Trotz den unruhigen Ereignissen letzter Nacht, gelang es Olga einige Stunden Frieden im Schlaf zu finden. Jetzt jedoch im Morgengrauen, warf sie sich hin und her und versuchte die schwachen Sonnenstrahlen zu ignorieren. Schließlich musste sie es aber aufgeben und beschloss sich ein Buch zu holen. Sie versuchte sich so gut wie möglich auf den Inhalt zu konzentrieren, doch als sie bemerkte, dass sie denselben Absatz zum dritten Mal las, gab sie es auf und klappte das Buch frustrierend zu.
Seufzend stand sie aus dem Bett auf und begab sich ins Bad, um sich herzurichten. Da sie den Tag nicht mehr länger hinauszögern konnte, beschloss sie, ihn wenigstens mit einem angenehmen Frühstück zu beginnen. Sie hatten schon lange nicht mehr zusammen an einem Tisch gesessen und die Aussicht auf ein gemeinsames Frühstück ließ sie kurz ihr Unbehagen vergessen und sie freute sich plötzlich wirklich darauf.
Und dennoch..ihre Gedanken konnten nicht aufhören an Ihsans gestrige Worte zu denken.
"Sie hat ein Recht darauf es zu erfahren."Unter normalen Umständen hätte er Recht gehabt. Aber das hier waren keine normalen Umstände. Hier ging es um die Sicherheit dutzender Menschen, vor allem um die ihrer geliebten Nichte.
Damals im Krankenhaus, bevor ihre jüngere Schwester Olesya letztendlich ihren Verletzungen erlegen war, nahm sie Olga das Versprechen ab, ihre einzig überlebende Tochter zu beschützen, wenn es sein musste selbst mit ihrem eigenen Leben, Hauptsache sie fanden sie nicht. Sie hatte ihrer Schwester ihren kleinen Finger gereicht und diese hatte ihn mit letzter Kraft mit ihrem eigenen verschränkt. Erst als sie spürte, wie der kleine Finger ihrer Schwester langsam erschlaffte, blinzelte sie ihre Tränen weg und sah, dass diese für immer die Augen geschlossen hatte.
Ihre kleine Schwester war das Letzte, was ihr geblieben war, nach dem Krieg in Russland und sie waren seitdem immer auf sich allein gestellt. Den Verlust verdauerte sie nie so richtig.
Doch auch wie sehr sie der Verlust mitnahm und die Leere sich in ihre Seele fraß, gab es jetzt Alisha, die nicht nur ihre Mutter verloren hatte, sondern hinzu noch ihre kleinen Schwestern und ihren geliebten Vater. Sie musste sich zusammen reißen, allein ihr zuliebe und Rasul unterstützte sie stets mit solch einer Liebe und Geduld, dass es sie immer wieder in Erstaunen und Bewunderung versetzte, wie sehr er sich für sie bemühte.
Der Gedanke an ihren Ehemann brachte sie zum Schmunzeln. Rasul war ihr seit ihrer ersten Begegnung nicht mehr von der Seite gewichen und noch heute nach 24 gemeinsamen Jahren, konnte er es nicht lassen, anderen stolz zu erzählen, dass er schon von dem Moment an, als er sie erblickt hatte, sofort wusste, dass sein Herz ihm nicht mehr länger allein gehören würde.
Ja, sie waren glücklich und zufrieden und immer füreinander da gewesen. Doch trotz ihrer harmonischen Ehe, konnten sie diese nie mit süßem Kindergelächter besiegeln. Jahrelang kämpfte sie mit der Schuld als Frau versagt zu haben und sank letztendlich in eine dunkle Depression. Nur mit Hilfe von Rasuls kraftvoller Liebe schaffte sie es, aus ihrem tiefen Loch zu klettern und wieder aufrecht im Leben zu stehen. Anfangs hatte es ein paar Zerreißproben gegeben aber auf die eine und andere Weise hatten sie die Klippen zum Glück umschifft.
Auch wenn sie einerseits immer noch einen schwachen Stich spürte, wenn sie seinen sehnsüchtigen Blick Richtung der Nachbarskindern sah, seit sie sich verantwortlich für Alishas Zukunft fühlte, war sie auch teilweise ziemlich erleichtert darüber, in früheren Zeiten nicht mit denselben Pflichten konfrontiert worden zu sein.
Wie aufs Stichwort schlurfte er noch halb verschlafen in die Küche und seine Gesichtszüge wurde weich als er Olga sah und sie in eine sanfte Umarmung zog.
"Guten Morgen Liebling", flüsterte er in ihr Haar.
Sie schloss die Augen als sie seinen vertrauten Geruch von Rasierschaum und Afterspray einzog und lächelte. Genussvoll schnupperte er in der Luft.
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You'll never be alone
RomanceDie gute Nachricht: Alles ist vergänglich. Die schlechte Nachricht: Alles ist vergänglich.