"Mira, möchtest du heute nicht vortragen?"
Ich spürte einen Stoss in meine Seite. Zusammen zuckend drehte ich mich erschrocken zur Seite und blickte Marwa meine beste Freundin fragend an. Sie nickte zur Lehrerin rüber."Hausaufgabe.", informierte sie mich.
"Ich hab die Aufgabe diesmal leider nicht zu Ende gemacht...", sagte ich. Jamila, die Lehrerin, warf mir einen tadelnden Blick zu, wandte sich aber den anderen zu.
Ich liess mich seufzend auf meine verschränkten Arme fallen und versuchte zuzuhören. Aber meine Gedanken führten mich woanders hin...
Astaghfirullah, dachte ich. Ich hatte soeben nicht nur gesündigt, sondern auch noch mich dabei erwischen lassen. Was denkt er wohl? A3dhubillah, wahrscheinlich denkt er jetzt total falsch von mir. Wieso musst ich auch so lange gucken? Wieso bin ich nicht einfach schnell zum Raum gelaufen, ohne hinzusehen? Ya Allah, was wenn er mein Mektoub gewesen wäre, hätte ich ihn nicht angeschaut? Doch sein Blick war so tief und vielsagend...
Den Unterricht über fuhr mein innerer Monolog fort, sodass ich das Ende grade mal so mitbekommen hatte. Kaum war der Unterricht beendet eilte ich schon raus. Ich brauchte dringen frische Luft.
"Mira, warte doch auf mich!" Hörte ich Marwa hinter mir rufen. Ich blieb an der Tür stehen und geduldete mich die paar Sekunden. Zusammen traten wir dann in den Hof.
"Was ist heute los mit dir?" Marwa erkannte immer direkt, dass etwas in mir vorging. Sie konnte meine Körpersprache auswendig und ich ihre.
Wir waren seit dem Kindergarten schon befreundet und sogar wie Schwestern - unzertrennlich. In der Schule fingen alle sogar an uns die M&M's zu nennen, da beide unserer Namen mit M anfingen.
"Es ist nichts." versicherte ich ihr. Skeptisch schien sie mich zu analysieren lies das Thema aber fallen.
Erleichtert fing ich an in Richtung Ausgang zu gehen. Letzte Woche war der geheimnisvolle immerhin auch nicht da, als der Unterricht zu Ende war. Ich blickte also sorglos in den Hof, bis meine Augen ihn erblickten.
Astaghfirullah, nicht schon wieder!, dachte ich und schaute schnell woanders hin. Ich bemerkte, wie Marwa ihren Blick zum Boden wandte und tat das selbe.
"Salam Aleikum." hörte ich plötzlich eine schöne, raue und tiefe Stimme sagen. Mein Blick schreckte hoch und er stand da und lächelte mich an. Er. Lächelte mich an. Hallo?
Im Normalfall hätte ich jeden ignoriert bis auf eine leise Erwiderung seines Grußes, doch irgendwie freute ich mich.
"Wa aleikum salam." antwortete ich. "Ist etwas, Akhi?" Er lächelte verlegen.
"Wie geht es dir?" entgegnete er meiner Frage.
"Alhamdoulillah, gut und dir?"
"Ebenfalls hamdoulillah. Dankeschön." Verlegen schaute er kurz zu Boden und blickte dann wieder fragend auf. "SubhanAllah, ich schäme mich gerade, das zu Fragen. Sowas habe ich noch nie getan..." erklärte er kurz und hielt dann inne.
Was wollte er denn von mir? Er schaute wieder bestürzt zu Boden und rieb sich langsam den Nacken. Ich bemerkte, wie sich sein Bizeps anspannte und verkniff mir ein Grinsen.
"Ich... hätte gerne deine Nummer, wenn es dir nichts ausmacht." fing er an. "Ich würde sie auf keinen Fall ausnutzen. Viel eher würde ich gerne ein kurzes Gespräch führen wollen über deine und meine Absicht. Danach würde ich dann gerne die Nummer deines Babas haben."
Hatte ich mich verhört? Ich brauchte einen Moment das Gesagte zu verdauen. Mein Herz raste, denn ich freute mich so sehr. Doch gleichzeitig spürte ich ein flaues Gefühl im Magen. Vielleicht wäre es dumm ihm sofort meine Nummer zu geben?, dachte ich nach. Dann fiel mir eine Lösung ein und ich sammelte mich direkt, um ihm zu antworten.
"Es tut mir leid, Akhi. Aber ich gebe ungern meine Nummer." In Wahrheit wollte ich es eigentlich. "Allerdings kannst du mir auf Facebook schreiben. Dort heisse ich Mira Khn. Das Gespräch können wir dann über die Messenger App führen." Die Stirn runzelnd musterte ich ihn. Ihm schien die Antwort nichts auszumachen.
"BarakAllahou feeki. Das werde ich, in sha Allah." sagte er und verabschiedete sich somit.
Erst dann fiel mir Marwa neben mir auf und ich nickte ihm zu und hakte mich bei ihr ein.Sie sagte nichts, während wir zum Ausgang gingen. Möglicherweise wusste sie, dass ich das ganze erstmal verarbeiten musste. Als wir die Einrichtung endlich verlassen hatten, holte sie dann tief Luft.
"Mira! Es ist sooooo gut, dass du dem nicht deine Nummer gegeben hast. Du glaubst nicht, wie erleichtert ich gerade bin!" sprudelte sie direkt raus.
"Wieso das?", fragte ich verwirrt. Sie hielt kurz inne und warf mir dann einen 'Du weisst schon'-Blick zu.
"Er sieht nach haram aus."
Ein Lachen stieß aus meiner Kehle. Es war ein Insider, den wir seit unserem 15. Lebensjahr hatten. Jeder gut aussehende Junge/Mann war eine Fitnah für uns. Also auch haram. Denn unser Ziel war es immerhin unseren zukünftigen auf die erlaubte Art und Weise kennen zu lernen. Ich verstand allerdings nicht, wo sie ein Problem sah. Immerhin hatte er doch genau die Art und Weise eines Kennenlernen's vorgeschlagen, die erlaubt war. Nach kurzem nachdenken, änderte ich lieber das Thema. Immerhin hatte sie mir die Möglichkeit gegeben, eine Reise in die Vergangenheit zu machen. Und ich würde sie natürlich mitnehmen müssen!
-
Zuhause angekommen, begrüßte ich meine Eltern und verkroch mich direkt in mein Zimmer. Da ich schulisch nichts tat und noch nicht entschieden hatte, was ich machen wollte, war ich konstant zuhause.
Schnell umgezogen, warf ich mich in mein Bett. Ich verspürte den Drang zu Grinsen und zu kichern und gab mich diesem auch hin. Ob er mir wohl schon geschrieben hat?
Voller Vorfreude öffnete ich mein Laptop und loggte mich auf Facebook ein. Ich schaute direkt unter 'gefilterte Nachrichten'. Dort fand ich nichts. Seufzend, schmollte ich vor mich hin. Vielleicht ist er ja noch nicht dazu gekommen?, redete ich mir ein.
Ich wartete die ganze Nacht und ging erst gegen 3 Uhr schlafen. Eine Nachricht kam allerdings nicht. Genauso, wie die darauf folgenden Tage.
Dieser Donnerstag würde ein Leben lang in meinen Erinnerungen schwelgen. Abgesehen davon, dass er mich das erste mal an dem tag angesprochen hatte und ich die Nacht dann auf eine Nachricht hoffte, gab es noch einen Grund, weshalb ich mich an diesen Tag so gut erinnern würde.
Es war nämlich die erste Nacht, in der ich vergass zu beten.
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MIRA - Versuchung
ChickLitWenn die Liebe zum religiösen Verhängnis wird und man Halal nicht mehr von Haram unterscheiden kann. Genau dann brauchst du die Nähe zum Schöpfer umso mehr. ••• Der Versuch eine Facebook Story zu starten endet auf Wattpad!