Zweiundzwanzigstes Kapitel

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„Ich hoffe, wir finden jetzt nicht noch mehr von diesen Pfeilen", stöhnte Samuel, als wir gerade das vierte Teil aus dem Baum zogen. Langsam kam mir das alles auch recht ... seltsam vor. Wenn uns jemand etwas zeigen wollte, reichten da nicht auch weniger Pfeile? Oder war der Weg so weit? Ich wurde immer neugieriger, auf was wir stoßen würden, doch das Laufen wurde auch mehr zur Anstrengung. Ich hatte Durst, Hunger und mir tat so ziemlich alles weh, was nur wehtun konnte. Auch Stellen, von denen ich nie gedacht hätte, dass es sie überhaupt gab.

„Wie weit ist es denn noch?", jammerte ich und versuchte so gut es ging den gestrigen Abend zu vergessen. Schließlich war Samuel der einzige Mensch, mit dem ich hier reden konnte, auch wenn mir mittlerweile noch mehr klar geworden war, dass er nicht gerade der Jackpot war.
„Woher soll ich das wissen, Mädchen?", keifte er zurück und sah mich an, als wäre ich gestört.

„War bloß eine Frage", verteidigte ich mich und zuckte mit den Achseln. Ich konnte einfach nicht mehr. Doch noch ehe wir fünf Minuten weitergelaufen waren, spürte ich etwas auf meine Schultern platschen. Verwirrt zuckte ich zusammen, bis ich realisierte, was es war. Regen. Konnte das tatsächlich sein?
„Samuel?", murmelte ich und fasste ihm an seinen Arm.

„Ich weiß", antwortete er und richtete seinen Blick nach oben, den man durch das dichte, grüne Blätterdach ohnehin nur zu einem kleinen Teil sehen konnte. „Es regnet." Es dauerte bloß ein paar Sekunden, bis das sanfte Prasseln sich in einen stärkeren Regen verwandelte und mein Herz höher schlug. Das Geräusch klang wie Musik in meinen Ohren und verbesserte meine Laune um ein vielfaches. Ungeschickt ließ ich den Rucksack von meinem Rücken runter und öffnete, das Gesicht dem Himmel entgegen gereckt, den Mund und versuchte das Wasser so aufzufangen.

„Stell deine Flasche hin und trink so viel wie möglich. Wir können das Wasser später von den Blättern sammeln", sagte Samuel hastig und nestelte seine Flasche aus dem Rucksack. Schade, dass wir nicht noch andere Behälter besaßen, in denen wir mehr Wasser hätten auffangen können. Augenblicklich tat ich es ihm gleich und stellte wenigstens die Flasche sicher auf den Boden, ehe ich fortfuhr, das Wasser zu trinken. Die kühle Flüssigkeit fühlte sich erleichternd in meiner trockenen Kehle an, auch wenn sie nicht so schmeckte, wie ich es normalerweise gewohnt war und auch nur ein paar Tropfen meinen Mund erreichten.

Der Regen hielt bloß ein paar Minuten an und ich spürte, wie die Enttäuschung sich in mir breit machte, aber als ich sah, dass sich auf den größeren Blättern einiges an Wasser gesammelt hatte, war ich letztendlich zufrieden. Gierig trank ich die paar Schlucke aus meiner Flasche und kippte das Wasser von den Blättern wieder hinein, um sie aufzufüllen.
„Das wurde aber auch Zeit", murmelte Samuel und verstaute seine Flasche im Rucksack. Auch er wirkte zufrieden.
„Stimmt."
„Mit Glück können wir nachher noch einmal nachfüllen", sagte er und ich hoffte, dass er recht hatte.

Nun etwas geduldiger und mit nasser Kleidung gingen wir weiter, bis ein unangenehmes Drücken sich bei mir meldete. Mist. Bisher hatte ich es immer geschafft, so lange auszuhalten, bis Samuel beschäftigt war, aber diesmal würde das wohl nichts werden.
„Ich muss mal", murmelte ich also beschämt und sah Samuel an.
„Dann mach doch?" Gleichgültig zuckte er mit den Achseln und ich sah ihn verständnislos an.
„Ja, dann dreh dich doch auch mal um!", sagte ich. Auf Zuschauer hatte ich nun wirklich keine Lust. Samuel schnalzte mit der Zunge, wandte seinen Blick dann aber doch in die andere Richtung. Zur Sicherheit ging ich nochmal ein paar Meter weiter, allerdings wollte ich mich wegen der Gefahr vor giftigen Tiere nicht hinter ein Gebüsch hocken.

„Fertig?", rief Samuel genervt von weiter hinten. Ich verdrehte die Augen. Nicht einmal warten konnte er. Ich dachte an gestern und an den Kuss. War er seitdem noch unausstehlicher geworden oder bildete ich mir das bloß ein? Aber was erwartete er? Schließlich hatte ich Lukas.
„Ja", grummelte ich, als ich auf ihn zuging. „Wir können."
„Irgendwie ja eklig, dass du dir nicht die Hände wäschst", meinte er und verzog angewidert das Gesicht.
Tief durchatmend lächelte ich und versuchte ruhig zu bleiben.
„Gib mir doch dein Wasser dafür", säuselte ich und zwinkerte ihm zu.
Doch das ließ ihn völlig kalt. „Ist nicht mein Pipi", sagte er bloß und ging unbeeindruckt weiter.

Nach ein paar Minuten blieb Samuel dann aber plötzlich stehen und erst verstand ich nicht, wieso, aber dann sah ich es auch. „Hier ist noch einer", seufzte er und zog den Pfeil aus dem Baum, um ihn daraufhin in seinen Rucksack zu stecken.
„Eigentlich könntest du diese Dinger auch tragen" grummelte er noch, dann erstarrte er in seiner Bewegung.
„Du bist doch der Kerl hier. Zumindest tust du ständig so", entgegnete ich, weil mir nicht aufgefallen war, dass etwas nicht zu stimmen schien. Seine Stimme klang brüchig und dünn, als hätte er irgendetwas gesehen, was ihn schockiert hatte.
„Ich glaube, wir sind am Ziel."

Aufbruch ins UnbekannteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt