Zwanzigstes Kapitel

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„Sei jetzt bitte nicht eingeschnappt. Das ist total lächerlich", hörte ich Samuel einige Minuten später seufzten. Zwar wollte ich es nicht vor ihm zugeben, doch ich war ganz schön erleichtert, dass er den ersten Schritt machte und ich ihn somit nicht tun musste. Auf keinen Fall wollte ich noch länger hier alleine herumsitzen, noch weniger wollte ich allerdings nachgeben. Die Atmosphäre war gruselig und ich fühlte mich in dem immer dunkler werdenden Dschungel unwohl und allein. Aber so leicht konnte ich es ihm dann aber auch nicht machen. Was würde das schließlich für einen Eindruck hinterlassen? Einmal den Knochen hinhalten und Pfiffi kam wieder angetanzt, nein so lief das nicht. Ich prustete mir gespielt beleidigt eine Haarsträhne aus dem Gesicht und verschränkte die Arme.

„Och, ich finde es ganz schön hier. So schön ruhig und gemütlich", sagte ich laut genug, damit er mich verstehen konnte.
„Wenn das so ist, dann gute Nacht", erwiderte Samuel genervt und ich sah, dass er sich mit dem Kopf gegen den Baum lehnte. Was? In diese Richtung wollte ich das aber nicht lenken! Mist. Und nun? Als auch nach ein paar weiteren Minuten nichts mehr von seiner Seite aus kam, wurde ich zunehmend unruhiger. Das konnte er doch nicht ernst meinen, oder? Hinter mir war ein Rascheln zu hören, genauso wie neben mir und eine Gänsehaut schlich sich auf meine Arme. Was war das? Mit stark pochenden Herzen wartete ich ab, doch das Geräusch war verklungen. Puh, also bloß falscher Alarm. Trotzdem würde ich kein Auge zu tun, wenn ich hierbliebe. Als ich mir sicher war, dass Samuel eingeschlafen war, stand ich leise auf und schlich um das knisternde Feuer, welches eine angenehme Wärme abgab, herum. Vorsichtig ließ ich mich wieder an meinem alten Platz nieder, direkt neben Samuel und achtete darauf, ihn nicht zu berühren, damit er nicht aufwachte. Morgen früh allerdings würde ich ihm dann eine Erklärung liefern müssen, weshalb ich es drüben jetzt doch nicht mehr so gemütlich und schön fand. Vielleicht würde ich ihm erzählen, eine Raubkatze mit leuchtend grünen Augen hätte mich angestarrt und nur darauf gewartet, mich zu fressen. Das würde er mir aber natürlich nicht glauben.

„Da bist du ja wieder." Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich dachte, er würde schlafen? Ein selbstgefälliges Lachen ertönte, welches mich wirklich wütend machte, seine Augen hielt er geschlossen.
„Ich wusste, dass du zurückkommst." Er lächelte, wie ich im schwachen Schein des Feuers erkennen konnte.
„Ach ja?", fauchte ich und atmete tief und kontrolliert ein und aus.
„Sicher", nickte er und grunzte zufrieden. „Das war doch wohl klar."

Perplex sah ich ihn an. „Ich bin nur hier, weil dieser Platz näher am Feuer ist. Ansonsten säße ich noch immer da drüben, nur damit du das weißt", entgegnete ich trotzig und schloss komischerweise glücklich meine Augen. Eine seltsames Gefühl der Sicherheit machte sich in mir breit und ließ mich entspannen.
„Ah ja, dann kann ich ja gehen", lachte er leise und stützte sich mit seinen Händen am Boden ab, doch noch ehe er aufstehen konnte, griff ich reflexartig nach seinen Arm. Augenblicklich hielt er in der Bewegung inne.

„Doch nicht?", fragte er mit rauer Stimme, verharrte aber noch in der selben Position.
„Bleib", bat ich und biss mir auf mir unsicher auf die Lippe. War es okay, dass ich ihn nicht gehen lassen konnte? Wollte ich wirklich nur nicht allein sein, weil ich mich so sicherer fühlte, oder steckte vielleicht mehr dahinter? Samuel nickte sanft und ließ sich wieder zurücksinken, den Blick weiterhin auf mich gerichtet. Irgendwie war dieser Moment zwischen uns merkwürdig. Ich vergaß schlichtweg, ihn nicht leiden zu können.
„Ich bleibe", flüsterte er und mir fiel auf, dass noch immer meine Hand auf seinem Arm ruhte. Peinlich berührt zog ich sie zurück, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte.

Eine Weile starrten wir dann nur das Feuer an, ich traute mich nicht, meinen Kopf zu drehen und nachzusehen, ob Samuel die Augen noch offen hatte, aber ich war mir sicher, dass sie es waren. Ich versuchte einzuschlafen, auch wenn ich viel lieber wach geblieben wäre und mit ihm geredet hätte. Aber wieso? Immerhin war ich müde und je eher ich schlief, desto ausgeruhter war ich morgen früh, wenn wir aufbrechen wollte.
„Ich hatte auch mal eine Freundin", sagte Samuel plötzlich und ließ mich dadurch leicht zusammenzucken. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er etwas sagen würde. Und schon gar nicht das.

„Was ist passiert?", fragte ich neugierig und mit rauer Stimme. Ich erlaubte mir einen kurzen Blick auf sein Profil. Schließlich sprach er jetzt auch mit mir.
„Ich würde gerne sagen, dass es eine ganz alltägliche, scheiß klischeehafte Geschichte war, aber das war es nicht." Gedankenverloren starrte er ins Feuer, die Beine angewinkelt und drehte einen Stock in seinen Händen. Geduldig wartete ich, bis er weitersprach.
„Wir waren schon lange zusammen, als sie eines abends im Park überfallen wurde. Das ... das hat sie verändert. Die Tatsache, dass ich Forscher bin und sowieso viel unterwegs war, hat es nicht gerade besser gemacht. Ehrlich gesagt, bin ich danach regelrecht in den Dschungel geflüchtet. Ich kam nicht mit dem Menschen klar, zu dem sie geworden war und sie nicht mit meinem Beruf. Also trennten wir uns." Oh Gott, hieß das etwa, dass ... Mein Mund war auf einmal ganz trocken, meine Zunge klebte am Gaumen, was diesmal nicht daran lag, dass ich Durst hatte.

„Heißt es, dass ihr bei dem Überfall ... etwas zugestoßen ist?", fragte ich. Einmal ausgesprochen, klang die Frage viel zu ... intim. Ich schämte mich dafür, dass ich sie gestellt hatte.
„Ja", murmelte er und schloss mit gequältem Blick die Augen. „Ja, das heißt es, Julia."
„Gott", murmelte ich, wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Eine Gänsehaut überzog meine Arme, auch wenn es hier angenehm warm war.
„Heute bereue ich es, nicht bei ihr geblieben zu sein. Ich hätte ... ach egal. Es ist ohnehin zu spät." Danach schwieg er. Und ich ebenso. Was hätte ich auch sagen sollen? Kein Wort wäre passend gewesen.

Es verging einige Zeit, Samuel hatte bereits Holz nachgelegt, damit das Feuer nicht abbrannte, da sah er mich plötzlich wieder an, sein Blick fest und bestimmend, als hätte er mir das vorhin gar nicht erzählt. Und als hätten wir dadurch nicht eine ganz neue Stufe der Intimität beschritten.
„Also Julia, was ist denn nun mit diesem Lukas?" Verwundert runzelte ich die Stirn. Aus welchem Grund interessierte es diesen Mann, was mit meinem Freund war? Trotzdem beschloss ich, es ihm zu erzählen. Auch er war ehrlich zu mir gewesen, nun musste ich es ebenfalls sein. Ich war es ihm sozusagen schuldig.
„Ich denke nicht, dass er mir treu bleibt, während ich hier bin. Lukas hat so etwas angedeutet ... Und, selbst wenn ich es nicht wahrhaben will, glaube ich ihm." Ausgesprochen klangen die Worte sogar wie die Wahrheit. Die Tage über hatte ich es verdrängen wollen, doch es ließ sich nicht abschütteln.

„Dann solltest du nicht bei ihm bleiben. Das ist total einfach", sagte er kühl, beinahe unbeeindruckt.
„Aber ich liebe ihn", protestierte ich, allerdings klang es eher wie eine Frage. Samuel lachte, wirkte dabei wirklich amüsiert.
„Das denke ich nicht", grinste er und legte den Kopf schief. „Weißt du was? Wenn er dich betrügt, dann tu es ihm gleich." Und ehe ich realisieren konnte, was seine Worte bedeuteten, lagen seine Lippen auf meinen.

Aufbruch ins UnbekannteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt