8. Kapitel (Melissa)

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Gegen Mittag schob uns Mrs. Holmes zur Tür hinaus und in Richtung Element Department Store. Als wir das Tor des Museums öffneten, schlug Pia, Câi und mir dieselbe stickig-kühle Luft entgegen, die ich auch schon bei meinem ersten Mal hier gerochen hatte und die mich schmerzlich an meine Eltern erinnerte. Schnell schluckte ich den dicken Kloß hinunter, der sich in meinem Hals festgesetzt hatte und trat, gefolgt von meinen beiden Freundinnen über die Schwelle. Mrs. Holmes stand schon am Schalter der Kasse 1, wo sie einem kleinen stämmigen Mann Mitte fünfzig mit einer dicken runden Brille, ihren Wächterausweis zeigte. Es war eine kleine goldene Karte, die das Zeichen der Wächter trug und auf der Rückseite den Name und das Element der entsprechenden Person.

Wir liefen durch die verschiedenen Ausstellungsräume, (Câi bestaunte immer wieder griechische Büsten und Wandteppiche, sodass wir sie mehr als einmal von einer Vitrine wegzerren mussten) bis wir an dem alten Tor angelangt waren. Nachdem sich Mrs. Holmes versichert hatte, dass niemand auf uns achtete, (was keine Kunst war, da sich so gut wie niemand im Museum aufhielt) traten wir durch das Portal und fanden uns im Eingang des riesigen gläsernen Einkaufzentrums wieder.

Câi staunte nicht schlecht, als sie die vielen Geschäfte sah, die alle Heilkräuter, magische Haustiere, Bücher, und allerlei anderen Zubehör verkauften, der den Wächtern in irgendeiner Weise wichtig erschien. Es hatte sich seit dem letzten Mal nicht viel verändert. Noch immer zierte im Laden „Astronomie und Astrologie für Jedermann" ein Modell unseres Sonnensystems die Auslage und noch immer eilten etliche Wächter in ihren Umhängen an uns vorbei, schleppten Taschen oder studierten Einkaufslisten. Eine ältere Dame, die ihre kurzen grauen Haare unter einem ausladenden grünen Hut verborgen hatte, stand vor dem Schaufenster des Ladens „Heilkräuter für den Hausgebrauch – besser als jedes Kräutergärtchen" und murmelte kopfschüttelnd:

„Sieben Darons für einen Strauß getrocknetes Johanniskraut. Die sind mit den Preisen so schnell in die Höhe geschossen, wie die Pfifferlinge im Herbst."

Nur eines hatte sich verändert, doch das war so offensichtlich, dass man es gar nicht übersehen konnte. An fast jedem Schaufenster klebte ein Plakat der Island-Spiele. Manche Wächter standen am Rand und verteilten Werbebroschüren an die vorbeigehenden Passanten oder verkauften Luftballons und anderen Jahrmarktskleinkram, die alle das Logo der Island-Spiele trugen. Wächterinnen und Wächter plauderten in dem kleinen Café „Zur Goldenen Gans" darüber, zu welcher Disziplin sie antretenwollten. Beim Vorübergehen schnappte ich etwas von einem Gespräch zwischen zwei Freundinnen auf.

„Also ich bewerbe mich auf jeden Fall beim Wettfliegen", meinte eine der beiden. Sie hatte lockige braune Haare und trug einen etwas zu kurzen lila Umhang. Ihre Freundin wickelte eine ihrer blonden Strähnen um den Finger, während sie antwortete:

„Ich weiß noch nicht. Richard meinte, wir sollten nicht hingehen. Du weißt schon, wegen dem Unfall bei den letzten Spielen. Aber zugegeben, ich würde schon gerne beim Wasserlauf mitmachen."

Wir schlenderten die breite Straße entlang, bis wir vor einem großen Laden, dessen Front aus Backsteinen bestand, stehen blieben. Über der großen Flügeltür war ein Messingschild angebracht, das verkündete: Bank Custos.

„Na los, rein mit euch, Kinder", sagte Mrs. Holmes und scheuchte uns durch die Eingangstür in eine große kreisrunde Halle. Die Wände waren aus grobem Stein, so als wäre der Raum aus einem Felsen gehauen worden und die Decke beinahe fünfzehn Meter hoch. An den Wänden zogen sich lange Balkone entlang, wie einzelne Stockwerke übereinander und durch Holztreppen verbunden. Der marmorne Boden hatte ein Mosaikmuster. Ich wusste nicht, was es darstellte, denn dazu hätte ich es von oben betrachten müssen. Vorne befand sich ein langer, durchgehender Tisch in der Form eines Halbkreises. Dahinter saßen in Stühlen mit hohen Lehnen etwa ein Dutzend hochgewachsener Männer, die entweder Haufen von goldenen und silbernen Münzen zählten, Edelsteine mit einem seltsam sechseckigen Monokel überprüften oder mit Kunden redeten und dann einen nach dem anderen aus der Halle führten. Alle waren in schwarzen Samt gekleidet, hatten lange glatte blonde Haare, die wie Seidenfäden aussahen und ungewöhnlich spitze Ohren. 'Elben', dachte ich und starrte fasziniert auf die Geschöpfe, die durch die Halle hasteten.

Die Prophezeiung - ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt