Ich wache auf. Das klingeln des Weckers reißt mich aus meinem tiefschwarzen Traum, der mich wiedermal in das innerste meiner Seele blicken lässt: mein zerbrochenes Herz. Ich stehe auf, um mir die Bilder aus dem Kopf zu schlagen. Langsam nehme ich meine Umwelt wahr: mein Zimmer, dessen Wände ich gerne SCHWARZ gestrichen hätte, mein Zuhause, das für mich eigentlich kein Zuhause ist und schließlich auch mich selbst. Mein Ich ist ein bloßer Scherbenhaufen, eine Ansammlung verkrüppelter Einzelteile über einer schwarzen zerstückelten Seele, ein Nichts. Ich trete vor meinen Schrank der überquoll vor farbenfrohen Anziehsachen: Röcke, Hosen, T-Shirts und Jacken. Doch ich trage jeden Tag die selbe Farbe: SCHWARZ. Also lege ich mir eine schwarze Hose und einen schwarzen Pullover raus. Obwohl es erst Spätsommer ist, trage ich schon lange Sachen. Heute sollen es 25°C werden, wahrscheinlich der letzte heiße Sommertag. Bevor ich mich anziehe betrachte ich mich nackt im Spiegel. Meine schulterlangen nussbraunen Haare sind das Einzige das mir an meinem Körper gefällt. Alles andere finde ich hässlich: meine für mein Alter viel zu kleinen Brüste, meine Taille, meinen Po. Einfach alles an mir. Doch am meisten meine Unterarme. Diese sind überzogen von vielen Narben und drei offenen Wunden von gestern. Ich habe wiedermal viel zu tief geschnitten, als dass ich diese Wunden verschleiern könnte. Sie haben zwar aufgehört zu bluten, doch würde die blutrote Färbung jedem sofort in Gesicht stechen, hätte ich heute keinen Pullover getragen. Ich gehe nach unten ins Bad. Meine Unterarme schmerzen beim Duschen so sehr, dass ich es nicht lange aushalte und mich beeile. Ich habe eh keine Zeit mir die Haare zu waschen. Gott sei dank bin ich ein Mädchen und muss mir deshalb nicht die Beine rasieren. Außerdem sollte ich mich von Klingen und scharfen Gegenständen zur Zeit fernhalten, um keine weiteren Dummheiten anzustellen. Als ich fertig war, setzte ich mich an den Frühstückstisch, um noch kurz Zeit mit meiner ach so tollen Familie zu verbringen. "Morgen "grummelte ich nur in die Runde, da ich noch müde war. Meine Mutter schaut mich verständnislos an und liest ihre Zeitung weiter. Na toll, egal was ich mache es ist eh immer falsch. Ich halte es in der Küche nicht mehr aus und gehe hoch in mein Zimmer. Alleine. Es tut gut wieder niemanden um mich zu haben. Endlich kann ich ICH sein und nicht nur eine Maske, ein Idol, eine Verzerrung der Wirklichkeit, ein perfekter Mensch. Ich bin nichts davon. Nur klein und unbedeutend für alle. Nichteinmal Freunde habe ich. Niemanden, an den ich mich wenden könnte. Ich bin auf ewig allein und in mir gefangen. Mit mir selbst komme ich schon nicht klar, wie soll ich dann mit Anderen, also meiner Umgebung, klar kommen. Für andere ist es so einfach. Warum für mich nicht? WARUM BIN ICH ANDERS als die anderen? Warum sind sie alle SO viel besser als ich? Ich reiße mich aus meinen negativen Gedanken, bevor ich wieder weinend und mit aufgeschlitzten Armen in meinem Zimmer liege. Nicht jetzt und nicht heute. Das geht nicht. Denn heute muss ich in die Schule. Schwänzen geht nicht, dazu hab ich schon zu häufig wegen meines seelischen Befindens gefehlt. Ich will nicht wegen meiner Fehltage und den deshalb nicht mitgeschriebenen Arbeiten die 10. Klasse wiederholen müssen. Das kann ich mir nicht leisten. Deshalb nehme ich meine Tasche und verlasse mein Zimmer. Draußen ist es warm. Menschen hasten auf der Straße an mir vorbei, als ich mich auf den Weg zur Schule mache. Ich fühle mich wie immer einsam und schrecklich leer, wenn ich unter Menschen bin, die ich nicht kenne. An einer Ampel bildet sich ein Auflauf. Und Ich mittendrin. Ich will einfach nur noch weg, denn ich leide leider unter einer schlimmen Form der Anthropophobie. Das ist eine Angststörung bei der man Angst vor Menschen und Menschengruppen besitzt. Die Angst kam, als ich anfing, mich selbst zu verletzen. Ich zog mich immer weiter zurück, bis ich mich innerlich komplett von der Außenwelt abkapselte und nun mit ihr nicht mehr ganz klar komme. Ich gehe weiter und befinde mich nun vor meinem Schulgelände, als es vorklingelt. In wenigen Minuten beginnt die erste Schulstunde, weshalb ich mich jetzt beeilen muss. Als erstes habe ich Mathe. Das liegt auf der anderen Seite des Gebäudes im 3. Stock. Oben angekommen, schaffe ich es noch vor der Lehrerin, die zu spät kommt, ins Klassenzimmer. Frau Korb ist eine liebreizende Dame mittleren Alters, etwas streng, doch gutherzig und hilfsbereit. Im Klassenzimmer ist die Hölle los. Unsere wahrscheinlich noch pubertierenden Jungs, denen ich meist aus dem Weg gehe, stritten sich darüber, wer denn der Coolste sei. Wie albern. Die Mädchen unterhielten sich wiedermal über die neueste Mode und den Klatsch und Tratsch der Promi-Welt. Nirgends gehörte ich dazu, weshalb ich mich einfach auf meinen Platz in der ersten Reihe, ganz vorne, also da, wo keiner sitzen will, hinsetzte und anfing vor mich hin grübeln. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt endlich Frau Korb in die Klasse und sorgt für Ruhe. Der Matheunterricht beginnt mit einer langweiligen Übung zu Gleichungssystemen, Formeln und Termen. Mein absoluter Hass-Stoff in Mathe. Dennoch kämpfte ich mich durch die restliche Mathestunde. Danach hatten wir Sport. Deshalb ging ich so schnell ich konnte zur Mädchenumkleide, um mich noch vor den anderen umziehen zu können. Ich möchte nicht, dass sie wieder meine offenen und mit Narben übersähten Arme sehen und wieder dumme Kommentare reißen, dass ich mich nicht unter Kontrolle hätte. Ich schaffte es noch vor ihnen, zog mich schnell um und ging in die Turnhalle.
Die Sportstunde war wie immer für die Katz. Wie haben Sportspiele gespielt und mehr nicht. Wie kreativ von Herrn Adler. Die große Pause stand an und ich zog mich in den entferntesten Winkel zurück. Ich wollte alleine sein. Was die anderen während den Pausen machen, juckt mich nicht. Ich sitze immer hier in meiner Ecke und denke an mein scheiß Leben. Ob ich Suizid-Gedanken habe? Natürlich! Ein paar mal stand ich schon auf der Brücke, die ich mir ausgesucht habe zum Springen und Beenden meines Lebens. Bis jetzt stand ich nur auf der Brücke und schaute nach unten in die Tiefe. Irgendwann riss ich mich immer wieder los und lief weiter meines Weges. Die Schulklingel ertönte und ich konnte nicht mehr alleine sein und nachdenken. Ich muss wieder los. Ich stand auf und setze mich in Richtung Chemie in Bewegung. Chemie ist ein tolles Fach. Am meisten macht es mir Spaß, Stoffe zu verbrennen und die Hitze zu spüren. Heute jedoch behandeln wir Stöchiometrie. Wie langweilig! Nur sinnloses rumgerechne ohne Aktion. Doch nach ewigen warten und rechnen neigt sich die letzte Stunde für heute dem Ende entgegen und ich kann nach Hause gehen.
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Schwarz wie die Nacht
General FictionMein Ich ist ein bloßer Scherbenhaufen, eine Ansammlung verkrüppelter Einzelteile über einer schwarzen zerstückelten Seele, ein Nichts. Ich trete vor meinen Schrank der überquoll vor farbenfrohen Anziehsachen: Röcke, Hosen, T-Shirts und Jacken. Doch...