Mit dem Löwen im Käfig

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Katja schreckte aus ihren Gedanken hoch und suchte den Raum ab. Sie hätte schwören können, dass er bis eben noch leer gewesen war. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten. Oder war er der Schatten gewesen? Entschlossen näherte sich die Gestalt und trat ins Licht. Katja biss sich auf die Lippe, als sie ihn erkannte. Schweizer. Sie verband nichts Gutes mit ihm. Bilder blitzen vor ihrem inneren Auge auf. Ihre Vergangenheit, welche sie seit Jahren erfolgreich verdrängte hatte, holten sie ein. Sie sah ihre Kameraden, im Dreck liegend und kaum noch zu erkennen. Sie hatte geschworen sie zu schützen und konnte sie doch nicht retten. Genauso wenig wie ihre Kollegen im Museum.


Ein lähmendes Gefühl von Traurigkeit überkam sie. Katja kannte es von früher, aber damals war es anders gewesen. Denn jetzt mischte sich noch eine andere Facette mit ein. In ihrer Vergangenheit hatten sich ihre Kollegen und Freunde bewusst für diesen Weg entschieden. Sie waren im Dienst gestorben. Das machte es zwar nicht besser, aber das Schicksal der Wachmänner wies noch eine ganz andere Stufe der Tragik auf. Sie hatten nie damit gerechnet, im Dienst zu sterben.


Katjas Gedanken wanderten zurück zu Patrick, dem Grund für ihre jetzige Situation. Welcher Mensch konnte solche Taten ohne schlechtes Gewissen rechtfertigen? Wie konnte Patrick Schweizer morgens in den Spiegel schauen und trotzdem so weiter machen? Katja wusste es nicht.


Mittlerweile war Patrick ihr so nahe gekommen, dass sie sich ihm zuwendete. „Sie sind ein Monster!" Katja spuckte ihrem Gegenüber ins Gesicht. Zumindest versuchte sie es, denn der Fleck, den sie treffen wollte, löste sich unmittelbar vor dem anstehenden Kontakt in Rauch auf. Die Spucke verfehlte ihr Ziel. Katja verzog überrascht das Gesicht. Er nutzte seine Kräfte auch im normalen Leben und das viel zu unbedarft.


Patrick legte bei dieser Anschuldigung seinen Kopf schief. „Ich, ein Monster? Nein, ich bin ganz sicher kein Monster." Er schüttelte den Kopf, um seine Worte zu unterstreichen. „Was sind sie dann?" „Das, was man aus mir gemacht hat. Ein Retter, ein Erlöser", er stoppte kurz und lächelte, „ein Gott. Such dir etwas aus."


„Was wollen sie von mir Schweizer?" Trotzig schob sie ihr Kinn vor. Sie würde es ihm nicht geben, egal was es war. Der Angesprochene schnappte sich ein Stuhl, stellte diesen verkehrt herum vor Katja hin und setzte sich. Seine Arme legte er auf der Lehne ab.


„Wir waren doch schon längst beim Du." Leicht gekränkt sah Patrick seine Gefangene an. „Sie waren beim Du, ich hab keinen Grund sie zu duzen", versuchte Katja richtig zu stellen. Patrick schaute ihr tief in die braunen Augen und schüttelte dann den Kopf. „Ich brauche dich. Das heißt aber nicht, dass ich dich an einem Stück brauche. Oder lebendig. Verstehst du?" Katja schluckte schwer. Auf einmal fühlte sich ihre Kehle wie ausgetrocknet an. Sie verstand. Zwar war sich nicht sicher, ob er seine Drohung wahr machen würde, aber sie beschloss, sein Spiel mitzuspielen und ihm so kein Grund zu geben, es beweisen zu müssen. Vorerst würde sie ihn weiter beschäftigen, denn wenn er redete, würde er sie wohl kaum erschießen.


„Du hast mir meine Frage nicht beantwortet", merkte sie deswegen an. Abwehrend hob Patrick seine Hände. „Ich will von dir gar nichts. Sei mein Gast, das würde mir fürs Erste reichen." Zweifelnd musterte Katja Patrick. Sie war sich sicher, dass er mehr vorhatte, als er ihr sagte. „Du glaubst mir nicht." Es war keine Frage, eher eine Feststellung. Katja nickte.


Patrick runzelte die Stirn. „Ich bin hier nicht der Böse Katja, ich bin das Opfer." Katjas zweifelnder Gesichtsausdruck verstärkte sich noch. Patrick seufzte. „Ich war einmal ein Soldat, genau wie du. Ein stolzer Patriot meines Landes. Hast du schon einmal von dem Massaker beim Hindukusch gehört?" Katja schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf, hatte sie nicht. „Natürlich hast du das nicht. Die Regierung hat dieses Desaster unter den Tisch gekehrt, wie alle größeren Rückschläge. Aber beginnen wir von vorn. Für uns war es der erste Auftrag."

Miraculous - König der VerbrecherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt