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Der Trenchcoat, der mittlerweile schon sowas wie sein Markenzeichen geworden war, hing vollkommen durchnässt an Castiels Körper herunter. Er war durch den Regen, den er eingesogen hatte, schwer geworden. Mit schweren Schritten stapfte Cas den Weg entlang, um zu dem Spielplatz zu kommen, welcher der Weg in den Himmel war. Es war irgendwie passend, dass es in Strömen regnete, es passte wunderbar zu seinem Gemütszustand. Seine Haare klebten ihm an der Stirn, nicht weniger durchnässt als der Trenchcoat. Seine Schuhe waren mit Schlamm bedeckt, noch so ein Nebeneffekt des Regens. Er war fest entschlossen, im Himmel nach Hilfe zu fragen. Es war ihm absolut bewusst, dass er dort nicht mehr erwünscht war, doch er würde einfach so lange warten, bis ein Engel entweder hinaus- oder hinein musste. So lange konnte das nicht dauern. Es durfte nicht so lange dauern. So viel Zeit blieb Dean nicht mehr. Dass Cas sich dazu hinreißen ließ, ausgerechnet im Himmel zu fragen, ob sie Dean Winchester retten konnten, zeigte sehr gut, wie verzweifelt er war. Er würde nichts unversucht lassen, um Dean das Leben zu retten. Als er an der Sandkiste des Spielplatzes ankam, war es wie immer Menschenleer. Er konnte absolute Stille vernehmen.
Die Augen geschlossen, sog er gierig die vom Regen gewaschene, reine Luft ein. Seit er wusste, was Dean getan hatte, sah er ihn jedes Mal vor seinem geistigen Auge, sobald er diese schloss. Er sah, wie sehr Dean die Krankheit zusetzte und wie sehr er leiden musste. Das war kaum zu ertragen und Cas wusste einfach nicht, wie er damit umgehen sollte, wie er es abschalten konnte – es riss ihm jedes Mal aufs neue das Herz aus der Brust. Seufzend ließ Castiel sich auf die Schaukel fallen und blickte gen Himmel. Er war vollkommen Wolkenverhangen und Pechschwarz, der Regen prasselte unaufhörlich hinunter.


Mittlerweile war auch das Hemd, das er trug, vollkommen durchnässt. Der Wind, der ihm um die Ohren blies, tat das übrige dazu, dass es hier nicht besonders idyllisch war und Cas sich nicht besonders wohl fühlte. Doch es half nichts, er musste hier warten, das war er Dean schuldig. Es entzog sich absolut seinem Verständnis, warum Dean so töricht gewesen war und sich auf einen solchen Deal eingelassen hatte. Die einzige Erklärung, die er finden konnte, war, dass Dean tatsächlich sehr verzweifelt gewesen sein musste ... doch warum hatte Dean ihn nicht einfach sterben lassen? Er hatte lange genug gelebt. Er war bereit gewesen. Cas konnte diese Last auf seinen Schultern niemals tragen – zu wissen, dass Dean starb, nur damit er weiterleben konnte. Es war schwierig, schlau aus Dean zu werden, weil er seine Gefühle immer versteckte oder überspielte. In der Vergangenheit gab es schon einige Momente, in denen Cas sich nicht sicher war, ob Dean ihn überhaupt mochte – doch dann stellte sich heraus, dass sein manchmal schroffes, mürrisches Verhalten einfach die Art war, die Menschen, die ihm etwas bedeuteten, zu beschützen. Cas konnte sich noch ganz genau erinnern, welch erhebliches Misstrauen Dean ihm entgegenbrachte, als sie sich kennenlernten. Er hatte keinem einzigen Wort vertraut, das aus Cas' Mund kam. Dann waren sie plötzlich so eng miteinander verbunden, dass Cas den kompletten Himmel nur für eine einzige Person aufgegeben hatte ... natürlich nicht ausschließlich für Dean, sondern auch aufgrund seiner neu gewonnenen Überzeugungen. Doch er konnte nicht leugnen, dass Dean die Person war, die ihm am meisten bedeutete. Dieser Schmerz, den er fühlte, war jetzt schon so unerträglich, dass er sich kaum vorstellen konnte, wie es erst war, wenn Dean tatsächlich gestorben war ...


Plötzlich hörte er das Knacken eines Zweiges hinter sich. Fluchtartig zückte er seine Engelsklinge und drehte sich um.
„Castiel", sagte ein großer, bärtiger Mann. „Du lebst noch", er schien überrascht.
Cas runzelte die Stirn. Es war außer Frage, dass der Engel ihm nicht besonders wohlgesonnen war.
„Fabriel?", fragte er. Der Engel nickte.
„Ja, ich bin es. Lass mich raten.... der Winchester, in den du so verliebt bist, braucht Hilfe, weil er im Sterben liegt."
Cas starrte ihn entgeistert an. Hatten sie Dean die kurze Zeit, in dem er nicht im Bunker war, auf ihrem Radar oder hatten die Engel die Information von Rowena selbst?
Fabriel hatte seine Klinge nicht gezückt. Offenbar wollte er nicht mit Cas kämpfen, doch er ging nicht aus seiner Abwehrstellung heraus. Zu oft hat ihn falsches Vertrauen in verheerende Situationen gebracht ...
„Dann werdet ihr mir nicht helfen?", er ließ seinen Blick keinen einzigen Moment von ihm ab.
Fabriel begann, auf und ab zu gehen. Er schien tatsächlich kein Interesse daran zu haben, Castiel zu töten oder ihn zu verwunden.
„Das wusstest du doch bereits, bevor du überhaupt hier herkamst."
Cas blickte zu Boden. „Ich hatte Hoffnung."
Fabriel stieß einen spöttischen Laut aus. „Hoffnung", er betonte das Wort absichtlich abschätzig. Nun kam seine Engelsklinge doch zum Vorschein. Offenbar hatte er sich es anders überlegt und wollte die Angelegenheit doch nicht friedlich regeln. Fabriel sah in den Himmel, während er weiter auf und ab ging. Castiel wägte ab, ob er abwarten oder in den Angriff übergehen sollte. Er wollte kein unnötiges Blut vergießen, schon gar nicht das eines Engels, doch so wäre er im Vorteil, sollte es zu einem Kampf kommen. Er seufzte und ließ die Engelsklinge in seiner Hand sinken.
„Fabriel, bitte", Verzweiflung lag in seiner Stimme, „ich weiß, die Winchesters sind nicht gerade das beliebteste Duo im Himmel, aber Dean braucht wirklich Hilfe. Er hat mein Leben gerettet und seins dafür geopfert. Er wird sterben, wenn er nicht bald Hilfe bekommt."
Der andere Engel zuckte mit den Schultern, als wäre ihm das, was Cas ihm gerade gesagt hatte, vollkommen gleichgültig.
„Warum sollte mich – oder irgendeinen anderen Engel – interessieren, was mit Dean Winchester passiert?", er machte eine abfällige Handbewegung, „ich gebe dir einen Rat, Castiel. Lass ihn sterben. Er ist es nicht wert, den Himmel noch stärker gegen dich aufzubringen. Ich habe dir einen Gefallen getan, indem ich hier hergekommen bin. Hättest du dir irgendwie Zutritt in den Himmel verschafft – vermutlich hätte es keine zehn Sekunden gedauert, bis man dich umgebracht hätte. Du hast noch eine Chance, Castiel. Irgendwann wirst du es wieder gut machen können. Setz das nicht aufs Spiel wegen einem einzigen Menschen."

How can I ever get over you?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt