Ich stieg aus dem Wagen und überquerte fröstelnd den Schulparkplatz. Es war noch ziemlich früh und die meisten Schüler noch nicht da, weshalb ich einen Parkplatz nah am Eingang erwischen konnte. Es wurde mit jedem Tag kälter und der Wind blies mir unangenehm um die Nase. Schnell schlüpfte ich in das Schulgebäude, wo mich warme Luft empfing. Ich ging noch zu meinem Schließfach, um die Bücher zu holen, die ich für den Unterricht brauchte, bevor ich mich auf den Weg zu den Klassenzimmern machte. In der ersten Stunde hatten wir Mathe.
Es gab ja nichts Besseres um einen Montag Morgen zu beginnen, als Mathe. Als ich das Zimmer betrat waren so gut wie alle Sitze leer, nur vereinzelt saßen Schüler auf ihren Plätzen und schauten missmutig zur Tafel oder schienen beinahe zu schlafen. Ich steuerte eine Bank weiter hinten an und ließ mich auf den klapprigen Holzstuhl fallen. Danach holte ich Hefte und Stifte aus meiner Schultasche und schlug meinen Blog auf. Ich hatte noch ungefähr eine Viertelstunde Zeit bevor der Unterricht begann, genug Zeit für eine kleine Skizze. Mit der Spitze des Kugelschreibers trommelte ich auf die Tischplatte.
Das Blatt vor mir war weiß, doch ich wartete auf das Bild. Der Sekundenbruchteil, der mich wie ein Blitz durchfuhr. Das Bild, das auf einmal da war, vor meinen Augen schwebte, und doch außer Reichweite. Das Bild, die Idee, die ich jedes mal versuchte einzufangen. Die wunderschönen Linien eines Ganzen, die ich nur als krakelige Stiche auf dem Blatt gefangen halten konnte.
Ich würde mich nicht als Künstler bezeichnen. Ich war ein Dieb, ein Kopierer. Kopierer von Gedanken, Bildern, Farben, Vorstellungen und Gefühlen. Ich hatte keine Gabe zum Zeichnen, ich hatte eine Gabe zum Beobachten und Nachmachen. Ich war bloß ein Spiegel meiner Umgebung und der Personen um mich herum.
Kurz schloss ich die Augen und schon kam eine ganze Flut an Bildern auf mich zu, Ideen die im einen Moment da waren, im nächsten schon wieder verloren. Und dann kristallisierte sich ein Bild heraus. Es war eher wie ein kleiner Film der vor meinem inneren Auge wieder und wieder ablief. Ich konzentrierte mich auf die weiße Fläche vor mir und begann zu zeichnen.
Doch schon nach wenigen Strichen, merkte ich, dass es zu spät war. Die Szene war verschwunden, sobald der Stift den Untergrund berührte.
Seufzend lehnte ich mich zurück, zerriss das Blatt vor mir und warf die Schnipsel in den Papierkorb.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass die Stunde bereits in fünf Minuten beginnen würde. Es war merkwürdig, Liss war noch nicht da, obwohl sie sonst immer recht pünktlich kam.
Ein Schauer überlief mich. Wie von selbst drehte sich mein Kopf in Richtung Tür, gerade in dem Moment wo sie geöffnet wurde. Allerdings war es nicht Liss die da in dem Raum geschlendert kam.
Er war groß und ziemlich muskulös, soweit ich das unter seinem dunkelblauen Hemd beurteilen konnte. Einige Strähnen seines karamellfarbenen Haares fielen ihm wellig ins Gesicht, seine Augen, ein sehr helles Braun mit dunkleren Sprenkeln, blickten sich ruhig im Raum um. Auf seinem Lippen lag ein freundliches Lächeln. Sein Blick wanderte durch den Raum, zielstrebig auf der suche nach etwas. Oder jemandem.
Er musste neu an der Schule sein, denn ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Alle Blicke ruhten auf ihm, als er leichtfüßig durch den Gang lief. Nach hinten. Direkt auf mich zu.
Das konnte doch nicht wahr sein. Er schaute mir direkt in die Augen und verringerte zielstrebig den Abstand zwischen uns. Irgendetwas an ihm irritierte mich. Plötzlich hatte ich das Gefühl, so schnell wie möglich den Raum verlassen zu müssen. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper und meine Muskeln spannten sich an. Ich nahm den stickigen Geruch des Klassenzimmers wahr. Der Stift, den ich noch immer festhielt, grub sich in meine Handfläche. Mein Blick fokussierte seine, wie geschmolzenes Karamell schimmernden Augen.
Er war nur noch wenige Meter entfernt und ließ auch mich, nicht aus den Augen, während er noch immer ein Lächeln im Gesicht kleben hatte. Ich erwiderte sein Starren mit einem hoffentlich grimmigen Gesichtsausdruck.
Er ließ sich gemächlich auf dem Platz vor mir fallen und drehte sich sogleich zu mir um. Na großartig.
Doch bevor irgendjemand von uns etwas sagen konnte, klingelte es und sogleich wurde die Tür erneut aufgerissen, diesmal von einer hektischen Lissa, die so aussah, als hätte sie verschlafen.
Was kurz darauf bestätigt wurde, als sie sich neben mich setzte.
„Gott, Layn! Du wirst es nicht glauben, ich habe verschlafen und dann auch noch den Bus verpasst! Das ist mir noch nie zuvor -" Sie hielt mitten im Satz inne und ich wollte schon fragen, ob es ihr gut ging, bis ich bemerkte wo sie hinblickte. Geradewegs in die Karamell-Augen das Neuen. Großartig.
Dieser hatte sich interessiert zu uns vorgebeugt und musterte meine beste Freundin mit diesem warmen Lächeln. Er bemerkte, dass ich zwischen den beiden mit fragendem Blick hin und her schaute. Ich traute ihm nicht über den Weg.
„Hey, ich bin Asteri. Wisst ihr warum mich alle so anstarren?" Liss schien seine Worte gar nicht wahrzunehmen, also war wiedereinmal mein Multitasking-Talent gefragt. Ich stieß Clary möglichst unauffällig den Ellbogen in die Rippen, während ich gleichzeitig meinen neutralen Gesichtsausdruck beibehalten zu versuchte und ihm antwortete.
„Hi, ich bin Layna. Das ist Clarissa." Das reichte ihm hoffentlich fürs erste. Ich schenkte ihm ein mildes Lächeln und versuchte abermals Liss zum Weiteratmen zu bekommen.
Sein Grinsen wurde breiter und das war anscheinend der Moment in dem sich Clary dazu entschied, doch nicht als Salzsäule in die Geschichte einzugehen.
„Hi." flüsterte sie erstickt. „Also hey, ich bin Clarissa, aber alle nennen mich Clary und meine Freunde Liss- also du kannst mich Liss nennen."
Asteri lachte leise. Er verhielt sich ganz normal und außerordentlich höflich. Das hieß allerdings nicht, dass ich nicht weiterhin misstrauisch war.
„Wo kommst du eigentlich her? Ich meine, der Name ist schon ziemlich ungewöhnlich, was?", fragte Liss.
„Griechenland, von einer kleinen Insel. Allerdings sind meine Eltern nach Mexiko gezogen, als ich noch klein war."
Asteri unterhielt sich noch weiter mit ihr, ich verstand allerdings kaum ein Wort und war in Gedanken schon wieder wo anders. Asteris Nähe machte mich unruhig. Bei jeder seiner Bewegungen zuckte ich zusammen und ich sah ständig aus dem Fenster, selbst wenn ich nicht wusste warum. Ich war aufgeregt, obwohl es gar keinen Grund gab. Meine Hände wurden nass und zitterten. Jede Sekunde fühlte sich an, wie Minuten. Jede Minute, wie Stunden. Ich hatte Angst zu heftig zu atmen, mich zu bewegen, ein Geräusch zu verursachen. Und ständig würde mein hektischer Blick von dem Fenster angezogen. Oder besser gesagt von dem was sich dort draußen befand. Ich schüttelte denn Kopf über mich selbst und wollte gerade den Blick abwenden, als ich ihn sah. Nur einen Sekundenbruchteil lang stand er da, bevor er wieder wie ein Blatt im Wind verschwand. Nur einen Sekundenbruchteil lang starrten diese stahlgrauen Augen in die meinen. Doch dieser Sekundenbruchteil genügte, um mich an der Realität zweifeln zu lassen. Und an mir selbst.
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Flames
Fantasy"Ich hatte keine Angst vor Hitze. Ich hatte keine Angst vor Feuer. Aber ich hatte Angst vor dem, was es mit mir machte. " Laynas größtes Problem besteht hauptsächlich darin, ihre Gemälde der Öffentlichkeit zu zeigen und zu wenig Platz im Bücherregal...