4 ||||Krähen, so furchterregend wie die Männer

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Ich gehe durch ein kleines Dorf, welches nicht mehr in der Nähe meines ehemaligen Hauses ist, mit leeren Händen. Meine Hände sind leer, mein Magen auch. Die Lichter des Dorfes sind gedämmt, die Wege leicht abgetreten. Man wird mich so schnell nicht finden. Ich husche zwischen die Häuser hin und her. Manche haben die Lichter noch an, sehr viele aber nicht. Mein Rücken fühlt sich schon irgendwie besser, trotzdem will ich nicht unter einem Baum schlafen. Mein Herz pocht und hofft auf den Mitleid der Bewohner. Der Mitleid, der einem armen jungen, abgemagertem Mädchen, ein warmes Bett bescheren soll.  Ich entscheide mich für ein eher abgelegenes Haus am Dorfrand, dessen Räume alle belichtet sind und ein leichtes Stimmengewirr die Haustür durchdringt. Entschlossen klopfe ich ein paar Mal an die Holztür, bis sie jemand öffnet.
Vor mir steht ein üppiger Mann, aus dessen Mundwinkel etwas tropft. Alkohol? Er lacht bei meinem Anblick, wackelt mit den Augenbrauen. Erschrocken trete ich ein Stück zurück. In seinen Augen funkelt alles außer Mitleid. Er dreht seinen runden Kopf ins Haus und dann höre ich seine brüchige Stimme schreien: „Leute, ich habe hier ein richtig schönes Stück gefunden!" Angeekelt trete ich noch ein Stück zurück, als ich Schritte auf mich zukommen höre. Dann tritt er einen Schritt nach vorne und ich spüre, seine dicken, glitschigen Finger meinen Arm umfassen. Es sind nicht seine Arme, die ihn verraten. Es sind die Augen, die unkontrolliert an meinem Körper vorbeigleiten. Die Angst übermahnt mich, ich drehe mich um und renne so schnell ich kann, höre deren Zurufe, die mir eine Gänsehaut verpassen und fange an, zu schwitzen. Vor Angst. Ein Blick nach hinten genügt, um zu erkennen, dass sie mir nicht folgen. Ich wische mir zitternd den Schweiß von der Stirn und fahre einen kahlen# Baum runter, sodass ich auf dem Boden sitze. Mein Keuchen kann ich nicht kontrollieren, ich krümme mich zusammen und fange an, zu weinen. Meine Tränen, die keine Zeit kennen. Mein Schmerz, der keine Grenzen kennt. Und meine Hoffnung, die kein Licht kennt. Bitterkalte Dunkelheit. Schluchzend wische ich mir die Tränen weg. Und als ich zum sternlosen Nachthimmel aufgucke, bemerke ich zum ersten Mal, dass ich alleine bin, ganz alleine. Keine Krähen. Keine Krähen, die über mich still herum fliegen, keine Krähen, die meine Gedanken verfluchen, keine Krähen. Denn meine Angst ist so groß, dass meinen Gedanken keinen Zugang gewährt wird. Und Krähen riechen meine Angst nicht, sie riechen meine Gedanken. Deshalb keine Krähen.

Das versteckte GedankengutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt