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Meine Gedankenwelt drehte sich nur noch um ihn. Das ganze folgende Wocheende gab es keinen Moment in dem ich nicht an ihn dachte. Womöglich lag es daran, dass er mir noch nicht geschrieben hatte. Ich schaute ständig auf mein Handy in der Hoffnung eine Benachrichtigung übersehen zu haben. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen. Er hätte mir schreiben können und ich würde nicht wissen, ob er es ist. Doch bekam ich überhaupt keine Nachricht und konnte dementsprechend mich nicht wundern wer er nun war. Wahrscheinlich hatte er sich umentschieden.

Es fiel mir schwer mich auf Sachen zu konzentrieren. Wir hatten die erste Seite der Surah Bakarah als Hausaufgabe bekommen und sollten diese Auswendig lernen. Doch, egal mit welchem Vers ich mich beschäftigte - es ging aus jeder Öffnung meines Kopfes wieder raus.

Am Montagabend sass ich gerade wieder an der Hausaufgabe. Ich hatte wudhu (rituelle Gebetswaschung) und durfte somit den Quran halten. Es war immer solch ein schönes Gefühl die Verse unter meinem Finger zu spüren. Für mich fühlte es sich so an, als würde die Wärme, die der Quran mir immer gab, durch meinen Finger in mein Herz führen. Ich atmete tief ein. A3dhubillah. Ya Allah! Schenke mir das Gedächtnis, welches diese Verse in mein Hirn brennen lässt und sie nie wieder loslässt, dachte ich innerlich und suchte so Zuflucht bei meinem Schöpfer. Ich sass schon eine halbe Stunde am Quran und hatte trotzdem keinen Vers auswendig.

"Mira! Ah, Binti!" (Binti: Tochter) Beim Ruf meiner Mutter schreckte ich hoch. Vorsichtig schloss ich den Quran und legte ihn auf meine Nachtkommode, um mich dann ruhig zur Tür zu begeben.

"n3am?" (Ja?) fragte ich in normalem Ton, als ich ins Wohnzimmer trat. Meine Eltern sassen im Wohnzimmer und schauten eine neue Serie auf dem marokkanischen Sender 2M.

"Kannst du bitte den Abwasch machen, meine kleine? Ich bin ein bisschen Müde." Wie hätte ich verneinen können, nachdem meine Mutter mich so süss auf Darija gefragt hatte?

"Mach ich. Wollt ihr was trinken? Soll ich Atay (Tee) machen?" Ich bemerkte, wie mein Vater zu grinsen begann.

"Womit haben wir dich verdient? Guck, Schatz, wie schön wir unsere Tochter erzogen haben!" ich kicherte und eilte in die Küche, während meine Eltern über mich diskutierten. So war es immer. Meine Eltern liebten mich von ganzem Herzen und ich sie. Ständig diskutierten sie darüber, wer mich mehr liebte und ärgerten sich deshalb. Sie waren so süss.

Ich kochte ihnen schnell einen marokkanischen Pfefferminztee und brachte ihnen dann ein Tablett mit Tee, Keksen und Pipa (Sonnenblumenkörner). Dann machte ich mich an den Abwasch. Für eine kurze Zeit hatte ich dank meinen Eltern den mit den schönen Augen vergessen. Ich war so vertieft in den Abwasch und dem Lauschen meiner Eltern, dass ich das erste mal seit dem Donnerstag locker war. Das war, bis mich ein Laut meines Handy's hochschreckte. Ich dachte mir nichts dabei, als ich mir die Hände abtrocknete und mein Handy in die Hand nahm. Womöglich hatte einer der Mädels eine Kettenmail geschickt.

Doch dann sah ich, dass es eine Facebook-Nachricht war und meine Neugierde erwachte. Auf meinem Sperrbildschirm leuchtete eine Benachrichtigung vom Messenger mit einem männlichen Profilbild. Ich tippte drauf.

Samir Ma - Salam aleikum.

Wer zum kuckuck war Samir Ma?

Ich kannte ihn nicht und hatte keine Absicht zu antworten, doch meine Neugierde und die Pflicht auf ein Salam zu antworten brachten mich dazu, eine Antwort zu tippen.

"Mira, beende den Abwasch und erst dann kannst du am Telefon sein. Ouallahila, ihr Jugend immer gleich. Immer nur Tilifon, tilifon!" Ich lachte beim Versuch meiner Mutter deutsch zu reden und legte mein Handy weg. Dann sollte dieser Samir eben warten, dachte ich mir und räumte in Ruhe die Küche auf und beendete den Abwasch. Im Prinzip hätte ich seinen Gruß verbal erwidern können. Somit hätte ich meine Pflicht erfüllt gehabt, alhamdoulillah.

Nachdem ich den Herd gewischt hatte und alles sauber war, begab ich mich ins Bad um Wudu (die Gebetswaschung) zu vollziehen. Es war Zeit Ishaa zu beten. Da ich das Gefühl hatte, vieles zu vernachlässigen wollte ich wenigstens meine Gebete rechtzeitig beten. Wudu vollzogen und in meine schönste Abaya geschlüpft stellte ich mich in meinem Zimmer endlich zum Gebet auf.

Mein Herz beruhigte sich, als ich die Hände hob und mein Gebet begann. Mit jedem Vers den ich rezitierte bebte mein inneres vor Freude, füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich verweilte im Sujood (Die Niederwerfung) und dankte meinem Schöpfer, das Wissen des Gebetes zu haben. Als ich dann meinen Salam (Gruss) an den Engel an meiner linken Seite sprach und das Gebet beendete atmete ich tief ein und aus. Wie konnte man das Gebet nur vernachlässigen, wenn man doch Wissen hatte? Es war ein Segen zu wissen, wie man betete und ich schätzte mich so glücklich, dies zu wissen.

Widerwillig zog ich mir meine Pyjamas an und warf mich auf mein Bett. Mein Gebetsteppich sollte auf dem Boden verweilen, um mich an Fajr zu erinnern. Gerade wollte ich eine Folge Narcos anschalten, als mein Handy erneut einen Ton von sich gab.

Samir Ma - Bist du da?

MIRA - VersuchungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt