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LEANO
Einige Stunden zuvor...

»Hast du mir überhaupt zugehört Leano?« wollte Giorgio, die rechte Hand meines Vaters, wissen. »Hm?«, murmelte ich fragend und wandte mein Gesicht vom Fenster des Flugzeuges ab. Er saß mir gegenüber, die Hände auf dem Tisch zwischen uns gefaltet und einen missbilligenden Blick aufgesetzt, als wäre er derjenige, der mir was sagen könnte. »Ich sagte, dass dein Vater heute Abend ein kleines Essen für dich und deine Braut veranstaltet«, wiederholt er sich seufzend und schüttelte den Kopf. Ein winziges Schnauben entfuhr mir, und ich schloss meine Finger um das Leder der Armlehne, um nicht völlig den Verstand zu verlieren. Von der Schnapsidee meines Vaters, zu heiraten, hielt ich genau so viel wie von Pizza zu Weihnachten. Er verstand nicht, dass es mein Leben war, und nicht sein zweites, dass er durch mich erleben wollte. Ja, ich war der älteste und musste einmal in seine Fußstapfen treten und vielleicht hatte ich mich damit auch abgefunden, aber nicht damit, dass er mich zwingen wollte, zu heiraten. Ich war gerade erst aus Italien zurückgekehrt und bereits in ein paar Tagen sollte es zurück dorthin gehen, mit dieser Frau, die er irgendwo für mich gekidnappt hatte. Ich kannte Franks Tochter nicht, und wollte auch nichts über sie wissen. Sie war mir schlichtweg egal und genau so würde es auch bleiben. Frank machte einen großen Fehler und ich dachte, dass mein Vater eine andere Lösung dafür fand, die nicht seine Tochter beinhaltete. Wieso wollte er überhaupt, dass ich die Tochter eines Verräters heiratete? Carlo war mir ein verdammtes Rätsel.
Zudem wäre sie nur jemand, den man gegen mich verwenden könnte, selbst wenn mir nichts an ihr lag. Der Fakt das viele Menschen wussten, dass sie meine Frau werden sollte, schützte sie nicht vor Angriffen unserer Feinde. Denen wäre es egal, wie viel sie mir bedeutet, sie würde sie gegen mich verwenden, was nur noch mehr Probleme machen würde, denn als meine Frau, wäre ich gezwungen, sie zu rächen. Ich hätte wenig Lust auf noch mehr Probleme und eine Schwachstelle, die mir nur auf den Geist gehen würde. Wenn ich jemanden heiraten wollen würde, hätte ich das schon längst getan.

»Wie weit ist es denn noch bis Florida?« wollte ich wissen. Ich mochte die Gegend dort nicht, aber jedes halbe Jahr lebte mein Vater dort, um vor Ort mit unseren Geschäftspartner zu verhandeln. Die andere Hälfte des Jahres verbrachte er zuhause in Italien, wo auch ich lebte.
»Nicht mehr weit, vielleicht eine Stunde. Wir sind noch über dem Atlantik« antwortete Giorgio mir.
»Und wen hat er eingeladen?« wollte ich wissen und lehnte mich in den bequemen Ledersessel zurück. Gelangweilt winkte ich mir eine der Flugbegleiterinnen herbei und bestellte mir ein Glas Schnaps. Vielleicht war der Abend später dann ertragbar.
»Dein Vater wird nicht erfreut sein, wenn du dich betrinkst, noch bevor wir angekommen sind«, merkte Giorgio an. Schulterzuckend nahm ich der Blondine das Glas ab und exte es mit großen Schlucken aus. »Der kann mich mal, reicht wohl schon, dass er völlig durchgeknallt ist und irgendeine Tussi entführt hat, die er mit mir verheiraten will«, fuhr ich ihn bissig an und knallte das Kristallglas auf den edlen Holztisch.
»Er sorgt sich um dich«, wandte der Italiener mit monotoner Stimme ein. Kopfschüttelnd sah ich zurück in die rosa blauen Wolken. »Falsch, er sorgt sich um die Zukunft der Mafia, siehst du das denn nicht, Giorgio? Er will einen Enkel, damit er ohne Sorgen ins Gras beißen kann, mit dem Wissen, dass es nach mir noch jemanden gibt, der sein Imperium aufrechterhält«, knurrte ich und mahlte auf meinem Unterkiefer hin und her. Alles, was ich soeben gesagt hatte, war nichts als die Wahrheit. War Giorgio zu blind, um dies zu erkennen? Oder war es ihm nur schlichtweg egal, was ich sagte? War er meinem Vater schon so tief in den Arsch gekrochen?
»Selbst, wenn du das vielleicht so siehst, bist du noch immer sein Nachfolger und Sohn. Ihm liegt was an dir, Leano.«
»Ich glaube nicht, dass Carlo Moretti etwas oder jemanden lieben kann, außer sich selbst und sein Geld.«
Giorgio erwiderte nichts darauf, was meine Worte nur untermauerte. Mein Vater konnte zwar alle anderen täuschen, aber sicher nicht mich. Dafür kannte ich ihn zu lang. Ich war kein Idiot und würde auch nie einer sein.
»Mach dir doch erstmal ein Bild von der Frau, und dann kannst du noch entscheiden, ob du sie hassen willst oder nicht.«
»Ob es bei meinen Eltern auch so war?«, fragte ich und warf der rechten Hand meines Vaters einen giftigen Blick zu. Es gab immer etwas, dass zwischen meinen Eltern stand. Meine Mutter mochte ihn zwar lieben, und vielleicht tat Carlo das damals auch, doch heute war nur noch die blanke Verbitterung in seinen Knochen geblieben, die ihn erfüllte.

~

Eine knappe Stunde später landeten wir endlich in Florida. Die Landebahn eine einzige Pfütze. Die Triebwerke des Jets so laut, dass ich nicht verstehen konnte, was Giorgio mir noch nachrief. Ich winkte lediglich ab und setzte meinen Weg fort. Wenn es so wichtig war, würde er es mir nachher noch erzählen, da war ich mir sicher. Der Regen preschte mir ins Gesicht als ich die Treppen des Jets hinuntereilte und auf den schwarzen SUV zuhielt, der schon unweit von der Maschine auf dem Rollfeld wartete. Ich war schneller als der Fahrer, der mir gerade einen Regenschirm öffnen wollte. Dankend klopfte ich ihm auf die Schulter und schwang mich auf den Rücksitz des Autos, um dem strömenden Regen zu entfliehen. Die Tür knallte zu und genau zu diesem Zeitpunkt folgte ein grollender Donner. Ohne auf die rechte Hand meines Vaters zu warten, setzte der Wagen sich in Bewegung, noch bevor die Mitarbeiter des Flughafens die Koffer ins andere Auto verladen hatten. Giorgio würde mit dem zweiten SUV nachkommen, ich brauchte etwas Ruhe, bevor ich mich in die Höhle des Löwen wagen würde. Würde nicht so ein Mistwetter herrschen, hätte ich mich an den Strand verpissen können, aber das fiel nun wohl wortwörtlich ins Wasser.

Super.

Ausatmend legte ich den Kopf zurück in den Nacken und schloss die Augen einen Herzschlag lang. Ich war bis auf die Haut durchweicht, die Haare tropfend, lockten sich bereits. Ich hegte solch einen Hass auf dieses Wetter. Hoffentlich würde ich so schnell wie möglich zurück ins sonnige Italien gelangen. Hier hielt man es nicht lang aus und ich war einfach nicht der Mensch für nasses kaltes Wetter wie dieses. Es zog meine Stimmung endgültig in den Keller, ohne dass es mir gelang, sie wieder anzuheben. Nicht mal der Gedanke an eine heiße Dusche heiterte mich auf.

»Hatten Sie einen angenehmen Flug Mr Moretti?«, erkundigte sich der Fahrer höflicherweise nach kurzer Zeit vom vorderen Sitz. Mir war nicht danach Smalltalk zu führen, aber ein kurzer Wortwechsel konnte nicht schaden, oder? »Ging so«, brummte ich säuerlich und versuchte wenigstens etwas freundlich zu klingen, was mir üblich schwerfiel.

»Wissen Sie, ob mein Vater sich im Haus aufhält?«, hakte ich neugierig nach. Der Fahrer dessen Namen ich nicht kannte, sah mich durch den Rückspiegel an und nickte. »Das ist er. Ihr Vater ist bereits den ganzen Tag dort«, lies er mich wissen und verursachte damit, dass meine ohnehin schon krumme Laune noch tiefer in den Keller rutschte. Ja, ich musste mit ihm sprechen, aber den Rest der Zeit würde ich ihm lieber aus dem Weg gehen. Wir waren noch nie eng miteinander. Ich respektierte ihn, aber lieben würde ich nicht sagen. Wir waren uns fremd, selbst nach all den Jahren, in denen ich auf dieser Welt verweilte und mit ihm zusammenlebte. Besonders jetzt waren wir uns fremder als nie zuvor.
»Und wann genau muss ich heute Abend mit Besuch rechnen?«, fuhr ich fragend fort. Mir war nicht danach, ich wollte bloß meine Ruhe haben. Wenigstens einen Abend. »Gegen Sieben, Mr Moretti«, ließ der Fahrer mich wissen und ich sank im Sitz zusammen. Wenigstens ein paar ruhige Stunden hatte ich noch.

Bereits als das Auto die lange Einfahrt zur Villa hinauffuhr, wurde mir mulmig im Bauch. Ein beklemmtes Gefühl schlich sich meine Kehle hinauf, schnürte mir fast die Luft zum Atmen ab. Ich stieg, ohne einen Ton zu verlieren aus und schlug die Tür hinter mir lauthals ins Schloss. Dabei wollte ich am liebsten wieder umkehren. Was mich wohl im Inneren der Villa erwarten würde?

she's only mine ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt