2. Kapitel (Melissa)

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   Kaum zwei Stunden später wurde ich abermals aus dem Schlaf gerissen. Diesmal war es Mrs. Holmes, die an meiner Bettdecke zupfte.

„Aufwachen, meine Lieben!", flötete sie und schmiss auch Pia aus den Federn, „Wir wollen in einer halben Stunde los, also beeilt euch, ja?" Bei diesem Satz wurde ich endgültig wach. Eine halbe Stunde!? Eine halbe Stunde!? Wie sollte ich in so kurzer Zeit fertig werden!? Pia sah nicht minder entsetzt aus. Wir warfen uns einen Blick zu, dann stürmten wir ins Badezimmer.

Nachdem ich geduscht, meine Zähne geputzt und mich umgezogen hatte (ich hatte mich nicht entscheiden können, ob ich das pinke oder hellgrüne Top anziehen sollte, was mir wertvolle Minuten kostete), saßen Pia und ich am Frühstückstisch und schlangen Rühreier mit Speck hinunter.

„Nicht so schnell, lasst euch Zeit", ermahnte uns Mrs. Holmes, doch wir hörten nicht auf sie.

„Wir müschn nosch was einpakschn", schmatzte Pia, während sie in Rekordzeit ihre Milch trank. Ihre Mutter schüttelte den Kopf und ich wusste genau, was sie in diesem Moment dachte. Ich hatte nie so einen Stress, als ich jung war. Pias Blick bestätigte meinen Verdacht. Meine beste Freundin hatte nämlich die ausgesprochen nützliche Gabe, die Gedanken anderer Leute lesen zu können.

Auch ich trank meinen Tee fertig aus und stellte meinen Teller in die Spüle, bevor ich mit Pia in unserem Zimmer verschwand.

„Wie kann sie von uns verlangen, in einer halben Stunde reisefertig zu sein?", fragte meine beste Freundin ungläubig, während sie ihren Ersatzmascara aus einer Schublade ihrer Kommode kramte.

„Naja, jedenfalls müssen wir uns beeilen, wenn wir nicht wollen, dass sie ohne uns fahren."

„Das sollen sie ruhig mal versuchen", meinte Pia grimmig und deutete mit erhobenem Zeigefinger aus dem Fenster. Die Fingerspitze glomm kurz golden auf und ein leiser Pfeifton drang herein, gefolgt von einem entsetzten Aufschrei. Mr. Holmes, der gerade das Gepäck ins Auto lud.

„Was hast du gemacht?", fragte ich misstrauisch.

„Sagen wir mal so: Wir haben jetzt genug Zeit, uns in Ruhe fertig zu machen." Mit einem hinterlistigen Grinsen wandte sie sich dem Spiegel zu und begann ihre Wimpern zu tuschen.

„Du hast doch nicht etwa...?"

„Doch hab' ich. Und sie werden eine Zeit lang brauchen, um das wieder in Ordnung zu bringen." Durch das gekippte Fenster konnte ich die Stimmen von Pias Eltern hören.

„Das gibt es doch nicht. Hast du gestern noch einmal nachgesehen?", meinte Mrs. Holmes zu ihrem Mann.

„Ja, gestern war noch Luft in den Reifen. Ich bin doch am Nachmittag noch einkaufen gefahren."

„Kannst du mir dann bitte erklären, wieso heute dann nur noch so wenig darin ist, dass selbst eine Fliege ersticken würde!?"

„Ich weiß es nicht!", antwortete Mr. Holmes verzweifelt, „Ich habe ja selbst keine Ahnung, wie das passieren konnte." Pia stand an der Kommode und kicherte.

„Findest du das witzig?", fragte ich ungläubig, „Ich dachte, du wolltest so schnell wie möglich nach Minehead?"

„Ja schon, aber nicht in diesen Klamotten." Sie zeigte auf ihre graue Jogginghose und auf das pinke Top das sie trug. Ich schüttelte nur den Kopf. Manchmal war sie wirklich so etwas von eitel! Während Mr. und Mrs. Holmes draußen beratschlagten, was zu tun sei, packten wir in Ruhe fertig.

„Und, bist du jetzt der Meinung reisetüchtig zu sein?", fragte ich und deutete auf das kurze gelbe Kleid, das sie nun anhatte.

„Mhm, ich glaube so kann ich mich sehen lassen", antwortete sie mit einem Nicken und schnippte mit dem Finger. Abermals war ein Pfeifton zu hören und Mr. Holmes, der ungläubig rief:

Die Prophezeiung - ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt