Er stand reglos vor mir und blickte mich an. Und ich blickte ihn an.
Er war – wunderschön unschön.
Nein, er war nicht schön. Er war von der Hässlichkeit des Lebens gezeichnet. Seine Haut war zu blass, seine Harre zu schwarz, seine Augen zu stumpf, und sein ganzer Körper von Narben überzogen. Wie ein feines Geflecht aus Fäden zogen sie sich über jedes Stück weiße Haut, dass unter seinem schwarzen T-Shirt zum Vorschein kam. Manche so klein dass man sie nur bei genauerem Betrachten erkennen konnte, andere wulstig und breit. Doch am auffälligsten waren die zwei großen Narben, die über seinem Hals lagen. Wie ein Kreuz auf einer Schatzkarte markierten sie die Mitte seiner Kehle und verliefen von seinem Nacken nach vorn, zu ihrem Schnittpunkt und weiter, bis unter sein Shirt und waren vermutlich noch nicht an ihrem Ende angelangt. Sie waren aber nicht nur wegen ihrer Größe so hervorstechend, nein, sie waren vollkommen schwarz, wie verkohltes Fleisch, und verbreiteten dünne Linien auf seinen gesamten Hals und seinem Schlüsselbein. Sie sahen aus wie die Risse in einer Porzellantasse. Seine Wangenknochen waren hoch und spitz, umrahmt von dunklen Harren die ihm ins Gesicht fielen, seine Augen zusammengekniffen, seine Nase sah aus als wäre sie schon einmal gebrochen worden und sein Mund war angespannt, die Kiefer fest zusammengebissenen.
Ich ließ meinen Blick an ihm hinab gleiten. Er war sehnig und schlank, aber nicht muskulös, wie Asteri, allerdings weitaus größer als ich, mindestens eins neunzig groß. Er hatte die Fäuste geballt und seine Knöchel wurden weiß, was die Narben an seinen Händen besonders hervorhob. Ich sah zurück auf das X an seinem Hals.
Gerade wollte ich etwas sagen, da kam Liss mit lauten Schritten die Veranda herunter.
„Layna? Layna, wo bist du?"
Sie bog um die Ecke und blieb ruckartig stehen. Ich wusste was sie sah. Ihre beste Freundin gegenüber von einem Fremden, der darüber hinaus auch noch bedrohlich aussah, mit all den Narben, und dem starren Blick, welcher sich nicht einen Moment lang von mir löste. Also hatte ich mit allem gerechnet, nur nicht mit dem was sie nun sagte.
„Lass sie in Ruhe und ich werde niemandem etwas von ihr erzählen. Ansonsten bekommt ihr das, was ihr so fürchtet.", knurrte sie in seine Richtung. Ihre Augen fanden meine, doch ich erkannte ihre nicht wieder. Keine Spur mehr von der Sanftheit und Wärme, die sonst in ihrem Blick lagen, nur etwas Wildes und Berechnendes, etwas Unmenschliches. Etwas Dunkles. Und ich wusste nun, dass ihre Geheimnisse größer waren als ich immer angenommen hatte. Auch wenn wir uns seit so vielen Jahren kannten, kannten wir uns doch nicht wirklich. Denn so viel Zeit auch verstreichen möge, manche Geheimnisse brauchten eine Ewigkeit um ans Licht zu gelangen.
Manchmal ist sogar eine Ewigkeit nicht genug.
Ich vertrieb die Stimme die sich zu mir gesellte, die Stimme aus meinen Träumen. Meinen Albträumen.
Aber ich hatte genug. Genug von den Geheimnissen, von diesen Fragen und den seltsamen Dingen, die mir schon mein ganzes Leben lang passierten.
Ich hatte das Gefühl, das er mir Antworten geben könnte. Er starrte mich noch immer mit diesen unglaublich silbernen Augen an, ohne auch nur zu blinzeln. Ich sah mit festem Blick geradewegs zurück. Ich werde nicht davonlaufen, auch wenn ich es vielleicht sollte. Ich werde nicht aufgeben, auch wenn ich es könnte.
Und ich werde alles tun, was zu tun ist, um Antworten zu bekommen.
Der Traum hatte etwas in mir wach gerüttelt was ich seit Jahren tot glaubte, was nur noch der Schimmer einer Erinnerung gewesen war. In meinem Inneren rumorte es und dieser ewige Drang kehrte langsam wieder zurück. Wie früher. Als ich als Kind allein Zuhause war, einschlief und in einem Kreis aus Flammen aufwachte. Niemand hat je etwas davon bemerkt, niemand wusste es. Aber ich wusste es. Das genügte.
Meine Stimme klang ruhig und gleichmäßig als ich sprach, ganz anders als es in mir aussah, wo ein Sturm der Gefühle tobte.
„Ich verlange eine Erklärung. Sofort. Die Wahrheit." Ich sah zurück zu meiner besten Freundin, die die Zähne in Richtung des Fremden bleckte. Wie ein Tier.
Keiner antwortete mir. Wut kochte in mir hoch. Es war wie ein umgelegter Schalter seit der Fremde aufgetaucht war. Lissa hatte sich augenblicklich zu einer vollkommen anderen Person verwandelt, und ich ebenso, auch wenn ich keine Ahnung hatte wer ich nun war.
Wut strömte wie Feuer durch meinen Körper, setzte mein Blut in Brand, vernebelte meine Sicht. Alles andere geriet in den Hintergrund. Ein Knurren stieg in meiner Kehle auf, ein so lautes und animalisches Geräusch, dass ich selbst zurückschreckte, als das Echo laut zwischen den Bergen widerhallte. Mein Atem brannte, meine Nägel gruben sich in meine Handfläche, als ich die Fäuste ballte.
Noch immer bekam ich keine Antwort. In mir brodelte die Wut.
„Ich sagte", versuchte ich es erneut, „ich will eine Antwort, eine Erklärung."
Niemand von ihnen machte den Mund auf. Stille hüllte uns ein. Nur das leise Knistern von Feuer. Das Brüllen von Wut, in meinen Ohren. Und dazwischen – zwischen Wut und Hitze und Flammen – flüsterte eine raue Stimme. Eine Stimme wie aus Träumen und Albträumen.
Nein. Nein. Nein, tu das nicht. Lass nicht zu, dass die Wut dich bestimmt. Lass nicht zu, dass Gefühle dich schwach machen. Nein.
Nein. Mit aller Kraft schloss ich die Augen und drängte Wut und Hitze und Flammen zurück in den Abgrund in mir aus dem sie kamen. Ruhe bewahren. Auf die Logik vertrauen. Selbst wenn es keine logische Erklärung gab?
Im Moment durfte ich nicht über den Grund, das Wieso, nachdenken. Das Nachdenken über das Warum war nur eine weitere Spirale nach unten die sich jeglicher Logik entzog.
Also tat ich das einzig mir logisch Erscheinende. Ich horchte in mich hinein, wartete auf die Stimme, die ich sonst so sehr zu verdrängen versuchte. Und da war sie.
Lass die Wut gehen und lass das Eis in dein Herz. Es braucht Kälte um die Hitze einzudämmen. Bekämpfe kein Feuer mit Feuer, solang du kein Inferno willst. Lass dich von der Kälte verschlingen. Und dann – lass los.
Lass los.
Ich atmete ein – und drängte die Wut, die Gefühle, die Verwirrung zurück.
Ich atmete aus – und stellte mir vor wie Eis durch meine Blutbahnen und in mein Herz gepumpt wurde. Eine ungewohnte Kälte breitete sich in meiner Brust aus.
Ich atmete ein –
und ließ los.
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Flames
Fantasy"Ich hatte keine Angst vor Hitze. Ich hatte keine Angst vor Feuer. Aber ich hatte Angst vor dem, was es mit mir machte. " Laynas größtes Problem besteht hauptsächlich darin, ihre Gemälde der Öffentlichkeit zu zeigen und zu wenig Platz im Bücherregal...