Die Gaukler

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2. Die Gaukler

FLYNN

Flynn spürte, wie der Wind über sein Gesicht strich, und lächelte grimmig. Das Reh, das vor ihm auf der Lichtung stand, zuckte nervös mit den Ohren, doch Flynn wusste genau, dass es ihn nicht bemerkt hatte. Der Wind trug sowohl Geräusche als auch Gerüche weg, die ihn verraten könnten. Flynn hob die Arme und spannte den Bogen. Die großen Augen des Rehs huschten zu einem Felsbrocken in der Nähe. Es machte einen zögernden Schritt zurück. Flynn biss die Zähne zusammen und zielte neu. Gerade, als er die Sehne vorschnellen lassen wollte, ertönte ein Krachen und das Reh sprang in großen Bögen ins Dickicht davon.

„Verdammt!“, zischte Flynn und ließ verärgert den Bogen sinken. Ferrin verließ sich darauf, dass er heute Abend etwas zu essen nach Hause brachte. Flynn hasste es, ihn zu enttäuschen.

Plötzlich bewegte sich etwas neben dem Felsen. Erneut hob Flynn den Bogen – und zuckte zusammen, als eine verkrümmte Gestalt hinter den Stein hervor taumelte. Sie fiel auf die Knie und landete mitten in einer Pfütze. Flynn rührte sich nicht und beobachtete sie mit plötzlich heftig hämmerndem Herzen. Das da vorne war zweifellos ein Mensch. Wo zum Teufel war er hergekommen?

Die Person kämpfte sich zitternd wieder auf die Füße, sah sich fahrig um und sank dann neben der Pfütze zu Boden, einen erloschenen Kerzenstummel umklammernd. Erschrocken sah Flynn dunkelrote Flecken, die an dem hellen Wachs klebten. Blut. Lautlos streifte er sich den Bogen über die Schulter und griff stattdessen nach seinem Seilmesser. Angespannt verharrte er hinter seinem Baum und rührte sich nicht. Die Person neben dem Stein auch nicht. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt. Er könnte sich aus dem Staub machen, ohne gesehen zu werden. Flynn zögerte. Ferrin hatte ihm immer eingeschärft, jeden Kontakt mit Fremden zu vermeiden. Gaukler waren auf Jahrmärkten beliebt, doch ansonsten bei den rechtschaffenen Bürgern von Vanarée nicht gerne gesehen. Sie blieben unter sich, und die Person, die da kauerte, war ganz sicher kein Gaukler. Trotzdem brachte Flynn es nicht über sich, einfach zu verschwinden. Er war zu neugierig – etwas, was ihm Ferrin immer wieder auszutreiben versucht hatte. Ohne Erfolg. Flynn sah sich rasch um und trat dann lautlos aus seinem Versteck. Geschmeidig wie eine Katze schlich er auf den Stein zu. Die Gestalt bemerkte ihn nicht. Flynn hob kampfbereit sein Seilmesser und räusperte sich. „He, du. Was treibst du in unserem Wald?“

Die Gestalt stieß einen leisen, erschrockenen Laut aus und riss den Kopf hoch. Verblüfft erkannte Flynn jugendliche, grüne Augen, doch bevor er etwas sagen konnte, hatte sich der Fremde auf ihn gestürzt und biss ihn mit aller Kraft in die Hand.

„Hey! Spinnst du?!“, brüllte Flynn, doch schon war ihm sein Messer in hohem Bogen aus der Hand gefallen. Der Angreifer warf sich auf ihn und fluchend prallte Flynn auf den Boden. „Hör auf, verdammt!“, rief er wütend und rollte sich in einer fließenden Bewegung ab. Flynn packte seinen Gegner bei den Handgelenken, der verbissen um sich trat und mit scharfen Fingernägeln nach seinem Gesicht schlug. Mühsam rollte Flynn herum und schaffte es, den Fremden auf den schlammigen Boden zu drücken.

„Jetzt halt schon still, ich tue dir doch nichts!“, keuchte er und drückte die schmalen Handgelenke nach unten, bis der Andere schließlich erschlaffte und leise zu wimmern begann. Flynn blinzelte und hatte endlich Zeit, sich sein Gegenüber genauer anzusehen. Kinnlanges, hellbraunes Haar voller Tannennadeln hing in ein schmales Gesicht mit grünen Augen, die ihm schon vorher aufgefallen waren. Flynn erkannte geschwungene Lippen und lange Wimpern. Er zuckte zurück. „Ein Mädchen? Du bist ein Mädchen! Klar – so schlecht, wie du gekämpft hast.“

Das Mädchen trat erneut nach ihm. „Lass mich los!“, keuchte sie.

„Vergiss es. Erst sagst du mir, wer du bist.“

Die Kinder des Lichts: LICHT UND SCHATTENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt