Kapitel 5

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Mit einem stummen Schrei sank ich auf die Knie. Ich konnte den Blick einfach nicht von seinem Gesicht wenden. Seine blauen Augen starrten in das Nichts hinter der Decke. Er wirkte nicht friedlich. Er sah nicht so aus, als würde er schlafen. Er war ganz eindeutig tot. Diese Tatsache machte sich langsam in meinem Inneren breit. Sven war tot. Ich kippte vornüber und fing mich mit den Händen ab. Das blutige Wasser spritzte auf und ich musste mich übergeben. Immer noch fassungslos starrte ich auf die Leiche meines Freundes. Irgendwie erwartete ich, dass er jetzt aufstehen würde. Ich würde sauer auf ihn sein, und wahrscheinlich den ganzen Abend nicht mit ihm reden. Ich würde mich aufs Sofa setzten und so tun, als läse ich ein Buch. Er würde sich neben mich setzten und den Arm um mich legen. Ich würde das Buch zuklappen und weglegen. Er würde mein Kinn anheben und mir sachte übers Gesicht streichen. So wie immer, wenn wir uns stritten. Ich würde lächeln und wir würden uns in die Augen sehen und ich würde ihn in den Arm nehmen und wir würden einen Film gucken und ich würde in seinen Armen auf dem Sofa einschlafen. Aber nichts dergleichen passierte. Sven stand nicht wieder auf, er blinzelte nicht und aus der schrecklich klaffenden Wunde an seiner Kehle lief immer noch Blut aus einem dünnen Rinnsal in die Wanne. Wimmernd streckte ich eine Hand aus, doch ich berührte ihn nicht. Er war tot. Er war eindeutig tot und schlagartig wurde mir bewusst, dass jemand ihn umgebracht hatte.

Erschrocken aufschreiend sprang ich auf und taumelte nach hinten. Plötzlich schlug alles wie eine Welle über mir zusammen. Das Rauschen des Wasserhahns. Das Geräusch des Blutes, das aus Svens Kehle floss. Der glatte Schnitt. Seine Augen, seine wunderschönen, sonst so leuchtenden Augen blickten jetzt dumpf und glanzlos vor sich hin. Der metallene Blutgeruch schien mir beinahe die Luft abzuschnüren. Der ganze Raum schien bis auf Svens Leiche zusammenzuschrumpfen und keuchend brach ich wieder zusammen. Ich weinte, bis keine Tränen mehr kamen. Irgendwann schaffte ich es, den Blick abzuwenden und beinahe sofort begann mein Verstand zu arbeiten.

Ich musste die Polizei rufen. Auch wenn meine Kleidung inzwischen blutbefleckt war. Ich würde die Polizei rufen und dann zu meinen Eltern fahren. Eva würde ich eine abgeschwächte Version erzählen. Ich lachte leise auf. Abgeschwächt. Wieder wollte ich weinen, doch meine Augen waren trocken. Die Polizei rufen. Zu meinen Eltern fahren. Ein leises Geräusch ließ mich auffahren. Etwas war gegen das Fenster geflogen. Gelähmt beobachtete ich, wie der Wind es langsam öffnete. Es war die ganze Zeit bloß angelehnt gewesen. Jetzt hatte ich wenigstens eine Ahnung, wie der Mörder hinausgelangt war.

Fest darauf bedacht, nicht in die Wanne zu blicken, schleppte ich mich in die Küche, wo meine Tasche immer noch auf dem Boden lag. Mit zitternden Händen kramte ich darin herum, als mich ein Geräusch so sehr erschreckte, dass ich die Tasche fallen ließ. Die Wohnungstür. Sie hatte sich langsam geöffnet, dabei hätte ich schwören können, dass ich sie beim Hereinkommen geschlossen hatte. Von außen ließ sie sich nur mit einem Schlüssel öffnen. „Hallo?" rief ich in die Stille hinein, die mir jetzt verdächtig ruhig vorkam. Hatten die Nachbarn meine Schreie gehört? Sie besaßen einen Ersatzschlüssel und genug Neugier, um ohne zu klopfen hineinzukommen. Das durften Sven und ich gleich an einem unserer ersten Filmabende in der neuen Wohnung feststellen, als die Nachbarsfrau plötzlich in unserem Wohnzimmer stand. Wir hatten irgendeinen Horrorfilm auf voller Lautstärke gesehen, und die Nachbarn hatten befürchtet, dass sich bei uns in der Wohnung ein Einbrecher befand. Wir hatten gemeinsam über dieses Missverständnis gelacht, und uns für ihre Hilfsbereitschaft bedankt. Ich schluckte schwer und mein Herz erschien mir mit einem Mal schwer und träge. Ich würde nie wieder so einen Abend erleben. „Hallo? Wer ist da?" reif ich ein weiteres Mal, doch niemand antwortete. Ich hörte jedoch leise Schritte, die sich langsam Richtung Badezimmer bewegten. Schnell schlug ich mir eine Hand auf den Mund und griff langsam nach dem Griff der zum Glück bereits eingeräumten Besteckschublade. Mit einem plötzlich viel zu lautem Schnarren glitt sie auf. Die Schritte waren verstummt. Dafür konnte ich jetzt deutliche Atemgeräusche hören. Die Person stand immer noch vor dem Badezimmer. Immer noch darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, obwohl mir klar war das der Eindringling meine Rufe gehört haben musste, nahm ich ein großes Messer aus der Schublade. Mit zögernden Schritten ging ich langsam in Richtung Flur. Kurz vor der Ecke musste ich stehenbleiben, um einen aufkeimenden Weinkrampf hinunterzuschlucken. Wenn das nun der Mörder war? Wenn er zurückkam, um mich auch zu töten? Eines war mir klar: Die Person war nicht freundlich gesonnen. Ansonsten hätte sie auf meine Rufe geantwortet, oder sich wenigstens zu erkennen gegeben. Ich umklammerte den Messergriff fester.

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Ich hörte, wie die Person ihre Schritte beschleunigte und auf die Ecke zugerannt kam. Mit einem Schrei und erhobenem Messer sprang ich dem Eindringling in den Weg. Dieser konnte nicht mehr stoppen und rammte mich mit voller Geschwindigkeit. Das Messer fiel mit einem Klirren zu Boden und bevor ich es erreichen konnte, saß die Person auf mir. Es war ein Mann, soviel konnte ich jetzt erkennen. Ich versuchte verzweifelt, mich zu befreien, doch der Fremde hielt mich mit seinen Knien in Schach. Er trug keine Maske, und als ich ihn erkannte, erstarrte ich beinahe vor Schrecken. Mit einem Schlag war ich ruhig und konnte nur noch mit vor Entsetzen geweiteten Augen in das Gesicht des Mannes starren. Mit einem hämischen Grinsen zog der Arzt, der mich zu seinem Mutantenkollegen geschickt hatte, eine Waffe hervor. Er hob seinen Arm und bevor ich schreien konnte sauste dieser hinunter und die Welt wurde schwarz.

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