15.Kapitel:Grausam wie Todesschreie

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Ri starrte nach vorn.
Ihr Lachen war vor einigen Stunden verklungen und hatte sie mit einem seltsamen Gefühl der Leere zurück gelassen.
Nun war es still.
Bis auf das Donnern von Shindas Pfoten auf den heißen Sand der unendlichen Wüste und das Heulen der riesigen Windläule, die den Sand hinauf in die Atmosphäre schleuderte, als gälte es diese zu füllen.

Ihre Hände krallten sich tief in die Mähne des Tieres, aber ihr Bewusstsein war weit weg.
Eine gewisse Unruhe hatte sich ihrer bemächtigt, seit sie aus dem Glückstaumel erwacht war. Und nun versuchte ihr Verstand die Ursache für diese zu finden.

Immer wieder ging sie ihren Plan durch, immer wieder kam sie zu dem Ergebnis das er unausgereift und vielleicht etwas zu optimistisch war.
Aber nicht diese Tatsache ließ ihre Haut vor unruhe kribbeln.

Sie hatte das Gefühl etwas vergessen zu haben, etwas über sehen zu haben das wichtig war.
Was auch immer es war, es schwirrte in ihrem Bewusstsein umher, immer so flink an ihrer Wahrnehmung vorbei, das sie nie mehr als einen groben Eindruck gewinnen konnte und das machte sie wahnsinnig.

Dann zuckte ihr Kopf in den Nacken. Sie spürte ihn genau, den Moment in dem sie die Grenze des Bekannten Landes passierte. Den Augenblick als sie von ihrer angestammten Heimat, von ihrem Hoheitsgebiet in das der Menschen wechselte und die verbindung zum Herren der Wüste verschwand.

Kajatan spürte wie Ri sich vor ihm plötzlich versteifte. Ihre Muskeln zuckten und sie riss den Kopf nach hinten. Einen Moment blickten ihre Schreck geweiteten Augen starr in den Himmel, der Mund von einem stummen Schrei verzehrt, dann lösten sich ihre Hände aus Shindas Mähne und Ri glitt zur Seite.

,,Ri!"

Seine Finger schloßene​ sich um ihren Arm, fest wie ein Schraubstock. Mit der freien suchte er sicheren Halt, doch Ris Gewicht zog ihn unaufhaltsam dem Boden entgegen.

,,Shinda!"

Schrie er verzweifelt.
Shinda versuchte das Tempo zu verlangsamte, doch der Sturm, den er entfacht hatte trieb ihn nun vor sich her.

Kajatan spürte wie ihm die Strähnen von Shindas Mähne in doe er sich klammerte zu entgleiten begannen. Ris Körper zog ihn unaufhaltsam aus den dahin jagenden Grund zu, doch er würde sich vom Sand lieber das Fleisch von den Knochen schleifen lassen als das Wesen zu verlieren das ihm mehr als alles andere auf der Welt bedeutete.

Mit einem kräftigen Ruck zog er sie hoch in seine Arme und verlor im selben Moment den Halt an Shindas Mähne.

Erst war da nur das unbestimmte Gefühl zu fallen, dann kam der Aufprall. Es war als bohrten sich Tausend kleine Nadeln zu gleich in seinen Rücken. Der Schmerz trieb ihm die Luft aus den Lungen und Sand schien diesen platz einnehmen zu wollen.

Seine Finger suchten Halt in dem noch immer dahin ziehenden Boden. Als sein Körper endlich wie eine leblose Puppe im Sand zum liegen kam, waren seine Fingerkuppen blutig und zerrissen.

Er sprang auf, stolperte, schmeckte Sand und fiel schließlich neben Ri auf die Kniehe.
Ihm stockte der Atem, als er in ihre Augen blickte. Das Gold ihrer Iris flackerte. Schwarz explodierte darin, nur um mit dem nächsten blinzeln wieder zu verschwinden. Helles Gold flammte auf, wurde von der Dunkelheit verschluckt und brach erneut hervor.
Es schien als kämpfen zwei Mächte in Ris Augen, deren Herkunft Kajatan nicht verstand. Er fühlte sich so hilflos. In seiner verzweiflung packte er Ris Schultern und schüttelte die junge Golem.

,,Ri! Ri, was ist los? Antworte mir!“

Ris Muskeln zuckten noch immer unkontrollierte und ihre Sicht verdunkelte sich zunehmend. Mit einem mal blinzelte sie heftig und ihre Augen waren für einen Moment wieder ganz klar.

„Ich bin wohl abgerutscht, danke, das du da bist.“

Sagte sie und auf ihren Lippen lag ein gezwungenes Lächeln.
Dann begann sie zu schreien.

Es war ein hoher, lang anhaltender Ton, der Kajatan alles Blut in den Adern gefrieren ließ. Er drang in seine Knochen und brachte sie zum vibrieren.
Er begann am ganzen Laib zu zittern.
Er kannte diese Schreie. Er hatte sie oft genug selbst hervorgerufen.

Es war der Schrei eines sterbenden.

Der Schmerz explodierte hinter ihrer Stirn. Heiß und lähmend kochte er durch ihren Verstand und ließ ihre Gedanken verglühen wie Dunstspuren in der Wüstensonne. Er lockte ihr den Schrei aus der Kehle, der anhielt bis sie keinen Atem mehr zum schreien hatte.
Ihr Bewusstsein wand sich unter dem plötzlich ansturm und in einem seiner Winkel begriff sie mit einem mal was vor sich ging.

Sie kannte diese Macht, hatte sie schon mal gespürt. Es war die selbe Kraft der sie sich all die Jahre gebeugt hatte. Die sie in ein Ding ohne eigenen Willen verwandelt hatte,
zu einem Sklaven der Launen der Menschen.

Sie fühlte sich hilflos.
Diese Kraft hielt ihr gesamtes Volk gefangen, wie sollte ausgerechnet sie sich ihr entziehen?

,,Das hattest du also gemeint, mit deine Macht reicht nur bis zur Grenze.“

Sprach sie in Gedanken zum Herren der Wüste. Doch er hörte sie nicht. War zu weit weg und Ris Bewusstsein versank in der ihr alt bekannten Leere.

Kajatan betete. Er kannte keine Götter, hatte nie den Wunsch verspürt nach ihnen zu rufen, nicht als er von seiner Mutter getrennt worden war, nicht als ein Kamerad nach dem anderen neben ihm gestorben war.

Doch jetzt betete er, zum Herren der Wüste, zum Sand, zum Wind, zu dem was auch immer das Licht ihrer Augen verschlungen hatte, es möge sie ihm zurück geben.

Er verstand nicht was vor sich ging. Erst waren ihre Schreie erstorben, dann hatten sich ihre Augen komplet schwarz gefärbt und nun lag sie reglos da.

Irgendetwas, das er nicht sehen, nicht bekämpfen konnte, hatte ihm Ri genommen und nur eine leere Hülle zurück gelassen.
In seiner verzweiflung nahm er sie in seine Arme und wiegte sich langsam vor und zurück.
Ein Lied kam ihm in den Sinn. Seine Mutter hatte es oft gesungen, mit heiserer Stimme und Tränen in den dunklen Augen.
Er hatte die Worte vor langer Zeit vergessen, doch jetzt begann er es leise zu summen.

Shinda kam irgend wann zu ihnen gelaufen. Der mächtige Kopf beugte sich zu den beiden Gestalten herab und die Nase hatte den Geruch seiner jungen Herrin gesucht. Er begann klagend zu Winseln und Kajatan nickte dumpf. Er empfand das selbe wie die riesige Sandbestie.

Dann versank die Sonne hinter dem Horizont und die Nacht legte sich wie eine kühle Decke über die Trauernden.

Der Gesang der GolemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt