Einen Monat danach - 1. November 2005

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Thalia erwachte, als draußen der Donner grollte. Müde blickte sie sich um. Im Zelt war es dunkel und sie war allein. Thomas war wahrscheinlich noch draußen und hielt Wache. In diesem Teil des Waldes gab es relativ wenig Monster und so war es sicher genug im Zelt und nicht auf irgendeinem Baum zu schlafen, wenn einer Wache hielt. Thalia blinzelte müde. In den letzten Nächten hatte sie viel zu wenig geschlafen- meistens nur vier oder fünf Stunden. Trotzdem, wenn sie schon mal wach war konnte sie ja auch aufstehen. Bei dem Gewitter würde sie ohnehin nicht einschlafen können. Sie stand auf, zog ihre Schuhe an und verließ das Zelt. Thomas saß vor dem Zelt an einem kleinen Feuer, das bei dem stärker werdenden Regen zu erlöschen drohte. Am Horizont dämmerte es bereits in etwa einer Stunde würde auch die Sonne aufgehen.

Thomas blickte auf. Er sah müde aus und unter seinen blauen Augen waren dunkle Schatten zu sehen.
„Du bist ja schon wach.", stellte er fest.
Sie nickte. „Ich konnte nicht mehr schlafen. Soll ich deine Wache übernehmen? Dann könntest du noch etwas schlafen.", schlug sie vor.
Thomas gähnte. „Danke. Das wäre echt nett."
Er stand auf und ging ins Zelt.

Thalia setzt sich ans Feuer und blickte in die Flammen. Die und Thomas hatten, als sie sich das erste Mal begegnet waren beide nicht damit gerechnet, dass sich ihre Wege nicht mehr trennen würden. Sie hatten sich angefreundet und beschlossen, dass sie zu zweit höhere Chancen zu überleben hatten.

Als die Sonne etwas später aufging, löschte Thalia das Feuer und ging zu Thomas ins Zelt um ihn zu wecken. Die beiden hatten besprochen, dass sie näher an die nächste Stadt heran wollten. Also packten sie wenig später ihre Habseligkeiten zusammen und machten sich auf den Weg. Thalia genoss den Weg. Sie liebte diese Freiheit, die mit dem Leben in der Natur unter freiem Himmel einherging. Es mochte kalt und regnerisch sein, doch unter den Bäumen blieb es weitestgehend trocken und Thalia hörte, wie dicke Regentropfen auf das Blätterdach trommelten. Je weiter sie sie sich von ihrem alten Lager entfernten, desto schwieriger wurde das Vorwärtskommen. Entweder die Bäume standen so eng beieinander wie eine Hecke oder es galt, über Felsen zu klettern und sich durch das herbstlich kahle Gestrüpp einen Weg zu suchen. Obwohl sich die Monster tagsüber nicht so oft zeigten, trug Thalia ihr Schwert am Gürtel, um es im Notfall jederzeit ziehen zu können und auch Thomas hatte sein Messer stets griffbereit. Thalia hatte ihm in der letzten Zeit gezeigt, wie er damit am besten umging. Obwohl Thomas ein Sigriosi war und normalerweise alle Sigriosi sehr geschickte Krieger waren, hatte er nie viel mit Waffen zu tun gehabt. Das könnte ihm nun zum Verhängnis werden befürchtete Thalia.

Um die Mittagszeit legten sie einen kurzen Halt unter einer großen Weide ein.
„Laut unserer Karte haben wir fast die Hälfte unseres Weges geschafft.", sagte Thomas. Thalia holte etwas Zwieback und ein paar Beeren, die sie auf dem Weg gesammelt hatten, aus ihrer Tasche. Sie reichte Thomas die Hälfte des Essens und begann ihren eigenen Teil zu essen.
„Wir sollten nicht so viel Zeit mit Essen verschwenden und bald weitergehen.", erklärte sie mit vollem Mund. Thomas nickte zustimmend und sobald sie aufgegessen hatten liefen sie weiter. Sie gingen so schnell, wie ihre Umgebung es zuließ, denn sie wollten vor der Dämmerung ankommen. Sie wollten möglichst bald, in der Nähe einer Stadt sein unter anderem weil langsam ihr Essen knapp wurde. Auf dem Weg unterhielten sie sich etwas und es ging recht schnell voran.

Es begann schon zu dämmern, als sie endlich ihr Ziel erreicht hatten und einen guten Lagerplatz nahe der kleinen Stadt gefunden hatten. So schnell sie konnten bauten Thalia und Thomas ihr Zelt auf und richteten ihr kleines Lager etwas ein. Zu guter letzt entzündeten sie noch ein Lagerfeuer.

Wenig später saßen sie sich am Lagerfeuer gegenüber.
„Wir sollten Europa verlassen.", sagte Thalia.
„Warum meinst du?"
„Ich sehe einfach keinen Grund hierzubleiben. Es ist hier nicht besser als irgendwo sonst und generell find ich es wichtig so weit von der Grenze nach Sigrios entfernt zu sein wie irgend möglich." Sie stocherte im Feuer herum.
„Naja ich seh nicht so den Grund wegzugehen, aber wenn du lieber weg willst können wir auch Europa verlassen. Ich würde gerne mal nach Amerika gehen.", erklärte Thomas nach kurzem Nachdenken.
„Amerika klingt gut.", nickte Thalia erleichtert. „Ich will Sigrios einfach hinter mir lassen."
„Glaub mir ich auch.", antwortete Thomas.

Die beiden saßen sich eine Weile schweigend gegenüber, dann brach Thomas das Schweigen: „Was erhoffst du dir von deiner Zukunft, Thalia? Ich mein was willst du später mal machen? Wer willst du einmal sein?"
Sie sah ihn überrascht an und antwortete kurz drauf: „Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, was ich nicht will. Ich will nicht so werden wie meine alte Familie und ich will nicht mehr die sein, die ich einmal war. Über mehr hab ich mir noch keine Gedanken gemacht."
Thomas nickte verständnisvoll: „Ich will auch nicht so sein, wie meine Familie. Hab ich dir erzählt, warum ich jetzt nicht mehr in Sigrios bin?"
Thalia schüttelte den Kopf und er fuhr fort. „Es gab eine Anschuldigung gegen mich. Sie dachten, ich hätte mit Rebellen Kontakt gehabt und hätte Hochverrat begangen." Thomas ballte die Hand zur Faust. „Meine Eltern haben das geglaubt und sie haben mir gesagt, dass sie keinen dreckigen Rebellen zum Sohn wollten und ich mich nicht mehr blicken lassen solle. Also bin ich gegangen."
Er blickte zu Boden. Thalia wusste nicht so richtig was sie sagen sollte. „Sie haben gedacht du wärst ein Rebell und Hochverräter, aber du bist doch erst 16. Als ob Sechzehnjährige schon Rebellen sind! Das ist einfach nur dämlich, selbst für die Sigriosi Regierung."
„Tja, mein Alter hat die nicht groß gekümmert. Oder was aus mir wird. Irgendwer brauchte wohl einen Sündenbock."

Thalia nickte und seufzte: „Ich wünschte ich könnte allen zeigen, wie die Regierung wirklich ist."
„Ja, aber wie willst du das anstellen? Und wer würde dir glauben?", Thomas sah sie skeptisch an.
„Ich habe keine Ahnung. Aber irgendwie schaffe ich es. Du wirst sehen."

Thomas sah sie nur weiter skeptisch an. Die beiden saßen noch eine Weile schweigend am Feuer, bis Thomas schlafen ging und Thalia die erste Wache übernahm.  

Ein Leben zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt