Achtes Kapitel

2.1K 199 17
                                    

„Wir sollten ein Lager aufschlagen", war nun wirklich nicht das, was ich hören wollte und trotzdem sagte Samuel es. „Es wäre gut, wenn wir uns etwas ausruhen und es ist sowieso schon dunkel, was diese Angelegenheit nur noch gefährlicher macht." Fast stolperte ich über eine Wurzel, als er so abrupt stehenblieb und konnte gerade noch in letzter Sekunde mein Gleichgewicht halten. Auch wenn meine Füße schmerzten und meine Lunge brannte, wollte ich unter keinen Umständen stehenbleiben und schon gar nicht die Nacht hier verbringen.

„Ich bin dafür, dass wir weitergehen. Vielleicht sind wir ja schon ganz in der Nähe des Lagers, dann würden wir uns morgen früh ärgern, stehen geblieben zu sein", meinte ich und hoffte inständig, er würde mir, wenigstens dieses eine mal, recht geben und auf mich hören. Tat er allerdings nicht. Hätte mich auch gewundert.

„Leg deinen Rucksack ab", befahl er stattdessen und lehnte seinen vorsichtig gegen einen Baum. „Hast du Hunger? Ich hab noch ein paar Sandwiches dabei." Erst jetzt merkte ich, wie mein Magen knurrte. Ein Wunder, dass ich ihn die ganze Zeit überhört hatte. Ich nickte also. Wortlos holte Samuel welche aus seinem Rucksack und reichte mir dann eins. Und erst als ich schon die Hälfte in mich hineingestopft hatte, holte ich wieder Luft.

„Wir sollten ein Feuer machen", murmelte Samuel, was mich zusammenzucken ließ. Ein Feuer? Hier im Dschungel? War er wahnsinnig?
„Ein Feuer?", wiederholte ich ungläubig. „Und damit die Bäume abfackeln oder was?"
„Oder was?", äffte er mich in einem Tonfall nach, der es in sich hatte. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein du Dummerchen, wir brauchen ein Feuer, um uns vor den Tieren zu schützen." Ach so.

Mit diesen Worten stand er auf und hob ein paar Äste vom Boden auf, die er auf einen Haufen zusammensammelte. Ich beobachtete ihn dabei.
„Sag mal, hast du denn gar keine Angst?", fragte ich ihn, während er die letzten Holzstücke zu den anderen legte.
Wie konnte er nur so locker damit umgehen? Das Einzige, was mich davon abhielt, auszuflippen, war die Hoffnung und der Glaube daran, dass alles wieder gut werden würde.

„Nein", antwortete Samuel und warf mir einen schnellen Blick zu, was mich wirklich überraschte. Um uns herum raschelte ständig irgendetwas, ohne, dass wir wussten, was es war. Hier war es niemals still. Dann waren wir vom Team getrennt und hatten keine Ahnung, wie wir zurückfinden sollten und ihn juckte es nicht? Entweder war er extrem leichtsinnig oder auch extrem mutig ...

Ich wusste nicht wieso, aber ich hatte angenommen, er würde jetzt, so ganz Steinzeitmäßig, Stöcker aneinanderreiben, um ein Feuer zu entzünden. Stattdessen holte er ein Feuerzeug aus seinem Rucksack und machte es auf die neumodische Art.
„Doch, ich habe Angst", sagte er dann plötzlich, als das Feuer kurz danach zu knistern begann und das Licht unseren Platz erhellte.

Auch wenn ich noch nie so aufrichtige Worte von ihm gehört hatte, wünschte ich gleichzeitig, er hätte sie nicht gesagt. Mir wurde klar, dass ich mir gewünscht hatte, er würde mutig sein, denn jetzt wusste ich, dass seine Furchtlosigkeit mich insgeheim beruhigt hatte.
„Um ehrlich zu sein, hatte ich noch nie in meinem ganzen Leben so eine Scheißangst." Ich schluckte. Noch nie? Schweiß trat mir auf die Stirn und meine Zunge fühlte sich auf einmal ganz taub an. „Bist du jetzt zufrieden, Julia?" Schweigend betrachtete ich sein Gesicht, welches zur Hälfte vom Schein des Feuers erhellt wurde.

