Zwei Tage waren die Flüchtigen nun in den Bergen und der Ranger hatte ihre Spuren bereits am ersten Tag verloren. Maska hatte Recht behalten. Hanson kannte sich auf dem schwierigen Terrain der Berge nicht aus und musste bald umkehren. Das verschaffte den beiden den benötigten Vorsprung, doch wie sollten sie das wissen? Sie rasteten kaum und ritten meist in der Dunkelheit. Wieder ließen sie ihr Pferd eine Weile verschnaufen, als Maska in der Abenddämmerung etwas auffiel. „Heyatawin! Dort, siehst du den Rauch?" Anna hob den Kopf und blickte in die Richtung, in die er deutete. Tatsächlich, dort hatte jemand ein Feuer entzündet. „Kann der Texasranger uns so dicht auf den Fersen sein?", fragte sie besorgt. Maskas Stirn legte sich in Falten. Das konnte nichts Gutes bedeuten. „Ich werde nachsehen. Warte hier", wies der junge Krieger sie an. „Ich folge dir", erwiderte Anna trotzig. „Du bist zwar stark, aber dennoch eine Iya-sica mit den Füßen einer Büffelherde. Warte hier."
Doch Anna hatte sich verändert. Sie war nicht mehr das kleine artige Mädchen, das hier an der amerikanischen Küste angekommen war. Das Land hatte sie verändert, die Apachen hatten sie verändert, und das, obwohl sie noch nicht einmal wirklich lange in Texas lebte. Sie beharrte auf ihrem Wunsch mitkommen zu dürfen. Vielleicht lag es auch ein wenig daran, dass sie Maska nicht vollständig vertrauen konnte. Zwar glaubte sie, was er ihr im Gefängnis erzählte, aber sie tat das hier für den Stamm, den sie lieben gelernt hatte und nicht, damit Maska seinen Namen reinwaschen und seine Taten wieder gut machen konnte.
Also folgte sie ihm. Sie folgten den Spuren beinahe bis zum Fuß der Berge. Die letzten Meilen liefen sie, um Shilah zwischen Bäumen zu verstecken, da er zu viel Aufmerksamkeit erregen würde. Jetzt wusste Anna, was Maska versucht hatte ihr zu sagen. Er bewegte sich elegant und leichtfüßig zwischen den Bäumen hindurch, während Anna sich nur plump und ungeschickt vorkam. Hinter dornigem Gestrüpp machten sie Halt und duckten sich zwischen die mit Schnee bedeckten Zweige.
Auf allen Vieren kroch Anna näher zu ihrem Begleiter. Einen Moment beobachtete sie die Männer die um das Feuer saßen. Jeder von ihnen, drei ältere Männer waren es, war in dicke Felle gehüllt. Ihre zitternden Hände hielten ihre zerbeulten Zinnbecher fest umklammert. Anna ließ die Augen ein wenig über die Szene schweifen, bis sie plötzlich erstarrte. „Wir kommen zu spät", wisperte sie. Ihr wurde heiß und kalt und sie fühlte das Blut in ihren Kopf schießen.
Maska, der zuvor auch die Figuren am Feuer betrachtet hatte, wandte sich ruckartig zu Anna um und verzog die Augenbrauen. Das Mädchen blickte kurz in Maskas Augen und starrte dann wieder einen Punkt irgendwo bei den Männern an. Noch einmal sah sie auf und las in dem Gesicht des Apachen, dass er keine Ahnung hatte, was los war.
„Siehst du nicht dort? Ihre Taschen?" Sie wies ihm mit einem Nicken die Richtung. „Steine? Ich verstehe nicht. Aber sie halten sich auf dem Land meiner Brüder auf, tragen Pelze von unseren Büffeln, während unsere Kinder bald im Winter frieren müssen und dafür werden sie büßen." Maska zog ein Messer. „Nicht!", zischte Anna und drückte seine Hand mit dem Messer nach unten, „Es geht um viel mehr als das und das weißt du. Diese Steine sind Silbererze. Daraus wird das Silber gemacht, nach dem die Silberjäger suchen. Wenn sie anderen davon berichten ist der Stamm verloren."
„Das Volk der Iya-sica bringt so viel Schlechtes über dieses Land." Maskas Hände fassten das Messer fester. „Nicht alle Maska. Aber diese Männer kommen nicht aus meinem Land. Ich verstehe ihre Sprache nicht. Vielleicht sind es Spanier oder Portugiesen." Wieder runzelte Maska die Stirn und lauschte. „Du hast Recht. Es klingt anders als das, was damals in eurem Lager an der Küste gesprochen wurde." Er deutete an, ihm zu folgen. Dieses eine Mal war Anna dankbar für den Schnee, auch wenn dieser mittlerweile ihre ledernen Schuhe durchnässt hatte, da er jeden ihrer Schritte dämpfte und sie so lautlos verschwinden konnte. Als Maska sich sicher war, dass sie weit entfernt genug vom Lager der Männer waren blieb er stehen.
„Was sollen wir jetzt tun?", fragte Anna. In Maska schien es zu arbeiten. Er betrachtete das Messer in seiner Hand. „Weiß du", sprach er endlich, „Mein Vater erzählte mir einst von einem Sprichwort. Tote Männer erzählen keine Geschichten." „Nein, Nein und nochmals Nein! Das kommt nicht in Frage. Wir werden diese Männer nicht töten", schimpfte Anna entsetzt. „Aber du weißt es genauso gut wie ich, dass diese Steine das Land nicht verlassen dürfen. Das ist die beste Lösung." Anna nickte stumm.
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Aufbruch in die neue Welt
PertualanganAls die erst 18- jährige Anna auf der Überfahrt von Deutschland nach Amerika ihre Eltern an der Cholera verliert, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie selbst bleibt von einer Infektion verschont, jedoch stellt sie als allein reisende Frau eine Bel...