Kapitel 6

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"Wann sind Sie da?" fragte ich erneut und ging Harry damit wohl schon auf die Nerven.
"Gleich, Alice. Hör auf die ganze Zeit zu fragen" sagte Harry angenervt und goss heißes Wasser in die Tassen.
"Wie wäre es wenn du durch die Zimmer gehst und nach siehst, ob sie ordentlich sind?" schlug Harry vor.
Ich verdrehte seufzend die Augen und lief aus der Küche.
Das Wohnzimmer ist makellos wie immer, im Flur genauso, aber als ich in mein Zimmer trat, bemerkte ich schon ein paar Socken rumliegen.
Ich machte also schnell mein Bett, brachte die Socken zur Wäsche und räumte mein Stuhl auf.
Als ich dann zufrieden war, schaute ich auch kurz in Harry's Zimmer rein.
Auch sein Bett machte ich nochmal schnell und ansonsten gibt es hier auch nichts zum aufräumen.
In dem Moment fielen mir die Bilder an der Wand in mein Blickfeld.
Ich ging näher heran.
Auf einem konnte man Harry sehen.
Er hatte wilde Locken die ihm ins Gesicht fielen.
Er grinste auf dem Bild und neben ihm steht eine Frau, offensichtlich seine Mutter.
Es ist wohl ein älteres Bild, weil Harry darauf noch echt jung aussah, so um die 14/15.

Ich zuckte zusammen, als es klingelte.
Ich sprintete aus dem Zimmer.
"Machst du bitte die Tür auf?!" rief Harry aus der Küche.
"Ja mach ich" erwiderte ich.
Mein Bauch kribbelte schon vor Aufregung und ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.
Ich drückte auf den Knopf mit dem winzigen Schlüssel drauf und öffnete die Tür einen Spalt.
Wenige Sekunden später steht ein Typ vor der Tür.
Er musterte mich, wie ich ihn und lächelte dabei.
"Du musst Alice sein" grinste er erfreut und nahm mich gleich in den Arm.
"Ich bin Niall, darf ich rein kommen?" fragte er.
"Ja natürlich" antwortete ich schnell und trat zur Seite, damit er eintreten kann.
"Nialler!" rief Harry plötzlich und die beiden umarmten sich stürmisch.
"Hazza wie geht es dir? Wir haben uns ja lang nicht mehr gesehn" sagte Niall und zog sich die Schuhe aus.
"Uns geht es wunderbar, ich hab mir frei genommen für eine Weile" erwiderte Harry und ich lächelte über die beiden.
Sie sehen so glücklich aus und stumm ging ich in die Küche um den Kaffee zu kochen, was Harry machen wollte. Aber ich ließ sie lieber reden, denn wie Niall eben schon sagte, die beiden haben sich lange nicht mehr gesehen.

Ich ging rüber ins Wohnzimmer mit den Tassen und stellte sie auf den Tisch.
"Dankeschön" sagte Niall und lächelte mich an.
"Wie ist es für dich eigentlich? Fühlst du dich wohl bei diesem kleinen Idioten?" fragte Niall und stieß Harry gegen die Schulter.
"Hey!" gab er von sich.
"Wieso denn klein? So wie ich es gesehen habe ist Harry größer als du" entgegnete ich frech grinsend und setzte mich ebenfalls auf den Sessel neben dem Sofa.
"Unser Harry hier ist aber der jüngste von uns allen, deshalb" lachte Niall.
Ich hob überrascht eine Augenbraue
"Es sieht aber echt nicht danach aus. Und um auf deine Frage zurückzukommen, ich habe mich nirgendwo wohler gefühlt als hier" lächelte ich.
Bevor einer der beiden etwas erwidern konnten klingelte es schon wieder an der Tür aber anders als bei Niall, redeten da zwei Personen lautstark dahinter.
"Ich geh schon" sagten Harry und ich gleichzeitig, standen auf und ich öffnete die Tür.
"Hör auf, kleiner! Du reißt mir noch die Hosen runter- Harry! Und du bist dann wohl Alice"
"Ich bin Liam. Der verrückte Idiot hier heißt Louis und das ist mein kleiner Sohn Bear" stellte ein kräftig gebauter Typ alle vor "schön dich endlich mal kennenzulernen"
Er gab mir die Hand, die ich schüttelte.
"Ich bin kein Idiot, du Idiot.
Und ich finde es auch schön dich endlich mal persönlich kennenzulernen" entgegnete der andere und umarmte mich wie Niall vorhin auch kurz.
Bear sah mit seinen großen braunen Augen zu mir hoch und musterte mich schüchtern.
Ich lächelte jedenfalls zu ihm runter und Harry und ich ließen die drei rein.

"Schön, dass ihr alle kommen konntet..."
Während Harry die Jungs dann zu Niall zum Sofa begleitete begab ich mich wieder in die Küche, machte mehr Kaffee und goss ein Becher Orangensaft für den Kleinen ein.
"Was? Cheryl ist schwanger!?" rief Harry überrascht aus.
Ich nahm die zwei Tassen und den Becher und brachte sie mit ins Wohnzimmer.
"Ja, Bear bekommt eine kleine Schwester" erzählte Liam und lächelte glücklich.
"Herzlichen Glückwunsch" sagten Harry und ich wieder gleichzeitig und sahen uns kurz grinsend an.
Ich stellte die Sachen auf den Tisch
"Danke, Alice" Liam nippte sofort an seinem Kaffee.
"Und danke euch beiden. Cheryl und ich haben schon so lange auf den richtigen Moment gewartet und nun ist sie bereits im dritten Monat" erzählte er lächelnd.
Er scheint wirklich richtig glücklich zu sein.
"Alice" sagte Louis plötzlich.
Ich sah auf und schaute ihn an.
"Wie alt bist du jetzt eigentlich? Harry hat uns nicht gerade viel erzählt" fragte er mit einem Seitenblick auf Harry.
"Ich bin 16 seit dem 23. Dezember" antwortete ich und wurde dann von allen angesehen.
"Das ist ja ein Tag vor Heiligabend!" stellte Niall fest und wurde sofort von Louis gegen die Schulter geschlagen "Hast du da nicht was vergessen?" fragte dieser gespielt bedrohlich leise.
Niall tippte sich überlegend gegen's Kinn und zuckte anschließend mit den Schultern "Zwei Tage vor Weihnachten?" fragte er sich und grinste gespielt ahnungslos.
"Sie hat einen Tag vor Louis Geburtstag" warf Harry ein.
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"Wie läuft das eigentlich in einem Kinderheim? Also wenn man adoptiert wird" fragte Liam interessiert. Harry sah ihn alarmiert an, weil es doch irgendwie ein heikles Thema bei mir ist, aber ich legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
"Jeden Mittwoch kommen "die Eltern", so werden sie genannt, um 12.30 Uhr in unse- den Versammlungsraum. Wi- Die Kinder sitzen dann schon, jeder an seinem eigenen Tisch. Die Eltern sehen sich dann um, und wenn sie ein Kind sehen, dass sie näher kennenlernen wollen, setzten sie sich ihm gegenüber und unterhalten sich mit ihm. Bei kleineren Kindern, die noch nicht wirklich sprechen können, werden ihre Akten mit auf den Tisch gelegt" antwortete ich ihm und ein unwohles Gefühl stieg in mein Bauch, wenn ich an meine Zeit dort zurückdachte.
Jeden Tag trage ich ein Oberteil mit langen Ärmeln um meine Narben zu verdecken.
Ich merkte schon, wie sie langsam verblassen, aber es ist noch immer viel zu sehr zu sehen.
"Und im Heim selbst?" wollte Niall wissen. Harry sah mich von der Seite besorgt an, aber ich lächelte.
"Es ist dort zugegebenermaßen echt...scheiße. Die Betreuer machen ihren Job nicht und man ist dort mehr oder weniger auf sich allein gestellt.
Das Essen schmeckte nicht, im Gebäude wirkte alles wie ein Krankenhaus und man fühlt sich dort einfach nicht wie Zuhause..." murmelte ich und fing an meine Finger zu kneten.
Die drei sahen mich mitleidig an und ich wand mein Blick ab, zu Bear.
Er sitzt auf Liams Schoß und trank gerade aus seinem großen Becher, was echt verdammt süß aussah.
Kleine Tropfen rannen seinen Kinn runter.
"Hattest du dort keine Freunde?" fragte Liam.
Ich schüttelte den Kopf "Nein, nur eine Freundin als ich noch ganz klein war. Sie wurde jedoch schon nach wenigen Monaten adoptiert" erzählte ich "aber jetzt ist ja alles wieder gut und es ist echt schön nach so vielen Jahren endlich ein richtiges Zuhause zu haben"
Ich klemmte meine Hände unter meine Schenkel und lächelte.
Harry sah mich an und wieder glänzte dieser Stolz in seinen grünen Augen, wie in der Nacht in der er mich aus dieser Hölle geholt hatte.
"Also ich muss zugeben, als Harry sich dazu entschied ein Kind zu adoptieren, konnte ich mir das nicht so richtig vorstellen. Vorallem, als er mir schrieb, dass du schon älter bist" entgegnete Niall "Immerhin ist er "nur" dreizehn Jahre älter als du"
Ich sah ihn überlegend an, und stimmte ihm sogar irgendwie zu.
Mit einem kleinen Seitenblick zu Harry, merkte ich auch, wie er seine Augenbrauen zusammen zog.
"Diesen Gedanken hatte ich auch eine Weile. Ich wusste, dass sich viele die uns nicht näher kennen das selbe denken werden, vorallem wenn sie nicht wissen, dass Alice meine Adoptivtochter ist.
Aber etwas in mir sagte, es wäre die richtige Entscheidung. Und als ich sie in der Nacht hier her brachte und sie in die Wohnung trug, während sie schlief, wusste ich, dass ich richtig entschieden habe" sagte Harry.
Seine Worte bewegten mich innerlich und ich musste lächeln.
Ich bin so unendlich froh, dass Harry in unser Heim gekommen ist und mich mitgenommen hat.
Ich wüsste nicht, was sonst passieren würde, oder ob ich noch leben würde, denn das bezweifle ich stark.
Ich glaube ich hätte es nicht mehr ausgehalten, wenn Harry doch nicht gekommen wäre.
Ich hätte mir meine Arme aufgeschnitten, da habe ich keine Zweifel.
"Das sieht man dir auch an und wie du darüber redest" erwiderte Liam "und ich glaube auch, dass Alice gut hier rein passt und vorallem zu dir passt. Mag ja sein, dass ihr euch nicht so ähnlich seht, vorallem weil du, Alice, leichte Asiatische Züge hast, aber wie ihr euch versteht, seid ihr euch schon ein bisschen ähnlich"
Harry und ich schauten uns grinsend an und nickten gleichzeitig - schon wieder.
"Jap. Da stimmen wir wohl alle zu" lachte Louis und sah uns abwechselnd an.
"Woher kommen die asiatischen Züge eigentlich?" fragte er neugierig.
Mir blieb ganz kurz die Luft weg, weil diese Frage Bilder von meinen Eltern beim Unfall, schreiend und blutverschmiert, vor meinem inneren Auge auf flackern lässt, aber ich ließ mir nichts anmerken.
"Ich bin mir nicht mehr hundertprozentig sicher, aber ein Teil meiner Wurzeln sitzen in China und einem Indianervolk aus Nordamerika.
Aber diese Generation reicht weit in die Vergangenheit zurück.
Teilweise kommen meine Vorfahren auch aus Europa" murmelte ich überlegend.
"Also wir kommen alle aus Großbritannien" grinste Louis, wurde aber direkt von Niall gegen die Schulter gehauen.
"Ich bin Ire, falls dir das entfallen ist" sagte Niall.
"Ja so wie dir mein Geburtstag" konterte Louis.
"Das war aber nicht ernst gemeint" warf Niall ein.
"Jungs!" unterbrach Harry lächelnd "Hört auf jetzt"
Ich merkte eine Bewegung im Augenwinkel und sah Bear, wie er sich aus Liams griff befreite und sich auf den Boden setzte.
Er sah sich neugierig um und blieb dann bei mir stehen.
Er sah mich mit seinen leuchtenden, braunen Augen an und fing dann an zu grinsen, wobei man seine kleinen Zähne sehen konnte.
Ich lächelte bei diesem unglaublich niedlichen Anblick auch. Bear stand mühsam auf und trottete zu mir.
"Das ist Alice" sagte Harry zu ihm und lächelte ihn mit seinem Grübchenlächeln an.
Er gab Bear die Hand und zog ihn zwischen ihm und mir auf das Sofa.
"Al..ice" murmelte er flüsternd nach. Er sprach meinen Namen richtig aus, aber irgendwie klang es doch ganz nuschelig, vorallem weil er dann auch noch so leise flüsterte.
Er hob seinen Arm und tickte mir mit seinem Finger auf meine Nase, wobei ich absichtlich schielte und ihn somit zum lachen brachte.
Bei diesem Geräusch ging mir das Herz auf, es gibt doch nichts besseres, als wenn ein kleines Kind glücklich lacht.
Und das sahen die Jungs wohl genauso, denn auch sie trugen ein Lächeln auf ihren Lippen.
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Nach einer weiteren Stunde mussten die vier schon wieder los.
Liam möchte Cheryl, seine Frau wie ich erfuhr, nicht zu lange alleine lassen, was ich vollkommen verstehen konnte.
Louis muss noch seinen Sohn Freddie abholen, der bei einem seiner Freunde spielte und Niall ist noch müde. Er ist gestern noch in Japan gewesen und weil der Flug bis in die Nacht ging und sehr anstrengend war, möchte er den Schlaf aufholen. 

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