Epilog

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Sieben Monate später


„Bist du bereit für dein nächstes Abenteuer, Kleines?" Dad zwinkerte mir verschwörerisch zu und zog mich sanft in seine Arme. Das würde ich vermissen. Elterliche Liebe. Diese Art von Geborgenheit, die nur sie einen geben konnten. Tapfer straffte ich meine Schultern und sah ihm fest in die Augen, als er sich von mir löste und mich eine Armesbreite von ihm entfernt hielt.

„Bereit", antwortete ich mit fester Stimme und zog die Gurte meines Rucksacks enger an mich heran. „Und dieses mal weiß ich auch, worauf ich mich da einlassen. Jedenfalls so ungefähr", grinste ich, was Dad ein wenig zum Grinsen brachte. Als Samuel vor etwa sieben Monaten an sein Handy gegangen war, war das der unverhoffte Anfang eines neuen Kapitels in meinem Leben gewesen. Eines unglaublich langen, schönen Kapitels, welches spannend werden würde, aufregend und einfach nur wundervoll, vielleicht auch ein wenig gefährlich, wer wusste das schon. Wir hatten Stunden miteinander gesprochen, an diesem Tag, am nächsten und an allen weiteren Tagen danach. Wie sich herausgestellt hatte, war er noch immer in Afrika, hatte sogar zu der Zeit meines Anrufes noch geforscht, aber wir wussten beide, dass er unglücklich in seinem Beruf war. Zumal er eben auch nicht der beste Forscher war. Aber das nur am Rande bemerkt. Bis heute habe ich ihn nicht auffliegen lassen, auch wenn ich es alleine wegen Lukas und John liebend gerne getan hätte. Und war immer noch der Meinung, dass es das Richtige war. Manche Geheimnisse blieben eben doch lieber klein. Nun ja, abgesehen davon hatte diese Tür sich sowieso längst geschlossen. Selbst wenn ich es jetzt noch erzählen würde, würde man lediglich behaupten, ich hätte beinahe ein ganzes Jahr gebraucht, um mir dieses abenteuerliche Märchen auszudenken. Aber egal. Das war Schnee von gestern.

Zumindest hatte sich daraus etwas Neues ergeben. Etwas großartiges. Wäre es damals nicht so gekommen, wäre ich nie mit Samuel alleine gewesen und unsere Beziehung hätte keine Chance gehabt, übers Brote schmieren hinauszugehen. Unsere Gefühle füreinander waren stärker denn je und fest stand, dass wir uns wiedersehen mussten, auch wenn das ganz schön lange gedauert hatte. Also haben wir lange und ausgiebig überlegt, wie wir die Entfernung am besten überbrücken konnten, damit ich nicht nur für einen kurzen Urlaub vorbeischaute und gleichzeitig sein und mein Berufsproblem zu lösen. Diese waren nämlich immer noch sehr aktuell. Das Medizinstudium, für das Mom sich so begeistert hatte, war nun eben nicht ganz so mein Ding. Zumindest mussten wir uns vorübergehend etwas überlegen. Samuel hatte dann einige Zeit später durch Zufall erfahren, dass es da so ein Projekt gab. Ein ganz besonderes sogar.

Und zwar wollte eine kleine, neue Organisation, die erst vor kurzem ins Leben gerufen worden war und dringend Freiwillige brauchte, Schulen für Kinder aufbauen. Und das in Afrika. Ich war sofort Feuer und Flamme gewesen. Wie damals beim dem Praktikum konnte mich niemand davon anhalten. Nur, dass sie es diesmal auch nicht so doll versucht hatten. Klar, ich war auch auf Wiederworte gestoßen, aber das hier war eine gute Sache. Vielleicht würde ich ja sogar irgendwann Lehrerin werden und in einer dieser Schule unterrichten.

Ich hatte dann Mom und Dad überredet, mich noch einmal in die große, weite Welt zu lassen und als sie mir ihre Zustimmung gegeben hatten, war mir ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Nicht, dass ich es nicht auch ohne getan hätte, aber so war es ja doch schöner.
Samuel und ich hatten dann alle Hebel in Bewegung gesetzt und letztendlich hatte ich meine Flugtickets gekauft und meine Sachen gepackt. Ich hätte nie gedacht, Afrika so schnell wiederzusehen, noch weniger Samuel, aber es fühlte sich richtig an. Verdammt richtig. Nun konnte ich endlich wieder glücklich sein. Und jetzt, genau in diesem Augenblick, stand ich am Flughafen, bereit, mein nächstes Abenteuer zu erleben. Die Lust darauf war mir nie so richtig vergangen. Ich liebte den Nervenkitzel dafür zu sehr. Allerdings hoffte ich, diesmal nicht fast getötet zu werden.

„Und hältst du es dieses mal auch für eine gute Idee, Mom?", fragte ich noch einmal grinsend und schaute sie mit großen Augen an. Sie schluchzte, ihr kamen die Tränen, aber sie nickte, wenn auch nur zögerlich. Mütter würden wohl immer so bleiben, aber das war auch gut so.
„Diesmal habe ich ein weitaus besseres Gefühl, mein Liebling", sagte sie und nahm mich fest in die Arme. „Aber komm zurück, ja? Versprichst du es?"
Ich lachte glücklich. „Natürlich, Mom, ich werde zurückkommen. Das werde ich immer. Egal, wo ich bin." Auch wenn mein Leben in eine ungeahnte Richtung ging, würde England mein zu Hause bleiben. Auf ewig.
„Und sag deinem Samuel, er soll ja gut auf dich aufpassen, okay? Nicht, dass dir noch einmal etwas passiert."

„Mom", stöhnte ich langgezogen und wandte mich aus ihrem Griff. „Mir wird nichts passieren. Versprochen. Nicht mit ihm an meiner Seite." Da war ich mir sicher.
„Macht's gut." Ich lächelte und winkte zum Abschied, ehe ich durch die Sicherheitskontrolle ging und kurze Zeit später in den Flieger stieg, der mich zurück zu Samuel bringen würde.

Meine Vorfreude war unermesslich und als ich endlich, endlich in Afrika landete, fühlte ich mich glücklicher denn je. Ein kleines bisschen fühlte es sich sogar nach Heimat an. Und das war ein fantastisches Gefühl. Diesmal wartete nämlich genau der richtige Mann auf der anderen Seite auf mich.
Zugegeben, ich hatte schon ein wenig Angst gehabt, es könne komisch zwischen uns sein, aber als er wahrhaftig vor mir stand, waren alle Zweifel wie weggeblasen, als hätten sie nie existiert.
„Julia", hauchte er und hob seine Hand an mein Gesicht. Er hatte sich kaum verändert. Bloß sein Haar war ein wenig länger als zuvor. Und was sich ebenfalls nicht geändert hatte, war, dass seine Berührung mir noch immer einen Schauer über den Rücken jagte. Im positiven Sinne.

Das hatte sich auch nach all den Monaten nicht geändert.
„Und dieses mal sind wir ehrlich zueinander. Nichts als die Wahrheit." Wieso mir ausgerechnet das einfiel, wusste ich nicht. Es gab tausend andere Sachen, die ich hätte sagen können, tausend andere Sachen, die ich hätte tun können.
„Nichts als die Wahrheit", bestätigte er und strich mir noch einmal mit dem Daumen über meine Wange. Dann grinste er, umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und legte seine Lippen sanft und doch ungestüm auf meine. In diesem Moment löste sich alle Anspannung, die ich noch gehabt hatte und ich war nun ganz angekommen. In einer neuen Welt. In meiner Welt. Dieser Kuss war kein Wiedersehenskuss, er war ein Versprechen. Ein Versprechen auf alles, was noch kommen würde.
Ich hatte das gekriegt, was ich immer gewollt hatte, auch wenn ich mir mein Abenteuer nicht ganz so vorgestellt hatte. Doch jetzt war ich bereit für das Nächste und wusste, dass diesmal alles anders sein würde.



Aufbruch ins UnbekannteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt