Wie soll man unter hunderten von Leuten diejenigen erkennen,
die Hilfe brauchen?
Es war spät am Nachmittag, Harry hatte keine Uhr bei sich. Er stand vor dem Spiegel im Bad, der nur notdürftig angebracht wurde und für den er seit Wochen schon eine Lichterkette kaufen wollte, um ihn hübscher aussehen zu lassen. Harry wusste genau, dass er gut aussah, doch seine Hand für immer und immer wieder durch seine Haare, um sie anders zu legen. Heute war besagter Mittwoch - er wollte Avery mit auf eine Firmenfeier nehmen, damit sie das Leben der zugeknöpften Anwälte und der Chefs von riesigen Firmen aus den Weltmetropolen kennenlernte. Damit sie Menschen sah, die zu viel Geld hatten und sich selbst damit in den Abgrund rissen. Aber auch, um Menschen zu treffen, die mit dem Geld soziale Organisationen unterstützten und somit den Gedanken aus dem Kopf bekam, dass alle Reichen den Egoismus bevorzugten. Des wusste noch immer nicht, dass Avery mitkommen sollte, doch Harry war fest entschlossen, dass es eine positive Überraschung würde und sein Vater sich sicherlich freuen wird, dass er in Begleitung erschien. So würden die alten Damen, die sich gern mal einen jüngeren Burschen schnappten, nicht übermütig werden und Harry wie auf jeder Feier den Abend lang nicht aus den Augen lassen, ebenso wie sie ihm heute hoffentlich auch nicht einen Champagner nach dem anderen andrehen möchten. Denn viele hatten die Hoffnung, dass ein so junger Mann im betrunkenen Zustand eher für eine Affäre bereit wäre, als nüchtern. Leider hatte Harry bisher viel zu viele dieser Damen kennengelernt.
Avery wartete bereits im Wohnzimmer, als er das Bad verließ. Sie trug ein schwarzes Kleid, das sie von zuhause mitgebracht hatte. Es war das einzige, das sie besaß, doch sie mochte es. Es erinnerte sie zwar an einen Tag, den sie gern für immer vergessen wollte, doch sie ließ es sich nicht anmerken. Sie schätzte, es war noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen, um Harry darüber aufzuklären, zumal sie eh nur weinen würde.
Harry sah gut aus und in seinen Augen sah Avery nur noch besser aus. Er war sich unsicher, ob er es ihr sagen sollte, oder ob es zu aufdringlich war. Sie kannten sich nicht einmal eine Woche und Komplimente konnten schnell mal falsch gedeutet werden. Er mochte das Mädchen, doch er kannte sie zu wenig, um sich in sie zu verlieben oder gar eine Beziehung zu führen. Bisher war sie einfach eine Mitbewohnerin, die unter außergewöhnlichen Umständen zu ihm kam. Sie sagten beide kein Wort, nickten sich nur zu und gingen dann zur Haustür, um die Treppen nach unten zu laufen und in Harrys Wagen einzusteigen. Er liebte sein Auto und daher war es immer sauber. Er hatte Spaß daran, es wöchentlich zu saugen und in die Waschanlage zu fahren und irgendwie reizte ihn der Gedanke, dies von nun an nicht mehr alleine zu machen.
„Gehst du eigentlich nur in teuren Restaurants essen oder darf es auch mal Junkfood sein?", frage Avery beim Anblick der blitzblanken Sitze. Sie schnallte sich an und strich ihr Kleid glatt, achtete auch darauf, dass kein Krümel auf dem Sitz lag.
„Ganz ehrlich?", meinte Harry mit einem verdächtigen Grinsen und sah sie an, ehe er den Schlüssel drehte und den Motor startete, „Nach Feiern wie heute, wo du den ganzen Abend mit Golfspielern verbringst, die Luxusyachten haben und nirgends reingehen, wo nicht mindestens fünf Sterne am Schild sind, bin ich schon einige Male in den Drive-in gefahren und habe mich mit einem Burger zuhause ins Bett gelegt. Am Buffet gibt es heute vermutlich lauter Dinge, die du noch nie gesehen hast und an die du dich demnach nicht herantrauen wirst. Auch wenn du denkst, du wirst dir heute den Bauch vollschlagen - ich muss dich leider enttäuschen. Wahrscheinlich wirst du hungriger gehen als du gekommen bist."
„Dann wird heute der Tag sein, an dem wir all die Dinge testen, die wir nicht kennen und Champagner trinken, so viel wir wollen. Wir müssen die alten Säcke mal etwas aufmischen", lacht die Brünette und zeigt eindeutige Euphorie. Harry zuckt nur belustigt mit den Schultern und denkt einige Sekunden über ihre Worte nach, ehe er einsieht, dass es gut klingt. Er wollte nie im Mittelpunkt stehen, doch Avery lässt ihn vergessen, was er einst nicht wollte. Er fühlt sich jetzt, hier im Auto, schon viel sicherer und motivierter, als wenn er wüsste, er müsste dort alleine hin.
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Miracle ➳ Harry Styles
Teen FictionHarry und Avery. Ein Ort. Ein Wunder. Eine Liebe. Und eine Nacht, die das Leben der zwei schlagartig ändern sollte. © Lina Christin, Juli 2017 || Warnung: Dieses Buch handelt mitunter von Suizidgedanken - es wird keinesfalls eine ausführliche Beschr...