„Zufrieden?", wiederholte er die Frage ungeduldig, als ob er ernsthaft eine Antwort darauf wollen würde. Er tat so, als wäre ich an all dem Schuld. Aber vielleicht war ich das ja auch. Zumindest in seinen Augen.
„Ich glaube daran, dass wir es schaffen werden", flüsterte ich.
Samuel schnaubte. „Ja, weil du auch noch an Einhörner und Glitzerfeen glaubst. Seh' der Realität ins Auge, es steht fünfzig zu fünfzig, dass wir es schaffen. Es gab schon einmal einen solchen Fall. Und der ist nicht gut ausgegangen."

Seine Worte trafen mich hart. Nicht, weil er mich schon wieder beleidigt hatte, daran gewöhnte ich mich sogar langsam, sondern, weil er unsere Chancen nicht sehr hoch einschätzte. „Ich weiß. Allison hat mir davon erzählt."
Samuel wandte den Kopf in meine Richtung.
„Ach, hat sie das?", fragte er und ich nickte. „Er ist nicht zurückgekehrt, Julia. Niemals. Und das ist so lange her. Keiner weiß, was mit ihm geschehen ist. Vielleicht wurde er von Tieren angegriffen, oder er starb an einer giftigen Pflanze oder so etwas. Hier drinnen gibt es viele Möglichkeiten, zu sterben."

Ich war schockiert und Wut staute sich in mir auf. „Du kannst doch nicht so leicht aufgeben!", sagte ich.
„Ich gebe nicht auf, ich bin bloß realistisch. Man, ich könnte mir selbst in den Arsch beißen dafür, dass wir nicht verdammt nochmal dort geblieben sind, wo wir waren. Aber ich habe wirklich geglaubt, die Schreie aus der Richtung gehört zu haben. Und außerdem, wenn du nicht gewesen wärst, dann hätte ich mich nie vom Team entfernen müssen!"

„Ach, jetzt gibst du mir also die Schuld?", schnaubte ich. Das konnte ja wohl nicht wahr sein, aber eigentlich war es mir ja klar gewesen. „Immerhin wollte ich nicht durch die Gegend rennen!"
„Gewissermaßen, ja", gab er als Antwort, klang aber nicht allzu überzeugt davon.
„Unglaublich." Sauer und seltsamerweise auch ein wenig enttäuscht, zog ich mich ein paar Meter zurück und setzte mich auf einen umgekippten Baumstamm. Erschöpft legte ich meinen Kopf in die Handflächen und schloss die Augen. Es tat gut, meinen Körper ein wenig zu entlasten, allerdings wirbelten in meinem Kopf tausend Gedanken herum, sodass ich keinen Moment Ruhe bekam. So lange, bis einer greifbar war und mich nicht mehr losließ. Langsam hob ich den Kopf und starrte zu Samuel, der gegen einen Baum gelehnt dasaß und in die Gegend starrte.

„Samuel", murmelte ich leise, dann nochmal, weil ich glaubte, dass er mich nicht gehört hatte. Endlich hob er seinen Kopf und sah mich an. „Die anderen haben die Schreie aus einer ganz anderen Richtung gehört. Sie waren sich so sicher, dass es diese war. Du nicht. Dann erklangen sie wieder und selbst als wir losgelaufen waren, waren sie noch da. Aber die anderen sind nicht zurückgekommen, um uns hinterherzulaufen. Und wir haben niemanden gefunden." Meine Stimme klang ganz heiser, ich hatte Probleme das auszusprechen, was ich dachte. Tief Luft holend fuhr ich dann aber doch fort. „Was, wenn es kein Irrtum war, Samuel? Was, wenn uns jemand in eine Falle gelockt hat?"

Aufbruch ins UnbekannteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt