Kapitel 8

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„Gut. Ist einfacher zu merken." Und ehe ich mich versah hatte er Marina zugenickt und mich auf den Arm genommen. Ich spürte, wie seine Muskeln sich anspannten und schloss instinktiv die Augen. Das einzige, was ich wahrnahm waren ein kalter Luftzug, sein Atem und sein Herzschlag. Er atmete angestrengt und laut, und trotzdem schienen wir uns mit einer unmenschlichen Geschwindigkeit fortzubewegen. Ich hielt meine Augen fest geschlossen und nach einigen Augenblicken blieb er stehen. Überraschend sanft setzte er mich auf dem Boden ab und wandte sich dann einer großen, schweren Tür zu. Er tippte einen Code in ein kleines Tastenfeld an der Seite dieser Tür und sie schob sich auf. Er bedeutete mir mit einem Winken, dass ich vorangehen sollten. Zögernd und immer noch ein wenig unsicher auf den Beinen betrat ich den Raum hinter der schwer gepanzerten Schiebetür.

Ich fühlte mich wie in eine andere Dimension versetzt. Der Raum war groß, und Bücherregale säumten die langen Wände, teilweise unterbrochen durch Gemälde. Der graue Betonboden war mit schweren Teppichen ausgelegt und einige altertümlich aussehende Geräte ruhten auf gläsernen Tischen, die im ganzen Raum verteilt waren. Ganz am Ende befand sich ein großer Schreibtisch, der von zwei kleineren Schreibtischen flankiert wurde. Mehrere Sessel und Stühle, die wie alle anderen Möbel aus einer anderen Zeit zu kommen schienen, bildeten eine Art Halbkreis um den großen Tisch. Alle Plätze waren mit Ernst aussehenden Menschen besetzt, die sich angeregt miteinander unterhielten. Ich hörte, wie der schnelle Mann hinter mir den Raum betrat und die Schiebetür sich schloss. Er räusperte sich und sagte mit fester Stimme: „Herr Strucker, ich bringe ihnen das gewünschte Subjekt." Die allgemeine Aufmerksamkeit lag jetzt auf mir. „Vielen Dank Maximoff, bringen sie sie her." Gesprochen hatte der Mann hinter dem großen Schreibtisch. Sein Schädel wurde von einer dünnen Schicht grauer Stoppeln bedeckt und er saß kerzengerade. Das auffälligste an ihm war jedoch sein rechtes Auge. Ein von einer kleinen Metallkonstruktion an Ort und Stelle gehaltenes Monokel bedeckte es. Sein Blick war stechend und bohrte sich in mein Gesicht. Seine Stimme war klar und entschlossen, als würde nie jemand auf die Idee kommen, ihm zu widersprechen. Er erhob sich und ging um den Schreibtisch herum auf mich zu. Er nickte dem schnellen Mann namens Maximoff zu und dieser stellte sich an den Rand des merkwürdigen Stuhlkreises. Er legte den Arm um eine dunkelhaarige Frau und zog sie an sich. Sie legte den Kopf an seine Brust und schloss die Augen. Die Ähnlichkeit war auf den ersten Blick nicht ganz zu erkennen, doch an der besonderen Zärtlichkeit seiner Geste erkannte ich, dass es sich um seine Schwester handeln musste. Die gleiche Szene spielte sich jedes Mal zwischen Eva und mir ab, wenn ich sie irgendwo ganz alleine lassen musste und endlich wiederkam. Der Gedanke an meine kleine Schwester ließ mich schlucken und meine Angst kehrte zurück. Der Mann hatte mich erreicht und sah mir direkt in die Augen. Ich fühlte mich unter seinem Blick plötzlich ganz klein. Er reichte mir die Hand. „Mein Name ist Wolfgang von Strucker, aber du wirst mich mit Herr Strucker ansprechen. Du bist wirklich eine beeindruckende junge Frau." Die ganze Situation war so absurd, dass ich beinahe gelacht hätte. Doch dieser stechende Blick ließ mich alle Gefühle außer Angst vergessen. Ich nahm seine Hand und er drückte kurz zu. Dann legte er mir eine Hand auf den Rücken und führte mich auf die mich immer noch anstarrenden Menschen zu.

„Ich verstehe immer noch nicht wozu das gut sein soll!" Ein älterer Herr mit Glatze und Froschaugen fixierte Strucker. „Warum sind ihnen die Rebellen aus Sokovia nicht mehr genug? Wieso müssen sie jetzt Subjekte entführen? Wir haben genügend Freiwillige, wieso diese junge Frau zwingen und somit unsere Sache gefährden?" Er sprach wie schon Maximoff mit einem östlichen Akzent. „Meine Herren, Subjekt M95163W ist etwas besonderes und jedes Risiko wert. Sie steht an der Spitze einer neuen Versuchsreihe und könnte das Niveau der Zwillinge schneller erreichen als jeder Rebell aus Sokovia es schaffen könnte." Zorn schwang in seiner Stimme mit. Ihm gefiel Widerspruch wahrhaftig nicht. „Und für dieses könnte ziehen sie die Aufmerksamkeit der deutschen Behörden auf uns?" Dieses Mal mischte sich eine ältere Frau ein, deren schwarze Haare zu einem schwarzen Bob geschnitten waren. Sie sprach akzentfrei und blickte eher besorgt in meine Richtung. „Ich versichere ihnen, das niemand auf die Idee kommt sie hier zu suchen. Wir werden in keinster Weise mit dem Fall in Verbindung gebracht, es besteht absolut kein Grund zur Sorge." Der Zorn in der Stimme des Barons wurde immer deutlicher. „Wenn es sich um eine normale Entführung handeln würde, wäre ich nicht so besorgt. Aber ihr Agent hat einen spektakulären Mord nach seinem alten Muster begangen. Die Behörden werden das Wiederauftauchen eines totgeglaubten Serienmörders sicher nicht mit einigen Wochen halbherziger Ermittlung abtun." Sie redete von Sven. Langsam traten mir wieder Tränen in die Augen. Doch ich wollte nicht weinen, nicht hier. Der Baron seufzte. „Ich weiß das Heinrich einen Fehler gemacht hat. Seine alten Triebe sind eben nicht gänzlich auslöschbar. Aber ich versichere ihnen, dass kein Verdacht auf uns fallen wird. Niemand wird HYDRA mit dem Wiederauftauchen eines deutschen Serienmörders in Verbindung bringen." „Das haben sie uns bereits versucht zu erklären. Trotzdem ist das Risiko einfach zu groß. Wir werden von S.H.I.E.L.D nach und nach auseinandergenommen!" Der Glatzkopf war inzwischen rot angelaufen. Er ließ sich noch ein wenig länger über Strucker und die Risiken aus, von denen ich absolut nichts verstand. Anscheinend war ich in etwas wirklich Großes hineingezogen worden. Wieder musste ich mit der Panik kämpfen.

Mir wurde schwindelig und die Geräusche dämpften sich plötzlich wieder auf normale Lautstärke. Alles drehte sich, und plötzlich war alles so wie in dem Wartezimmer des falschen Arztes. Nur ohne die Ohnmacht. Ich konnte die Wut des Glatzkopfes wahrnehmen. Er spielte anscheinend schon lange mit dem Gedanken, Strucker irgendwie zu beseitigen. Die Frau hatte Angst um ihre Tochter, die an Krebs litt. Der Rest dachte an einen großen Plan, die allgemeine Situation und das Abendessen. Alle waren gespannt auf den Ausgang der Diskussion. Mein Kopf begann wieder schmerzhaft zu Pochen und der Raum begann sich zu drehen. Ein Aufschrei von Strucker ließ mich wieder zusammenfahren. Eine Ader pulsierte an seiner Schläfe und der Zorn war nun endlich an die Oberfläche getreten.

Sofort wurde es totenstill. Ich nahm das Rasen der Herzschläge war und die verzweifelten Bemühungen, nicht zu laut zu Atmen. Als Strucker wieder sprach, flüsterte er beinahe. „Wir alle stehen für die gleiche Sache ein. Wir sind HYDRA. Wir haben bereits mit den Zwillingen einen gewaltigen Fortschritt erreicht. Aber zwei sind nicht genug. Wir brauchen mehr Soldaten, wir brauchen mehr Menschen, die in der Lage sind Stufe 3 zu erreichen. Und Heinrich und ich haben eine Lösung gefunden." Er deutete auf mich. „Vor ihnen sehen sie einen Mutanten, der irgendwo zwischen Stufe 3 und 4 einzuordnen ist. Ihre Talente haben sich erst mit wachsendem Alter gezeigt, was eine genaue Einordnung schwer macht." Die Frau unterbrach ihn. „Aber das Mutantengen ist angeboren, vorhandene Mutationen müssten sich schon von Geburt an gezeigt haben." Strucker lächelte. „Hier kommt Doktor Heinrich ins Spiel. Er hat Neugeborene mit einem von mir entwickelten Virus infiziert, dass die Talente verbergen kann. Je älter die Person ist, desto schwächer wird das Virus. Niemand außer uns weiß von der Mutation. Deswegen wird niemand uns mit ihrem Verschwinden in Verbindung bringen. Sie werden denken, dass der Mörder sie mitgenommen hat und ihre Leiche bald in einem Wald auftauchen wird." Die Frau entspannte sich und ein anerkennendes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Doch die Augen des Glatzkopfes verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Ihr Plan hat eine Lücke. Der Mutantendoktor weiß von ihr. Er könnte uns gefährlich werden, sollten wir weitere ihrer präparierten Subjekte hinzuziehen." Struckers Lächeln war immer noch nicht verschwunden. „Oh, da machen sich keine Sorgen. Wanda hat sich um ihn gekümmert." Er nickte zu den Maximoffs. Bei der Frau musste es sich um Wanda handeln. Sie beobachtete die Runde stumm, während ihr Bruder Strucker fixierte. Nun wirkten alle in der Runde zufrieden. „Wir werden morgen mit Stufe 2 beginnen. Die nächste Sitzung findet in zwei Wochen statt. Ich danke ihnen." Der Baron nahm wieder seinen Platz hinter dem großen Schreibtisch ein und nacheinander erhoben sich die Menschen und verließen den Raum. Ich zuckte zusammen, als mich jemand am Arm berührte. Hinter mir tauchte Marina auf. „Du solltest wirklich mit mir kommen." sagte sie und widerstandslos ließ ich mich von ihr weg von dem Baron, dem großen Schreibtisch, den Bücherregalen, den fremden Menschen und den Zwillingen führen.

Sie führte mich durch einige lange, graue Gänge und einige Treppen hinunter, bis wir vor einer kleinen, grauen Schiebetür standen, die sich ebenfalls nur über ein Tastenfeld öffnen ließ. Marina tippte den Code ein und schob mich sanft auf das Bett in dem dahinterliegenden Raum zu. „Leg dich hin und schlaf. Versuche nicht allzu stark nachzudenken, ansonsten könntest du wieder Panik bekommen. Schlaf ein wenig. Morgen wird dich jemand abholen." Sie ging und die Tür schloss sich hinter ihr. Ich war endlich allein. Ich registrierte noch, dass sich die Tür von Innen nicht öffnen ließ und sank auf das Bett. Langsam begannen die Tränen wieder zu fließen. Trotz Marinas Rat dachte ich nach. Doch die Panik blieb aus. Vielmehr machte sich eine beinahe wahnsinnige Verzweiflung in mir breit. Die letzten Ereignisse warfen nichts als Fragen auf. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Inzwischen wusste ich jedoch, dass diese Menschen etwas mit mir vorhatten. Was es war, konnte ich mir nicht vorstellen. Nach und nach wurde mir die Ausweglosigkeit meiner Situation bewusst. Was auch immer sie vorhatten, ich konnte sie nicht davon abhalten. Leise weinte ich mich in einen von Alpträumen geplagten, unruhigen Schlaf.

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