die anderen Gäste, noch wir selbst hatten eine Ahnung, worauf wir im Wald stoßen würden.
Keine von uns Mädchen hat mit der kleinen, gemütlichen Waldhütte gerechnet, die wir damals dort entdeckt haben und schon gar nicht haben wir uns erträumen lassen, in dieser Hütte zum ersten Mal geküsst zu werden. Und dann auch noch von mehreren Jungs.
Als wir jetzt wieder in der Hütte ankommen, steht sie natürlich leer. Lotte fehlt. Sie fehlt so sehr.
Wir breiten die Decken, die wir in Vorbereitung hierher geschmuggelt haben, auf dem modrigen Holzboden aus und kuscheln uns eng aneinander. Diese Nacht müssen wir unbedingt noch etwas Schlaf bekommen. Denn morgen geht die Reise weiter. Wohin wissen wir noch nicht. Hauptsache weit weg vom Kinderheim.

"Wir sind frei, Mila!"
Erstaunt sieht sie mich an.
Zugegeben, mein neuer Haarschnitt überrascht mich selbst. Er hätte schlimmer aussehen können. Und es ist wichtig, damit man uns nicht so schnell wiedererkennt. Milas schwarzgefärbte Haare tun mir jedoch weniger leid als die dicken, blonden Strähnen, die ich im Kamin angesteckt habe. Ihre Naturhaarfarbe war eh nicht grade hübsch. Jetzt sieht sie etwas aus wie ein Indianer. "Kannst du mal bitte halten?"
Ohne auf eine Antwort zu warten, drücke ich ihr meinen Rucksack entgegen.
Und dann renne ich los. Das Gras ist hüfthoch und die Luft schön kühl. Alles um uns herum riecht eindeutig nach Freiheit.
Das ist es, wofür es sich zu kämpfen, zu lügen und zu verzeihen lohnt.
Für diese Freiheit leben wir.

"Kate, Frühstück. Wir müssen die Neue begrüßen."
Verschlafen sehe ich Mila an.
"Mila. Ich habe einen Plan."


Bildergeschichten - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt