6. Feind

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Kurze Zeit später kam auch Milan dazu. Wir trafen alle gleichzeitig bei der Frauenleiche ein. Nur noch die Polizei fehlte, doch laut Milan war sie bereits informiert. Natürlich kannten sie sofort den Künstler dieses Werkes und brauchten sich deshalb auch nicht zu beeilen.

Die Stimmung wirkte angespannt. Jacob und Milan waren und werden niemals beste Freunde sein. Seit Jacob wusste, dass mein bester Freund den Templern angehört, verachtete er diesen – ich bin ihm nur dankbar, dass er es versucht zu verstecken. Er tat dies für mich. Er wollte mich immer nur glücklich machen. Doch auch diese Nacht hat bei uns allen Spuren hinterlassen – vor allem bei Jacob.

Er atmete tief aus, als sich ihre Blicke trafen. Ich konnte seinen Zorn spüren und ich verstand es sogar. Müsste ich mich mitten in der Nacht, wohlgemerkt nach einem nervenzerreißenden Abend, mit meinem schlimmsten Erzfeind reden, wäre es mir genauso ergangen. All die angestaute Wut und der Hass – der Templer war sein einziger Angriffspunkt.

„Was hast du hier verloren?" Jacobs Stimme war rau und kratzig.

„Dir auch einen guten Abend oder Nacht... Keine Sorge. Ich bin nur wegen ihr hier.", mit einem Schnipsen deutete er auf mich. Ich musste kurz kichern – doch verstummte sofort, als ich ihren kalten Blick auf mir spürte.

„Welch ein Wunder...", dabei verdrehte Jacob die Augen und machte sich auf die Suche nach Spuren.

„Was habe ich dir getan?" Milan ging auf ihn zu und stellte sich ihm in Weg, „Warum hasst du mich so sehr?"

„Ich hasse nicht nur dich. Ihr Templer sollt in der Hölle verbrennen."

„Was? Das ist also dein Problem? Mehr nicht?" Er war wirklich überrascht. Ebenso wie ich.

„Ihr Templer bringt nur Gefahr. Ihr steckt doch mit dem Ripper unter einer Decke. Und davor muss ich sie beschützen!"

„Ich aber nicht... Warum sollte ich das tun?"

„Ihr seid alle falsch! Einer wie der Andere... Ich sag es dir im Guten, Milan. Ich möchte bitte, dass du dich von Alia fernhältst."

„Ach ja? Das willst du? Hör mir mal ganz genau zu, Assassine." Die beiden Kontrahenten stichelten sich gegenseitig hoch. Milan verlor sonst nie so schnell die Kontrolle oder wurde gar unhöflich, doch genau an diesem Punkt platze ihm der Kragen. „Erzähl doch mal, wo warst du als meine beste Freundin von einem Mann belästigt wurde? Wo warst du, als sie sich in Kummer ertränken wollte und das aus dem Leben dahinscheiden wollte? Was hast du gemacht als sie sterbenskrank im Bett lag und kaum noch atmen konnte? Oder besser gefragt: Wer war da? Das war ich! Du hast überhaupt keine Ahnung!"Er beendete seine Predigt mit zittriger Stimme. Mittlerweile hatte es auch Jacob die Stimme verschlagen. Keiner sagte auch nur einen Mucks. Jacobs Blick ging auf mich. Fragend hielt er ihn auf mir. „Du kannst froh sein, dass ich dich nicht wie die anderen Templer gekillt habe. Zum Glück hatte mich noch mein Zwilling zur Vernunft gebracht.", sagte er mit einer dunklen Stimme, bevor er sich aufmachte und ging.Die jedem, auch mir gerade, Angst machte. Er war sauer. Und bestimmt war es wieder meine Schuld. Natürlich war sie es, weil ich die Klappe gehalten habe. Wieder einmal.Verwirrt schaute ich Milan an. Ich war in einer Zwickmühle. Mein bester Freund gegen meinen Beschützer. Ich mochte beide und das verstand ich allmählich. Ich müsste zu Jacob nur endlich ehrlich sein.

„Jetzt lauf ihm schon hinterher. Wir reden später... Vielleicht...", sagte Milan und wandte sich von mir ab.

Mit einem Nicken verabschiedete ich mich. Und lief Jacob hinterher. Stur ging er die Straße herab. Ich rannte auf ihn zu, überholte ihn und blieb in seinem Weg stehen. Er lief beim ersten Mal an mir vorbei, doch beim zweiten Mal verstand er die Geste.

„Dein Leben scheint bereits ganz schön chaotisch gewesen zu sein."

„Jacob..."

„Du hast mir kein Bisschen erzählt. Ich dachte wir wären Freunde? Ich habe dir so oft alles Mögliche verraten und du hast niemals – auch nicht ein einziges Mal - die Wahrheit gesprochen. Warum?"

„Es passt zu mir, Gefühle zu verstecken und zuzulassen, dass diese meine innere Liebe auffrisst."„Sprich doch bitte endlich mal normal mit mir! Ich kann dir nicht helfen, wenn du dich nur versteckst!"„Lass uns woanders weiterreden. Hier werden wir nur beobachtet."Seine Wut war noch immer präsent. Doch wir schwiegen uns auf dem gesamten Weg zu seiner Wohnung nur an. Und das war wohl auch das Beste.

Shadows SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt