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ELLE

»Geh jetzt, ich muss noch arbeiten«, befahl mir Carlo und deutete mir das ich verschwinden sollte. »Ja«, sagte ich leise und senkte meinen Kopf, lief langsam auf die Tür zu und öffnete sie. » Elle-« hielt mich der Chef meines Vaters mich an der Tür auf. Ich hielt inne und drehte mich auf der Stelle um. »Sag Rosa, dass sie dir ein Kleid rauslegen soll. Wir werden heute Abend schick essen, sobald mein Sohn wieder da ist«, wies er mich an. Ich brachte ein fahriges nicken zustande, zu tief saß der Schock über das, was gerade geschehen war. Er zeigte mir mit seiner Hand das ich verschwinden sollte, also verließ ich den Raum und schloss die Tür hinter mir.
Im Flur atmete ich tief durch und strich mir die Tränen aus den Augenwinkeln. Meine Wange pochte mindestens genauso schlimm wie mein Kopf, wenn nicht sogar noch mehr. Mich würde es nicht wundern, wenn seine Schläge meine Wange in den nächsten Tagen blau färben würden. Er hatte so kräftig zugeschlagen, dass mein Kopf zur Seite geflogen war.

»Da bist du ja«, Rosa riss mich aus meinen Gedanken als sie im Flur auftauchte. Ihr Gesicht verdüsterte sich, als sie mich ansah. Sie presste die Lippen aufeinander, sagte aber nichts dazu. Mir war klar, dass sie hier nichts zu melden hatte. Schlecht über ihn zu reden, führte vermutlich nur dazu, dass er ihr schlimme Dinge antun würde. »Komm, dein Essen ist fertig«, wisperte sie und legte ihre Hand mitfühlend auf die Schulter. Ich folgte ihr mucksmäuschenstill und sank auf den erstbesten Stuhl am Küchentisch. Rosa reichte mir ein in ein Handtuch eingewickeltes Kühlakku und kehrte hinter den Ofen zurück. Ich stieß ein Stöhnen aus, als das kalte Stück meine pochende Wange berührte. Aber es tat gut. Ohne Ziel starrte ich aus den Fenstern und sah zu, wie es regnete. Wir mussten noch in Florida sein, denn ich sah schwach die Skyline von Miami in der Ferne, bevor sie eins mit den trüben Wolken wurden. »Hier«, riss Rosa mich aus meinen Gedanken. Sie schob einen tiefen Teller Suppe vor mich, die verdächtig nach Gemüse roch. »Danke«, flüsterte ich ehrlich. Sie war die Einzige, die nett zu mir war. Mit einem müden Lächeln auf den Lippen wandte sie sich ab und beschäftigte sich hörbar mit dem Aufwaschen. Ich aß in Ruhe, die warme Suppte tat dem flauen Gefühl in meinem Magen und meiner staubtrockenen Kehle gut. Es war das erste, dass ich aß seit gestern, und inzwischen musste es schon Mittag sein. »Schmeckt es?«, erkundigte die Haushälterin sich nach einer Weile bei mir. Mit vollem Mund nickte ich und legte den Löffel auf den leeren Teller. »Ja, vielen Dank.« Ich zwang mir ein Lächeln auf, dass nicht meine Augen erreichte, sondern nur meine Wange erneut zum Schmerzen brachte. Verdammt.
»Carlo sagte, du sollst mir ein Kleid für heute Abend rauslegen«, fiel mir ein und ich sah zu, wie die dunkelhaarige meinen Teller mitnahm und in der Spüle schnell aufwusch. »Er will, dass du mit ihnen isst?«, fragte sie skeptisch und ich nickte. Ja, war der Gedanke so abwegig? Sie legte ihre Stirn nachdenklich kraus aber sagte nichts weiter dazu. Vermutlich war dies auch besser so. Keine ihrer Worte könnten die Situation besser machen.
»Mhm, sein Sohn wird vermutlich auch gleich ankommen«, fällt ihr mit einem Blick auf die Uhr auf. Hellhörig lege ich das inzwischen warme Kühlakku beiseite und wende mich ihr zu. Der Mann, den ich ehelichen sollte? Wie er wohl war?
»Ist er so, wie dieser Carlo?«, wollte ich leise wissen und senkte den Kopf hinab, zu interessant waren die spielenden Finger auf meinem Schoß. Sie lenkten mich etwas von meiner Nervosität ab, die ich verspürte, wenn ich an die Situation dachte. Ich konnte nur beten, dass ich falsch liegen würde und er nicht so war wie sein Vater.
»Nein, Leano ist ein lieber und ganz anders als sein Vater. Manchmal haben sie gewisse Ähnlichkeiten, aber er ist nicht wie Carlo«, beteuerte sie mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Sie musste ihn schon sehr lange kennen. Wie lang sie wohl bereits für seine Familie arbeitete?
»Leano?«, wiederholte ich seinen Namen fragend. Ich hatte ihn zuvor noch nie gehört, doch er klang schön.
Die schwarzhaarige nickte.
»Ja, ein schöner Name, nicht?«, lächelte sie und trocknete sich die Hände an einem karierten Geschirrtuch ab.

Für einen Moment wurde es ganz still in der Küche. So still, dass ich den Regen hören konnte, der gegen die Scheiben trommelte. Die Tropfen zogen meine Aufmerksamkeit eine Weile auf sich. Über der Skyline blitzte es, prompter Donner folgte. Die schwarzen Wolken, die vom Meer her aufgezogen waren, nahmen stetig zu.
»Weißt du, wie alt er ist?«
»Er ist Ende zwanzig und der älteste«, antwortete sie. Glück gehabt. Ich dachte schon, der wäre vierzig.
Rosa schien mein erleichtertes Aufatmen zu bemerken, denn ihre Mundwinkel zuckten immer wieder nach oben und sie trat hinter der Kochinsel hervor. »Soll ich dir noch den Rest des Hauses zeigen Liebes? Danach kann ich dir dein Kleid holen«, schlug Rosa vor. »In Ordnung«, erklärte ich mich einverstanden und folgte ihr.

Mir war nach der unteren Etage klar, dass Carlo sehr reich sein musste. Die teuren gerahmten Leinwände, Kronleuchter und der imposante Treppenaufgang waren nur einige Indizien dafür. Von Raum zu Raum wurde die Einrichtung exquisiter, getoppt von einer goldenen Löwenskulptur in einem der Flure.
Dieses Haus war der Wahnsinn.
Durch die vielen Fenster erkannte ich den Zaun und einige Security Männer im Vorgarten, und hinten zu patrouillieren. Selbst im Sturm standen sie draußen und sie schien es nicht zu kümmern, dass sie klitschnass werden würden. Ob die bewaffnet waren? Vermutlich. Ich wollte es nicht herausfinden.

Nach der Tour bat mich Rosa, mich ins Wohnzimmer zu setzen, da sie noch einige Dinge erledigen musste und ich nicht unbeaufsichtigt im Haus sein durfte. Durch die Panoramafenster hatten die Männer auf der Terrasse einen guten Blick auf mich, und ich begann mich unwohl unter ihren Blicken zu fühlen. Es waren drei, in dessen Gürteln ich den Griff schwarzer Pistolen erkennen konnte. Wenn das nicht genug wäre, nein, die Blicke, die sie mir zuwarfen, waren tödliche. Ich war kein Gast und das würden sie mich spüren lassen, sollte ich einen falschen Schritt wagen. Nach einiger Zeit wandten sie ihre Gesichter zum Garten ab, aber das mulmige Gefühl in meinem inneren blieb.
Rosa huschte ein paar Mal an mir vorbei in die Küche, die Treppen rauf und runter und hatte immer die Hände voll. Die Zeit verstrich und ich lehnte mich in dem gemütlichen Polstersofa zurück, starrte hinaus in den Regen und wünschte, dass die Zeit schnell verstrich.

Aus meinen Gedanken holte mich das ruppige Aufreißen der großen Haustür, die mich zusammenfahren ließ. »Che tempo di merda! Ugh«, erklang prompt eine raue, erzürnte Stimme. Die Tür krachte erneut und ich erhob mich mit zittrigen Händen vom Sofa. War er das? War das der Mann, den ich heiraten sollte?
»Leano, mi hai spaventato! Wie siehst du denn aus? Wie ein Pudel!«, meckerte Rosa und tauchte aus der Küche auf. Mit klopfendem Herzen näherte ich mich dem Geschehen und entdeckte ihn. Er stand auf dem Marmorboden, triefend nass, die Haare tropften ihm aufs Gesicht und lockten sich bereits. Er war groß, die Schultern breit und der Körper unter einem maßgeschneiderten Anzug versteckt. In seinem Gesicht lag so viel Wut wie in dem von Carlo, und ich glaubte nicht, dass Rosa ihre Worte vorhin ernstgemeint hatte. Denn bis jetzt wirkte er genau wie sein Vater.
»Schön dich zu sehen«, murrte er und zupfte an seinem triefend nassem Jackett herum. »Lass mich dir helfen«, bat Rosa an und streifte es ihm über die Schultern. Es war so klitschnass, dass sich bereits Pfützen auf dem Marmorboden bildeten.
Zurückhaltend lehnte ich mich gegen die neben mir befindliche Wand und lugte hervor, in der Hoffnung, dass die mich nicht sofort entdecken würden. Ich wollte nicht mit ihm sprechen, geschweige denn ihm gegenübertreten. Ich konnte nicht leugnen, dass er gut aussah, aber heiraten würde ich ihn dennoch nicht freiwillig. Nein, ich wollte über mein Leben selbst entscheiden. Dieser Mann gehörte nicht dazu, und würde es auch sicher nie. Etwas Neugier allerdings, sei mir vergönnt. Man muss seine Feinde schließlich kennen.
»Ist Vater in seinem Büro?«
Der Blick des dunkelhaarigen schweifte durch den Raum und bliebt einen Moment an mir hängen. Ich fühlte die Kälte seines Blickes auf mir ruhen und schüttelte mich kaum merklich. Es fühlte sich an wie Millionen kleiner Nadeln auf meinem Gesicht, als seine Iriden meine Konturen entlangfuhren. Meine Finger krallte ich in den weißen Putz der Wände, in der Hoffnung mit ihnen eins zu werden, doch das passierte natürlich nicht. Unsere Blicke kreuzten sich, seine Iriden waren so düster wie die Nacht und so tief wie das Universum selbst. Ich hielt die Luft an, trat einen Schritt zurück, während er mich anstarrte, als würde er mich gleich töten wollen. Eine fürchterliche Kälte erfasste mich zum zweiten Mal und ich zog meine Finger von der Wand weg als hätte ich mich an ihr verbrannt.
»Wieso ziehst du dir nicht erstmal was Trockenes an, hm? Dein Vater läuft nicht davon«, schlug Rosa mit lieblicher Stimme vor und der Mann wandte seine Augen endlich von mir ab. Er sah auf sie hinab, nickte und legte eine Hand ans Geländer der großen Treppe. Ein letztes Mal sah er mit mahlendem Kiefer zu mir, bevor er ins Obergeschoss verschwand und ich keuchend nach Luft schnappte.

she's only mine ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt