11||||||||||| Krähen, so indifferent wie Helden

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Ich brauche nicht lange, um zu verstehen, dass Gedanken Gedanken bleiben sollen. Sie sollen in meinem Kopf bleiben, dürfen nicht ausbrechen und sich zu etwas Großem verselbstständigen. Sie sollen nur meins bleiben, nicht sichtbar für die anderen sein. Aber Handeln spiegelt Gedanken wieder. Sie zeigen, was die Person sich gedacht hat und erreichen will. Sie zeigen das, was die Krähen nicht haben wollen. Sie entmenschlichen mich, entreiße meinen einzig übriggebliebenen Schatz: mein Wille, zu denken.

Sie gucken zu mir, heben ihre Krallen, so als würden sie mich einladen, mein Kerker wieder freiwillig zu betreten. Sie haben mich zu dem Ort zurückgeführt, von dem ich geflohen bin, von dem ich Tag und Nacht Angst hatte.  Die Tränen trüben mein Blickfeld und ich starre fassungslos drauf. Einer kommt ein paar Schritte näher, reckt sein pechschwarzes Gefieder und gluckst mich ein. Die Kerben leuchten hinten auf, ihre Augen blitzen verschwörerisch auf und meine Tränen geben nicht auf. Es ist eine Einladung. Eine Einladung in die Hölle. Beschmückt mit dem Lachen der Krähe.
Ich springe auf und laufe weg, weit weg von meiner dunklen Zellen und von den Krähen. Ein unfassbar riesiges Labyrinth scheint es zu sein. Keuchend tappe ich durch die Dunkelheit, die mich sowohl schützt als auch beängstigt, als mich plötzlich etwas runterzerrt. Ich schreie auf und fasse mir an die Haare. Jemand zieht mir an die Haare, etwas pickst auf meine Kopfhaut und der Schmerz fährt mir durch die Knochen. Ich drücke mich hoch, um den Druck auf meiner Kopfhaut zu verringern, doch es verschlimmert sich. Mein Kopf droht zu platzen. Ich höre meine eigenen Schreie nicht mehr. Ein Luftzug, ein zweiter und ein dritter in meinem Gesicht öffnet mir die Augen und dann statt mich zu wehren, laufe ich entgegengesetzt.
  Wild beiße auf meine Unterlippe, um den Schmerz zu unterdrücken. Dieser körperliche Schmerz, der doch Nichts ist im Vergleich zu dem, was in mir schmerzt. Es sind die Krähen, die sich mit ihren langen Krallen in mein Haar vergriffen haben und daran ziehen. Sie wollen mich in die Zelle bringen. Es sind die Krähen, die mit ihren spitzen Krallen meine Kopfhaut durchschneiden, es sind die Krähen, die das Blut in meinem Mund schmecken lassen.

Ich laufe entgegengesetzt und wäre fast wieder auf dem Boden gefallen, als ich Druck auf meiner Kopfhaut fühle, der aber nach einer Zeit nachlässt. Schwitzend laufe ich weg und beiße mir wieder auf die Lippen, weil das Brennen auf der Kopfhaut so stark ist, dass ich meinen Kopf am liebsten gegen eine Wand gerammt hätte. So, als habe man mir kochendes Wasser über mein Kopf gekippt.

 Mein Blut schmeckt eklig, so als würde mein eigenes Blut mich verraten haben. 

Und das hat es doch auch. Sie wollten mich verkaufen. Ich spucke es in irgendeiner Ecke, die in dem Moment genauso unbedeutend ist wie der Rest der Welt. Schnellen Schrittes laufe ich durch eine Hintertür raus, als mir frische Luft wie eine Brise durch das Gesicht fährt. So als würde die Natur vielleicht noch ein Deut Sanftmut besitzen. Wie lange dauert es, bis man es auch ihr raubt? Bis der Wind vor Zorn über die Erde jagen und mich beschützen wird.

An irgendeinem Baum spucke ich nicht oft genug mein Blut aus, kennzeichne den Boden mit meinem Leid, die Erde mit meinem Blut und frage mich, wie die zarten Rosen mit dieser Flüssigkeitsaufnahme sich verändern werden.

 Doch ich fange dann heftig an zu husten. Ich versuche zu husten, aber mein Blut bleibt wie gefangen in meinem Rachen, als ich mich daran plötzlich verschlucke. Mein Blut ist irgendwo zwischen den noch lebenden Zellen meines Halses fest geblieben. Wieder versuche ich zu husten.

 Wie kriege ich es raus?
Wie kriege ich dieses Geschwür, diesen Tumor von Gefangenschaft aus mir heraus? 

Und dann sehe ich plötzlich nichts mehr. Nichts mehr. Mein ganzer Körper zittert, vibriert und  irgendwann, dann wenn das Ticken bedeutungslos geworden ist, krampft es. Ich krampfe am ganzen Körper. Meine Arme und Beine bewegen sich in alle Richtungen. Ich knalle gegen ein Baum, huste erneut bemüht und dann speie ich mengenweise Blut aus, während ich weiterkrampfe. Blut.

Überall Blut. Voller Angst trete ich Schritte zurück. Mein Krampfen geht zu meinem Zucken hinüber, während ich in Blut schwimme.
Eingehüllt in der Farbe der Liebe verspüre ich Hass, dunklen Hass, der mich auffressen will. Zu ungewiss, dass man mich schon innerlich aufgefressen hat.
Nicht mal Knochen mögen die Krähen hinterlassen. 

Irgendwann falle ich hin und bevor mir die Lider vollkommen zufallen, sehe ich eine Krähe auf meinem Bauch sitzen, immer näher kommend schaut sie mir tief in die Augen, als wolle sie mir in die verdorbene Seele schauen und eine Warnung aussprechen. Eine Warnung an wen? Ihre Linsen strahlen Gefahr aus. Blut. Überall Blut. Etwas steigt in mir auf, als daraufhin eine weitere Ladung Blut folgt. Ich spucke Blut auf sie. Auf die Krähe. Dann breche ich den Augenkontakt mit ihr ab und drifte ab. Doch kurz davor schaffe ich es noch, meine Hände schützend auf meinem Bauch zu lagern, nur um meine Leber, meine abgemagerte Leber, zu schützen.
Das sind die Folgen. Die Folgen, Konsequenzen, wenn ich meine Gedanken verselbstständige. Das sind die Folgen meiner Freiheit. Vielleicht gibt es ja gar keine Freiheit. Vielleicht gibt es nicht meine Freiheit.

Das versteckte GedankengutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt