24.Kapitel:Vertraut wie alte Wege

630 94 11
                                    


Ri fühlte sich in die Zeit bei der Karawane zurückversetzt. Die Tage waren gefüllt mit der immer gleichen Wüstenlandschaft und vor Hitze flimmender Luft. Der Sturm, der sich jedes Mal um Shindas Pfoten aufbaute, brach sich an immer neuen Wällen und so viel Ri bereits gesehen hatte, so wenig Neues gab es für sie hinter den steinernen Mauern zu finden.

Einige Ausnahmen waren ihre Tage in Felfad, auch das Bienennest genannt, deren Bewohner lange Tunnel und Gänge in einen riesigen Berg getrieben hatten und nun im Inneren des tonnenschweren Kolosses lebten.

Sie sahen auch die berühmte Oasenstadt Ave, die über eine der letzten oberirdischen Trinkwasserquellen verfügte. Ri hatte noch nie so viel Wasser auf einmal gesehen und stundenlang voller Verzückung die blaue Masse beobachtet, den Anblick jeder winzigen Welle in sich aufgenommen, als gälte es sie für immer zu bewahren.

So schön sie diesen Teil ihrer Reise empfand, so schrecklich waren ihre Erlebnisse in Undragan. Eine Stadt, die vor Jahrzehnten riesige Kuppeln aus Diamantit über sich errichtet hatte, im Bewusstsein dass der Sand sie irgendwann verschlucken würde.
Und das hatte er getan.
Die gigantischen Bauwerke lagen nun unter den feinen Gesteinsmassen begraben, nur zu erreichen durch einen langen Tunnel aus Metall und Draht. Sie nannten es einen Aufzug, doch für Ri fühlte sich die kalte Kammer, die sie bebend und schwankend immer tiefer in die Eingeweide der Wüste brachte, an wie eine Todesfalle. Kajatan redete beruhigend auf sie ein und schirmte sie vor den Blicken der Wache ab. Es war seine Stimme gewesen, die sie davor bewahrte vor Panik zu schreien.
Unten angekommen, war es nicht besser geworden, es war ihr als habe Jemand eine Grabplatte über ihr geschlossen und sie in der Dunkelheit zum Sterben zurückgelassen. Die junge Golem hatte auf eine sofortige Abreise bestanden nachdem das Nötigste erledigt war, auch wenn es ihr vor einem zweiten Betreten des Aufzugs graute.

Die letzte größere Stadt, die sie passierten war Klein Darek, der nördlichste Punkt des Sieben-Königs-Ecks. Eine Stadt vier mal so groß wie Merun, mit hohen Gebäuden deren Fassaden teils aus Diamantit bestanden.
Kajatan hatte sich hier nicht wohl gefühlt, es mit den Menschenmassen begründet, obgleich er den wahren Grund selbst nicht benennen konnte und ähnlich wie in Undragan waren sie so bald wie möglich abgereist.

Er schien von Stadt zu Stadt vorsichtiger zu werden und jeden ihrer Schritte zu planen. Es kam nicht selten vor, dass er die hohen Wälle zunächst ohne sie passierte und sie erst holen kam, wenn er sich sicher war, dass keine Gefahr bestand. Doch selbst dann durfte sie sich nur in der Zeit von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang draußen aufhalten. Sie beschwerte sich nie über diese Einschränkung, wusste sie doch das sie ihrem Schutz diente.

Mit jeder Nacht, die sie in den Räumen leerstehender Häuser verbrachten, schien er nervöser zu werden. Die Zeit, die er schlafend verbrachte, wurde von Woche zu Woche kürzer. Waren sie draußen, wo der erbarmungslose Sand ihnen entgegenschlug und an ihren Kleidern riss, schlief er überhaupt nicht. Manchmal ging es Tagelang so.

Ri hingegen suchte nun regelmäßig die Müdigkeit heim. Jedes Mal, wenn sich ein Schatten auf das Gold ihrer Augen legte, wusste Kajatan, dass es wieder soweit war und ohne Ausnahme unterbrach er dann ihre Reise.

Sie hatte ihm nicht erzählt, was hinter den Schleiern ihres Schlafes auf sie lauerte, gab es doch nichts das er hätte tun können, um sie zu schützen. Und doch; An der Dringlichkeit, mit der er jedes Mal einen geeigneten Platz für sie suchte, merkte sie, dass er es spüren konnte.

Die Angst, die Dunkelheit in ihr könne sie verschlucken, war etwas, dass sie beide teilten.

All das war über die Zeit ihrer Wanderung zu einer betäubenden Gleichmäßigkeit geworden, nur unterbrochen vom Auftauchen neuer Stadtmauern hinter der Wand aus wirbelnden Sandkörner.

Sie hatte lange aufgegeben die Tage zu zählen, die Wochen und Monate. Am Ende war Ri nur erleichtert, als das Ende näher rückte.

,,Das macht keinen Sinn,"
murmelte Kajatan und wandte sich zu Ri um, deren Miene dieselbe Mischung aus Verwirrung und Unmut zeigte.

Sie befanden sich in Kurunkesch, eine der letzten Städte vor der nördlichen Grenze des bekannten Landes. Die Beschaffer, Kajatans Rasse war hier ein selten gesehener Besuch, so dass er Ri nach einer langen und zermürbenden Diskussion erlaubt hatte, ihn auf seiner Suche nach Informationen zu begleiten.
Wie in all den Wochen zuvor vertraute sie darauf, dass er wusste was er tat und solange sie sich an seine Anweisungen hielt, schien die Gefahr erkannt zu werden selbst ihm gering.

,,In Gembesch hieß es, das Diamantit komme aus Ogri und dort es käme von hier und nun wollen sie uns weiß machen, sie bekommen ihre Lieferungen aus Gembesch?"

Der Händler, den Kajatan in einem Moment der Unaufmerksamkeit in eine Seitengasse gezerrt hatte, sah verängstigt zu den Raubtieraugen auf, die sich gefährlich verengten.

,,Ja..a... Wir..r kriegen es a..a.aus Ge.ge..mbesch."
Er zitterte am ganzen Leib und rief mit seiner schlotternden Erscheinung Mitleid in Ri hervor. Aber sie schwieg. Dem Mann würde nichts geschehen, das hatte Kajatan ihr versprechen müssen.

Der schnaubte verächtlich und brachte sein Gesicht ganz nah an das des Mannes, worauf dieser noch heftiger zu Zittern begann.

,,Bist du dir sicher?"
Fragte er knurrend, wohl wissend, dass seine Stimme ihre Wirkung nicht verfehlen würde.

Die schlotternden Knie gaben unter der weiß gewandeten Gestalt nach und wie ein nasses Stoffbündel sackte er in sich zusammen.
Er hob die von der Arbeit schwieligen Hände und begann zu flehen:
,,Ja,ja..He.herr. Ich sch..schwöre. es i..ist die Wahrheit. Bitte, bitte tötet mich nicht."

Kajatan sah kalt auf den Mann herab, in dessen Augen sich nun Tränen sammelten. Die Golem fragte sich zum wiederholten Male, wie er so ruhig bleiben konnte. Sie hätte dem armen Kerl längst versichert, dass sie ihm Nichts tun würde, doch seine Augen wurden sogar noch ein wenig schmaler, als versuche er den Händler mit Blicken zu durchbohren auf der Suche nach einer Lüge.

Ri sah an den vor Angst geweiteten Augen des Mannes, dass er glaubte nun sterben zu müssen und auch sie war sich einen Moment nicht mehr sicher, ob Kajatan sich an sein Wort halten würde. Da richtete sich die dunkle Gestalt ihres Begleiters auf und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung ihm zu folgen. Kurz vor dem Ende des Schattens, der die schmale Häuserkluft in ein ständiges Zwielicht tauchte, blieb er noch einmal stehen. Die Raubtieraugen richteten sich auf den völlig verwirrten Mann.

,,Wenn dir dein Leben lieb ist, hast du uns nicht gesehen."

Der Gesang der GolemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt