Zehnter Akt

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,,Wach auf!"

Eine tiefe Stimme hallte in meinen Ohren wieder. Eine Stimme, die ich nur allzu gut kannte und am liebsten vergessen hätte. Meine Schläfe pochte, so als wäre ich an der Stelle mit einem Hammer erschlagen worden. Und um ehrlich zu sein, wünschte ich mir das in jenem Augenblick mehr als alles andere - tot zu sein.

Fäden aus Licht bahnten sich durch ein schlecht verbarrikadiertes Fenster den Weg in eine Zelle. Der steinerne Boden, auf den ich für lange Zeit gelegen zu haben schien, da mein ganzer Körper schmerzte, verfügte über unzählige Unregelmäßigkeiten. Einzelne Steinkörner hatten sich in meine Haut gebohrt und hinterließen Druckstellen, sobald ich mich aufrappelte. Wie ein kurzer Regenschauer fielen sie alle gleichzeitig hinunter und prallten dann wieder auf den Boden auf, der Ort, an dem sie hingehörten. Staub schwebte durch die Luft und tanzte in den kleinen Lichtstrahlen, die mich suchten, mich streichelten. Ich wusste nicht, wie lange ich an Ort und Stelle gewesen war. Vielleicht waren es Sekunden, Minuten oder im schlimmsten Fall Jahre. Langsam zog ich mein Bein an mich heran, woraufhin metallisches Rascheln zu hören war. Es war unmöglich. Meine Finger zu meinem rechten Knöchel führend, stoß ich gegen einen kalten Widerstand. Ich war angekettet und das im 21. Jahrhundert. Ich fuhr weiter. Die Ketten schienen verrostet zu sein. Ihre Oberfläche war rau und roch leicht nach alt, einen Geruch, den ich noch nie gemocht hatte. Schaudernd zog ich nun das andere Bein an mich heran und ballte mich zusammen, im Versuch zu verschwinden. Ich zog den Stoff meines Kleides herunter, um meine nackten Beine zu verdecken. Mir war kalt und die Tatsache, dass ich in einem eisigen Raum ohne Bett, Decke oder gar einer Heizung war, half mir auch nicht gerade weiter. Reiji spinnt, hörte ich eine leise Stimme in meinem Kopfe sagen. Ich verneinte es nicht, nein vielmehr ärgerte ich mich, weshalb ich so gehandelt hatte, wie eine Idiotin.

Vor nicht allzu langer Zeit, vermutete ich zumindest, da ich mein Zeitgefühl verloren hatte, war ich zur Villa gekommen. Meine Mutter hatte mich aus meiner Alten Schule genommen, ohne mir genaue Details zu geben. Überdies schickte sie mich noch zu den Sakamaki, die sich am selben Tag meiner Ankunft noch als Vampire herausstellten. Und das was die kleine Ella in dem Augenblick gemacht hatte, war nicht wegzulaufen. Sondern ich blieb, und nahm es für selbstverständlich, dass sie mich normal behandelten - wie früher. Das war aber noch lange nicht alles. Ich wurde angegriffen, gebissen und bedroht von Verrückten, die daraufhin anfingen, mich als Spielzeug zu betrachten. Laut stöhnend und auf den Boden stampfend, brachte ich die Ketten, die an meinen Knöcheln hafteten, zum Rascheln. Mittlerweile sah ich mich nicht mal mehr als Hexe, oder wie man Menschen mit Kräften wie mich bezeichnen wollte. Ganz im Gegenteil ich war hilfloser als ein normalsterbliches Kind, noch dümmer. Seit jenem Vorfall war ich nicht mehr dazu in der Lage gewesen, Magie zu verwenden. Es war beinahe so, als hätte Shu nicht nur mein Blut, sondern auch noch das Besondere in mir getrunken. Ich fühlte mich nackt, nicht länger vollständig. Das alles war jedoch niemand anderem zu verschulden, als mir selbst. Ein ironisches Lächeln stahl sich über meine Lippen. Dann wie das Schicksal es nun mal wollte, war ich anscheinend in einen Bruderkonflikt geraten, der weitaus gravierende Folgen trug, als ich dachte. Das Verhältnis beider Vampire war fast unsichtbar, flüchtig, wie der Nebel selbst, der ihre Vergangenheit verschleierte.

Ich blickte voller Gleichgültigkeit zum Ursprung der Stimme. Er würde nicht die Befriedigung bekommen, mich kaputt, mich leiden zu sehen. Die Zelle war ein kleiner Raum, der sich in einem Turm oder ähnliches zu befinden schien. Zumindest wirkte die Einrichtung derart. Die Zelle war durch Gitterstäben, die vom Boden bis zur Decke reichten, abgetrennt von einer anderen Kammer. Zwischen ihnen war ein Abstand, der gerade mal so groß wie meine Faust war. Daher verwarf ich die Idee, irgendwie abzuhauen, relativ schnell. Und durch einige dieser Stäbe sah ich in von Federn geschmückten Augen, die in jener Dunkelheit Blutrot leuchteten. Ich registrierte innerhalb weniger Sekunden, dass er seine Schuluniform trug, die aus einer schwarzen Hose, einer Schwarzen Jacke und darunter einer Weinroten Knopfweste bestanden, die wiederum über ein pechschwarzes Hemd mit Krawatte geknöpft war. Wer auch immer dieses Design gewählt hatte, hatte wie es schien, nicht daran gedacht, wie warm es für die Schüler im Sommer sein könnte. Doch man musste ihm lassen, dass er die Uniform passend für den Schwarzhaarigen, blassen Vampir kreiert hatte. ,,Ich dachte, du würdest gar nicht mehr aufwachen.'' Eine Spur von Hohn, aber auch von Mitleid prägte seine Stimme, als er mit mir sprach. ,,Leider.'' Entgegnete ich knapp, von ihm wegschauend. Ich versuchte, die Inhalte der Winkel meiner Augen auszublenden, um den Vampir nicht sehen zu müssen. Stattdessen fixierte ich mich auf die Rillen der Wand, die auch aus anthrazitfarbenen Steinen bestand. Ich kam mir wie in einer dieser Boxen aus Filmen vor, die für Verrückte konzipiert waren. Nur sah sie nicht so bequem und sauber aus. ,,Könnte ich wissen, wieso du mich eingesperrt hast?'' An Stelle davon mich davor zu fürchten, dass ich ihn verärgern konnte, hielt ich kein Blatt vor meinem Munde. Er konnte mir nun nichts mehr anhaben; in erster Linie, weil ich sowieso eingesperrt war, und in Zweiter weil mich die eisernen Gitterstäbe von ihm trennten. Wie immer erhielt ich keine Antwort. ,,Oder so, kein Problem. Ich habe ja, wie du siehst die ganze Zeit der Welt.'' Ich streckte beide Arme synchron in die Luft und ließ meinen schmerzenden Hals knacken, ehe ich sie kreisförmig um mich herum nach unten führte. ,,Ich konnte dich auch fragen, welchen Teil von unserer Abmachung für dich unklar war. Aber das lassen wir lieber, findest du nicht?'' Er nahm sich einen Stuhl, der wenig hinter ihm gestanden hatte, und schob ihn nach vorn, die Rückenlehne zu mir zeigend. Kaum weiter weg erkannte ich auch einen Schreibtisch und eine Tür, die mein Weg nach Außen darstellen sollte. Ich keuchte regelrecht nach Luft. ,,Ich hatte gehofft, wir könnten mal eine Konversation haben, die wir beiden überleben.'' Mir auf die Unterlippe beißend, ließ ich meinen Blick zur Tür schweifen, die wenige Zentimeter von Reiji entfernt lag.

Diary of a Witch  ~ Diabolik Lovers (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt