Kapitel 13

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Als sich die Zellentür wieder öffnete war ich sehr überrascht, Baron Strucker und Dr. List zu sehen. Sie stellten sich vor die Tür und musterten mich zuerst. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also setzte ich mich auf, strich mir die schweißnassen Haare aus dem Gesicht und versuchte es mit einem „Guten Morgen." Dr. List nickte mir zu und Strucker starrte mich weiterhin einfach nur an. Schließlich räusperte Dr. List sich und holte ein kleines Notizbuch aus den Taschen seines Kittels. Er blätterte darin herum und zückte einen Stift. Dann sah er von mir zu Herrn Strucker und zurück. „Herr Strucker, ich halte es immer noch nicht für eine gute Idee das sie-" Der Baron unterbrach ihn indem er die Hand hob.„Oh doch, ich werde nichts mehr unkontrolliert lassen. Und dieses Experiment hat momentan höchste Priorität. Nun fangen sie endlich an." Dr. List seufzte und kam auf mich zu.

Er führte einige kleine Reaktionstests durch und leuchtete mir in die Augen. Er kontrollierte außerdem noch Puls und Atmung. Die ganze Zeit über musterte Strucker mich und ließ mich mit seinem stechenden Blick unter dem Monokel klein und unbedeutend wirken. Ich konzentrierte mich auf Dr. List und seine Fragen. Mir war weder schwindelig noch fühlte ich mich kurz davor zu explodieren.Allerdings war ich wütend. In mir kochten die vielen fremden Gefühle und meine eigenen Erinnerungen an die letzten Tage und hinderten mich nicht nur am Schlafen, sondern auch am Nachdenken. Was taten diese Leute mir hier an? Wie Wasser in einem Wasserkocher begann es langsam in mir zu brodeln und zu zischen. Obwohl mein Verstand mehr oder weniger klar war litt mein Körper immer noch unter den Folgen des Experiments und der schlaflosen Nacht. „Stellen sie sie hin."befahl Strucker. Dr. List sah zuerst aus, als wolle er etwas erwidern, senkte jedoch den Kopf nach einem strengen Blick des Barons. Er sah mir entschuldigend in die Augen und zog mich auf die Beine. Die schnelle Bewegung jagte einen stechenden Schmerz durchmeinen Schädel. Ich biss die Zähne zusammen und nach einigem Schwanken stand ich relativ gerade in der Mitte meiner Zelle. Strucker setzte sich in Bewegung und ging langsam um mich herum und betrachtete mich dabei mit Argusaugen. Es war totenstill. Das einzige Geräusch verursachte der Baron mit seinem strammen Gang. Nach drei Runden ausgiebigen Betrachtens stellte er sich direkt vor mich. Er überragte mich um fast zwei Köpfe und studierte mein Gesicht von oben herab mit seinen eiskalten Augen. Sein Gesicht zeigte keine einzige Regung. Zitternd hielt ich dem Blick stand, bis er sich abrupt umdrehte und Dr. List ansprach. „Informieren sie Fragtelli. Und die Maximoffs. Wir werden heute mit dem Training beginnen."„Aber Herr Strucker, sie ist nicht in der Verfassung für Stufe 2.2!" Strucker, der sich gerade zum Gehen gewandt hatte, verharrte in der Bewegung. „Sie ist bereit wenn ich es sage. Sie sollte das möglichst früh begreifen."

Einige Entschuldigungen murmelnd öffnete Dr. List die Zellentür und schob mich durch den Gang. Ich trug immer noch den seltsamen Trainingsanzug von Marina. Wir kamen nur sehr langsam voran, und mit jeder Pause die ich machen musste entstanden neue Schweißperlen auf Dr. List's Stirn. Er traute sich kaum, mich zu berühren, und bei jeder seltsamen Bewegung die ich machte, zuckte er zusammen. Wir brauchten nach meiner Wahrnehmung beinahe eine Stunde,bis wir einen Fahrstuhl erreichten. Allerdings war mein Zeitgefühl seit meiner Entführung sicherlich nicht mehr das beste. Im Fahrstuhl angekommen fiel ich beinahe gegen die Wand. Dr. List machte keine Anstalten mir zu helfen, also rutschte ich einfach auf den Boden und legte den Kopf zurück.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Die Türen öffneten sich und nervös reichte Dr. List mir eine Hand. Ich ignorierte sie und stemmte mich mit aller Kraft hoch. Dr. List sammelte sich kurz und wirkte wieder geschäftig und voll bei der Sache sobald er den Fahrstuhl verlassen hatte. Von seiner Nervosität war nichts mehr zusehen. Wir befanden uns in einer langen, hohen Halle. Einige Matten lagen auf dem Boden und vereinzelt standen Puppen herum. Ich ließ den Blick über die Wände gleiten und was ich sah verschreckte mich ein wenig. Jegliche Art von Waffen war vertreten. Von Sturmgewehren bis zu kleinen Dolchen – alles hing sauber sortiert in langen Reihen an der grauen Betonwand.

Ein Luftzug ließ mich zusammenzucken. Pietro stand plötzlich neben mir und grinste mich an. „Du siehst scheiße aus."sagte er und versuchte dabei möglichst gelassen zu klingen. Aber als ich ihm in die Augen sah, erkannte ich vor allem Sorge. Ich mühte mir ein Lächeln ab. „Ich fühle mich auch nicht viel anders."„Dr. List, bringen sie sie vor die Tribüne und kommen sie dann zu mir." Struckers befehlshaberische Stimme schallte knackend durch die Halle. Am anderen Ende der Halle konnte ich eine große Glasscheibe ausmachen, hinter der sich schemenhafte Gestalten bewegten. Der Dr. räusperte sich und deutete zur Glasscheibe. Davor,in einer Art Boxring, stand Wanda und zwinkerte mir zu. Verwirrt blinzelte ich und maß mit den Augen noch einmal die Halle ab. Sie musste mindestens 100 Meter lang sein, wenn nicht sogar mehr.Zahlreiche Türen gingen von ihr ab. Trotzdem konnte ich klar erkennen, wie sich bei ihrem Zwinkern die Muskeln um ihr Auge bewegten und ihre Wimpern zitterten. Ich spürte, wie eine Hand sich auf meinen Rücken legte und mich sanft nach vorne schob. „Nicht einschlafen!" flüsterte Pietro. Gemeinsam folgten wir Dr. List zur Tribüne.

Hinter der Glasscheibe befand sich tatsächlich eine Tribüne. Die Reihen waren bis auf einige Menschen in Kitteln leer.Ich suchte den Raum hinter der Scheibe ab und entdeckte Strucker in einer Ecke, hinter einer Art Rednerpult. Er machte sich einige Notizen und schaute auf, als Dr. List den Raum betrat. Ich folgte Pietro zum Ring und konnte ein überraschtes aufquieken nicht verhindern als er mich plötzlich mit erschreckender Leichtigkeit hochhob und direkt vor Wanda auf die Füße stellte. Verwirrt sah ich zwischen den Zwillingen und der Tribüne hin und her. Ich sah Strucker und Dr. List diskutieren. Irgendetwas musste mit dem Glas nicht stimmen. Denn obwohl deutlich zu erkennen war, dass es sich um dickes Sicherheitsglas handelte, was mir bei dem Rest der Einrichtung, den ich bis jetzt gesehen hatte, nur logisch vorkam,konnte ich jedes Wort verstehen.

Die Worte waren gedämpft, aber dennoch gut zu hören. Dr. List schien immer noch mit Strucker zu diskutieren. „Baron,wenn sie sie weiterhin so strapazieren wird sie dem Druck nicht mehr lange standhalten! Mir ist jetzt schon schleierhaft, wie sie das alles hier aushalten kann. Ihr Unterbewusstsein muss eine Art Ventil eingerichtet haben, ansonsten müssten die Erlebnisse der letzten Zeit sie in den Wahnsinn treiben. Ich-" Strucker unterbrach ihn mit der mittlerweile beinahe vertrauten Handbewegung. „Ich kann ihre Sorgen verstehen Dr. List. Aber sie zeigen wieder einmal ihre größte Schwäche: Sie zeigen zu viele Emotionen. Es freut mich, wenn sie mit Herzem unsere Sache unterstützen, allerdings ist Mitgefühl hier fehl am Platz." Eiskalt und ohne jede Regung in der Stimme sagte er das. Dr. List streckte den Rücken durch und lächelte zu meiner Überraschung. „Glauben sie mir, niemand weiß so sehr wie ich,dass Mitleid das letzte ist, was HYDRA auszeichnet. Ich arbeite nun schon so viele Jahre für sie - Ich weiß inzwischen, welche Gefühle angebracht sind. Mitleid gehört nicht dazu. Aber Sorge. Und sie -"sagte er und wies dabei unauffällig auf mich. Strucker zog eine Augenbraue hoch. Ich hasste es, wenn Menschen das taten. Dr. List fuhr nach einer kleinen Pause mit einer neuen Art zu reden fort, die so sehr nach Baron Strucker klang, dass mir beinahe wieder schlecht wurde. „Sie hatte bis vor kurzem noch nicht den Hauch einer Ahnung von alledem hier. Versuchen sie einmal, sich in ihre Lage hineinzuversetzen: Sie erfährt, dass sie ein Mutant ist. Ihr Mann pfuscht und sie findet ihren Freund mit aufgeschlitzter Kehle in der Badewanne. Sie wird mit einem Mal aus ihrem Leben herausgerissen und irgendwo hingebracht, wo man sie mit Fakten zudonnert und sie einem lebensgefährlichen Experiment unterzieht. Wir halten sie beschäftigt, weswegen all das nur in Bruchstücken zu ihr vordringt.Aber der Damm wird brechen, das Ventil wird platzen, und wir wissen noch nicht, wozu sie in der Lage ist. Wir müssen -" Wieder wurde Dr. List unterbrochen. Seine Worte schlugen wie Pfeile in meinen Verstand ein. Ich bin ein Mutant. Sven ist tot. Ich wurde entführt.Ich hatte keine Ahnung wo ich bin und ich wusste zwar nichts über irgendwelche Fähigkeiten, konnte aber anscheinend durch Sicherheitsglas hören. Und sehr gut sehen. Aber das konnte ich bereits bevor sie mich entführt hatten. Sie hatten mich unglaublichen Schmerzen und einer Folter ausgesetzt, die sich jetzt wie ein Fächer in allen Einzelheiten vor mir ausbreitete. Wiederdrehte sich alles zu einem Strudel, aus dem immer mehr klare Bilder hervorkamen.

Und dann geschah, wovor Dr. List sich die ganze Zeitfürchtete. Das Ventil platzte. Der Damm brach.

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