1. Alte Freundin

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„Nachdem die Assassinen die Templar in London besiegt hatten, genoss die Stadt zwanzig Jahre lang einen gewissen Frieden. Bis zum Herbst des Schreckens..." Ich atmete schwer beim Vorlesen des Artikels. „London ist in Angst und Schrecken versetzt durch eine Reihe von grausamen und nicht aufklärbaren Morden. Die Bordelle von Whitechapel wirken warm und sicher im Vergleich zu den dunklen Straßen..." Ich stockte und sah zu meinem Gegenüber. Sein Blick verfinsterte sich, während ich versuchte nicht in Panik zu verfallen. „... in denen Prostituierte ermordetet und auf groteske Weise der Welt zur Schau gestellt werden. Vom Mörder zur Legende..."

Wir schwiegen einen Moment.

„Und hinter so jemanden ist Jacob her?" Seine Stimme schien überrascht, doch er war es kein bisschen. Er kannte längst die Wahrheit, es war mehr eine Feststellung der Tatsachen.

„Weiß ich nicht, schätze schon. Wenn das Wirklich 'The Ripper' ist."

Ich klappte die Zeitung zusammen und legte sie dem Jungen wieder zurück in die Arme. Dieser schaute mich nur verdutzt an, doch kümmern tat es ihn wenig – immerhin hatten wir dafür bezahlt. Dann rief er weiter seinen eingeprobten Text, um Geld für seine Familie zu verdienen. London war grausam in jeder Hinsicht. Doch in diesen schweren Zeiten muss jeder für sich sorgen – auch wenn es schmerzte zuzusehen.

„Glaubst du das?", mein bester Freund riss mich zurück zu sich.

Ich überlegte einen Moment, da ich zuerst meine Gedanken ordnen musste.

„Ich weiß schon lange nicht mehr wem oder was ich glauben soll."

„Warum vertraust du Jacob nicht einfach?"

„Milan! Du weißt doch ganz genau, wie es in mir aussieht."

„Mein Gott, Alia. Jetzt gebe dem Jungen doch endlich mal eine Chance..." Sein Blick weicht von mir. „Wenn man vom Teufel spricht."

Jacob ging geradewegs auf uns zu. Ich drehte mich noch von ihm weg, doch dann spürte ich seine Hand, wie sie fest meinen Arm umschloss.

„Darf ich mir sie kurz ausleihen?" Er kam sofort auf den Punkt. So kannte man ihn nur zu gut. Wenn er höflich wurde, wollte er etwas. Es schien wichtig zu sein. Milan nahm mir das Wort, bevor ich irgendeine Bemerkung machen konnte.

„Natürlich, bin sowieso fertig mit ihr."

Wir verabschiedeten uns, während Jacob nervös von einen zum anderen Bein tänzelte.

„Was gibt es bitteschön so wichtiges..."

„Maria ist tot!"

„Was?!" Meine Worte waren lauter als gedacht. Viele Blicke von Passanten aus der gefüllten Innenstadt gingen auf mich, aber sie waren mir egal. „Wann?"

Maria war eine gute Freundin und Nachbarin. Sie hatte immer ein offenes Ohr. Auch wenn sie manchmal etwas zu neugierig war, wusste man immer, dass man bei ihr Herzlich willkommen war. Egal welche Uhrzeit. Egal welche Angelegenheit. Sie war mein Vorbild. Ruhe in Frieden, alte Freundin.

„Vor einigen Stunden. Ich möchte dich bitten die Stadt zu verlassen." Er faltete seine Hände, als würde er mich regelrecht anbetteln.

„Was?!", fragte ich erneut, ohne jegliche Sinn zu verstehen.

„Du bist hier schon lange nicht mehr sicher. Du musst endlich diese gottverdammte Stadt verlassen!"

„Du weißt ganz genau, wie scheiße es mir geht, seitdem mein Bruder mich verlassen hat. Ich habe alles verloren. Und du willst mir noch den letzten Rest nehmen? Nein, Jacob. Das wirst du nicht. Vorher sterbe an diesem Ort!"

Mit diesen Worten verließ ich ihn. Wie angewurzelt blieb er auf dem Fleck, mitten auf dem Marktplatz in Whitechapel stehen. Wenn ich schon nicht die Menschen in mich herum retten kann, muss ich mich wenigstens selber schützen.

Shadows SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt