Kapitel 2

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Der Abend an dem Eva die Pizza teilte war der letzte glückliche Abend, den wir so zusammen in diesem Haus verbrachten. Zwei Wochen später zog ich um. Ich hatte alle meine Prüfungen bestanden und wohnte nun mit meinem Freund Sven in einer wunderschönen kleinen Wohnung. Das Mobiliar bestand zwar immer noch nur aus einer Einbauküche, ein oder zwei Kommoden und einer riesigen Matratze, doch uns gefiel es trotzdem. Nach und nach würden wir diese Wohnung zu unserem Zuhause machen. Sven bekam seinen Traumjob und ich lernte fleißig für meine Abschlussprüfungen, und nach zwei Monaten besaß ich einen Bachelor in Kommunikationsdesign und ein vollständig eingerichtetes Esszimmer. Ich hörte übernatürlich gut, was mir keine Sorgen bereitete, bis sich meine Augen plötzlich verbesserten. Es fing mit einem Kennzeichen an. Ein Idiot fuhr uns den Rückspiegel ab und machte sich danach vom Acker. Sven fluchte, weil er sich das Kennzeichen nicht gemerkt hatte. Ich nahm einen Stift und schrieb es auf die letzte Tankrechnung. „Wie hast du das gemacht?" fragte er erstaunt, denn als ich bei Svens Rufen von meinem Handy aufschaute, war der Kerl schon weit die Landstraße runter. „Keine Ahnung, hab es gelesen." Er schwieg und wir redeten nicht mehr darüber. Trotzdem hörte es nicht auf. Ich konnte Dinge aus unmöglichen Entfernungen erkennen. Irgendwann ließ ich mich dazu überreden, einen Termin beim Arzt zu machen.

Die Praxis lag ein wenig außerhalb und ich war spät dran. Ich überfuhr einige rote Ampeln und handelte mir einen Mittelfinger ein. Meine Mühen waren völlig unbegründet, denn als ich die Praxis betrat war das Wartezimmer voll und die Sprechstundenhilfe überfordert. Seufzend setzte ich mich auf einen roten Kinderstuhl fallen und sah mich um. Vorwiegend alte Leute. Eine Mutter mit ihrem Sohn, der ruhig auf ihrem Schoß saß. Sonst niemand. Ich hörte wie der Arzt im Behandlungsraum einer jungen Frau erklärte wie sie ihren Husten loswurde und wie die Sprechstundenhilfe mit ihrem Mann telefonierte. Es würde heute später werden. Ich hörte das Schmatzen des Jungen, der ein Kaugummi kaute. Ich konnte den Herzschlag jedes einzelnen wahrnehmen. Der alte Mann links von mir hatte einen Herzfehler. Die Frau schräg gegenüber schien etwas zwischen den Zähnen zu haben. Ich versuchte all das auszublenden. Ich konzentrierte mich auf meine Gedanken und versuchte, eigene Ursachen für mein Problem zu finden. Mir fiel natürlich nichts ein.

Plötzlich begann sich alles zu drehen und fremde Stimmen schienen in meinem Kopf zu sein. Er hört nicht auf zu husten/Sie sollte ihre Haare nicht mehr färben/Ich glaube ich bin wieder schwanger, wie sag ich es Rene?/ Missgeburt/ Schlampe/ Was ist mit ihr?/ OH MEIN GOTT!/ Jemand sollte ihr helfen/Sie hat doch ganz offensichtlich Schmerzen, wieso steht niemand auf?/Jemand muss ihr helfen/Sie braucht Hilfe/ Hilfe/Sie/Schmerz/Hilfe/Schmerzen/Boden/Hilfe

„HEY,SIE! WACHEN SIE AUF,LOS!" Ich öffnete mühsam meine Augen. Ich spürte, wie große Schmerzen von mir wichen. Ein Stöhnen entwich mir. „Was ist los, bin ich dran?" Die Sprechstundenhilfe sah mich bestürzt an. „Sie sind plötzlich umgefallen, meine Liebe. Und dann haben sie geschrien." „Sie müssen mich verwechseln, ich falle nicht um." Meine Worte machten keinen Sinn, und das wusste ich. Ich versuchte mich aufzusetzen, doch ein stechender Schmerz im Handgelenk ließ mich zurück auf den Boden sinken. „Sie haben um sich geschlagen. Ich glaube ihr Handgelenk ist gebrochen." Mehrere Arme griffen mich und zogen mich auf die Beine. „Ich bringe sie zum Doktor." sagte die Sprechstundenhilfe und legte meinen gesunden Arm um ihre Schultern. Unter den Blicken der anderen Wartenden schlurfte ich in den Behandlungsraum.

„Zeigen sie mir ihr Handgelenk." Ich hob meinen Arm umständlich auf den Tisch und verzog das Gesicht, als der Arzt es anfasste. „Keine Sorge, es ist nur verstaucht. Ich werde es schienen und in einigen Wochen können sie es wieder normal benutzen." Ich sagte nichts, sondern beobachtete ihn nur bei seiner Arbeit an meinem Handgelenk. Als er fertig war konnte ich bereits wieder einigermaßen klar denken. „Und nun erzählen sie mir von dem Vorfall im Wartezimmer und warum sie eigentlich hier sind." Ich erzählte ihm alles und musste zwischendurch immer wieder mit Schwindelattacken kämpfen. Als ich geendet hatte sah der Arzt mich eine Weile lang an, bis ich mich schließlich räusperte. Er sagte immer noch nichts, aber rollte hinter seinen Computer. „Ich würde sie gerne zu einem Kollegen weiterschicken. Sie scheinen genau in sein Spezialgebiet zu passen. Ich werde ihn sofort anrufen und ihm sagen das sie unterwegs sind. Hier haben sie die Adresse." Er reichte mir eine Karteikarte, auf der eine Adresse im Stadtzentrum aufgeschrieben war. „Wenn er mir sagen kann, was mit mir los ist, werde ich mich sofort auf die Socken machen." „Ich glaube nicht, dass sie in der Lage sind zu fahren. Ich werde ihnen ein Taxi rufen, auf meine Kosten." Erstaunt sah ich ihn an. „Sie sind ein sehr interessanter Fall und mir die paar Euro wert." sagte er. „Ich kann das Taxi schon selber bezahlen." erwiderte ich. „Glauben sie mir, als Arzt kann ich mir das leisten." Ich lachte und ging zur Tür. Bevor ich den Raum verließ drehte ich mich um und fragte „Worauf ist ihr Kollege spezialisiert?" Der Arzt sah mich einen Moment lang prüfend an und antwortete mit einem für mich nicht deutbaren Blick. „Mutation."

A/N: Das waren die ersten beiden Kapitel :) Es wird bald spannend, versprochen! Würde mich über Rückmeldung freuen :)

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