Kapitel 4

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Sein Gesicht war so von Schmerz gezeichnet, dass es ihr fast den Atem raubte. Bevor sie noch etwas sagen oder tun konnte, fand sich Rhaenys wieder in ihrer kleinen Zelle. Doch die Bilder blieben. ,,Wie können Menschen nur so etwas grausames tun? Wie kann man unschuldigen Menschen so viel Leid zufügen, ohne dass diese Person etwas getan haben muss?" Diese Frage ging ihr nicht aus dem Kopf. Ebenso wenig wie die Bilder von Tristan. Die blutroten Striemen auf seinem Rücken, die Platzwunde nahe seines linken Auges, doch das war nur das äußerliche, das sichtbare. Wie sich Tristan fühlen mochte, vermag Rhaenys nur zu erahnen.

Das schlimmste war in diesen Augenblicken, in denen Rhaenys einfach nur dasaß und die gegenüberliegende Wand anstarrte, das sie ihm in keinster Weise helfen konnte. Was würde passieren, wenn sich die Wunde infizierte? Rhaenys konnte nicht einmal genau sagen warum sie sich so um den jungen Prinzen sorgte, doch irgendwo schien sie doch für ihn verantwortlich zu sein. Langsam kam mit der Zeit auch die Gewissheit, dass sie sich in einer furchtbar ausweglosen Situation befanden. Sie verbarg das Gesicht in den Händen und weinte stumm, man mochte es nur am Beben der zarten Schultern vernehmen. So saß sie nun hier, in einer kleinen Zelle einer ihr unbekannten Burg, in der man sie unmöglich finden konnte, und fühlte sich jeder Hoffnung auf Rettung beraubt. ,,Ich muss mich und Tristan retten, ich brauche einen Plan...ich kann es schaffen. Ich kann es schaffen. Ich kann es schaffen." Diese Worte sprach sie immer wieder wie eine Formel vor sich hin, während die junge Frau zu dem einfachen Strohbett in einer der Ecken der Zelle tappte und sich darauf zusammenrollte. Eine Decke gab es nicht, und mit der Dunkelheit kam auch die Kälte. Müde und ausgelaugt sank sie bald in einen tiefen, unruhigen Schlaf.

Im Traum irrte Rhaenys durch dunkle Gänge, gehetzt von gesichtslosen Männern in schwarzen Kutten. Von allen Seiten schienen sie zu kommen, engten sie ein und versperrten der panischen Rhaenys den Weg. Von fern hörte sie die Schmerzensschreie eines jungen Mannes, gefolgt von einem leisen Wimmern. Nun kamen die gesichtslosen Männer immer näher, es schien als würde sie nicht genug Luft bekommen...

In diesem Moment wachte sie gehetzt atmend auf ihrer Pritsche aus Stroh auf. Die Männer waren verschwunden, ebenfalls die dunklen Gänge, welche sie entlanggerannt war. Lediglich die Schreie und das Wimmern waren geblieben Es klang so schmerzhaft, so traurig und wahnsinnig herzzerreißend. Rhaenys lief zu den Stäben ihrer Zelle und sah in den Gang, doch sie konnte nichts erkennen. ,,Hört damit auf, er hat doch nichts gemacht! Quält ihn nicht noch mehr! Bitte!" Doch niemand reagierte. Als sie sich schon wütend wieder setzten wollte, hörte sie eine der Zellentüren knallen, gefolgt von schweren Stiefelschritten. Der Mann war so plötzlich bei ihr, das ihr für einen Moment der Atem wegblieb. Mit der einen Hand legte er ihr ein Messer an die Kehle, mit der anderen hielt er eine Peitsche. Bei genauerem Hinsehen...,,oh bitte, lass es kein Blut sein, bitte..." Rhaenys musste wohl sehr geschockt aussehen, denn der grauhaarige Mann grinste sie boshaft an. ,,Macht sie dir Angst, die Peitsche? So sollte es auch sein, Mädchen! Wenn du nicht augenblicklich mit dem Geschrei aufhörst, statte ich dir anschließend auch einen Besuch ab. Es ist mir egal dass du eine Frau bist, für das Werk deines Vaters sollte ich dich auf der Stelle töten! Der kleine Prinz müsste doch nur seinen Mund aufmachen und uns einige Sachen erzählen die wir wissen wollen, mehr verlangen wir nicht. Und genauso ist es auch bei dir, mit dem kleinen Unterschied das du noch unversehrt bist..." Erneut trat das boshafte Lächeln auf sein Gesicht. Mit seinem Messer zog er eine dünne Linie an ihrem Hals entlang und beobachtete, wie ein Blutstropfen ihren Hals entlang rann.

,,Es reicht Tom. Es ist nicht deine Aufgabe dich um sie zu kümmern. Geh jetzt." Rhaenys hatte nicht bemerkt wie der Anführer der Geächteten in ihre Zelle gekommen war. Tom, der Name des Mannes mit dem schrecklichen Lächeln, verließ augenblicklich den Raum.

Rhaenys fixierte den ehemaligen Lord mit ihren grün-goldenen Augen, in ihrem Blick war nichts anderes als Hass zu finden. ,,Ich werde euch nichts erzählen, das habe ich euch bereits gesagt. Euer Besuch ist damit umsonst." Sie versuchte ihre Stimme so kalt wie möglich klingen zu lassen.

,,Rhaenys, ich kenne dich seit du ein kleines Mädchen bist. Dein Vater war mir von Kindesbeinen an ein guter Freund. Es war eine Tat der Rache, das muss ich zugeben, und doch habe ich gleiches mit gleichem vergolten. Dein Vater, dein König und all die anderen Männer haben uns alles genommen, nachdem wir vogelfrei waren standen wir gesellschaftlich noch fast unter den Bettlern und Obdachlosen. Und selbst die hatten nicht einen Blick für uns übrig. Doch sie haben niemals gesehen, wie wir das Königreich reformiert hätten, es wäre eine neue Ära im Land angebrochen! Du kanntest nicht unsere Pläne, unsere Ziele..." Abwesend wand Rhaenys den Kopf, sie wollte ihm nicht zuhören. Niemals würde der Mann, der ihr ein Fremder war, den Tod ihrer Mutter rechtfertigen können. Niemals. ,, Es ist mir egal, was eure Pläne und Ziele waren. Ihr habt Verrat am König und Verrat an eurem Heimatland begangen. So etwas kann niemand rechtfertigen. Eure soziale Stellung ist berechtigt, ihr seid Mörder und Plünderer, die sich gegen das Königshaus gestellt haben."

,,Rede nicht so mit mir!", in seiner Stimme lag unwahrscheinliche Wut, sie konnte sie auch in seinen Augen sehen. ,,Wenn dir das Leben deines Prinzen lieb ist wirst du sprechen, und wenn nicht...würde man euch im Land aussetzen, der Junge würde nach wenigen Tagen nicht wieder aus seinem Schlaf erwachen. Du hast die Wahl Rhaenys." Er wandte sich zur Tür. ,,Du hast die Wahl."

Nach einem kargen Mahl aus altem Brot und einfachem Käse rollte sich Rhaenys mit dem Rücken zur Wand auf ihrer Matratze zusammen. Ging es Tristan so schlecht? ,,Was ist, wenn er dir nur Angst machen wollte? Vielleicht würden sie es zurück nach Hause schaffen, vielleicht..." es war alles nur theoretisch, Rhaenys wusste noch nicht einmal wo sie sich befanden. Was sollte sie nur tun?

Zu dem Zeitpunkt wusste Rhaenys noch nicht, dass sie in einen sehr tiefen Schlaf fallen würde, und erst nach drei Tagen des Schlafes wachte sie auf.

Etwas war anders. Es roch wie in der Natur, und auch die Strohmatratze hatte sich anders angefühlt.

Sie war nicht mehr in der Burg.

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Hat man Rhaenys tatsächlich ausgesetzt? Wird sie es schaffen den Weg zurück zu finden?

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