Kapitel 16

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   Das Desinfektionsmittel brennt in meiner Nase. Die Besuchszeiten sind längst vorüber, aber für Damien wird eine Ausnahme gemacht. Es ist gute Presse für sie, meint er zu mir. Das Heim riecht wie das Krankenhaus, indem Alfie seine Beine genommen wurden. Am Zimmer 304 machen wir einen Halt. Die nette Pflegerin grinst zu uns auf, bevor die kleine Frau vorsichtig an die Tür klopft. Damiens Hand drückt leicht meine, während die Schwester uns ins Zimmer begleitet. Alfies verträumte Augen schauen durch kleine Schlitze hindurch zu Damien und mir herauf, dann zu unseren Händen. Er zieht seine Augenbrauen hoch und blinzelt mehrmals hintereinander. 

Die Pflegerin verlässt den Raum, nachdem sie Alfies Kopflehne des Bettes aufgerichtet hat. Damien geht auf Alfie zu, um seine Hand zu schütteln und sich daraufhin auf einen der zwei Stühle in der Ecke des Zimmers zu setzen. Ich umarme Alfie. So lange habe ich ihn nicht mehr gesehen. "Es ist so schön dich wieder zu sehen.", sagt er und grinst mich dabei an. 

"Ich hoffe, wir haben dich nicht aus deiner Traumwelt gerissen.", schmunzele ich und stelle mich an das Bettende. 

Alfie schüttelt mit dem Kopf. "Es war sowieso nicht der beste Traum, also bin ich euch viel mehr dankbar dafür, dass ihr mich geweckt habt." Nun lacht er. "Wann findet denn die Hochzeit statt?" Ich lege meine Stirn in Falten. Welche Hochzeit? Doch dann wird mir klar, was Alfie meint, als sein Blick zwischen mir und Damien hin und herschweift. Ich erröte und schaue zu Damien, der beinahe unauffällig schmunzelt, aber ich bin wahrscheinlich eine der wenigen Personen, die den Ansatz eines Lächelns von seinem Pokerface unterscheiden können. "Ich mach doch nur Spaß. Aber wenn es soweit sein sollte, dann denkt bitte daran, dass ihr einen Rolliplatz für mich freihaltet." Ich stoße die angestaute Luft mit einem unsicheren Lachen aus meinen Lungen, aber Alfie scheint es gut zu gehen. Ich hoffe, dass er sich nicht hinter all diesen Scherzen zu verstecken versucht. 

  "Wie könnten wir Sie vergessen." Überrascht schaue ich abermals zu Damien. Seine blaue Augen sind klar und ernst. Alfie war der Grund für unsere erste richtige Begegnung. Ich erinnere mich ungern an den Tag, aber die Menschen haben recht, wenn sie sagen, dass nichts ohne Grund passiert. Ich hätte Alfie nie kennengelernt, hätte Damiens andere Seite wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen, wäre dieser eine Tag nicht gewesen. 

 "Wie geht es dir?", frage ich ihn, woraufhin er mir erzählt, dass der Wechsel vom Krankenhaus ins Heim nicht der einfachste gewesen wäre. Aber er sagt auch, dass es ihm besser als je zuvor gehen würde. Er hat ein Zuhause, genug Essen, ein warmes Bett und das er mehr auch nicht brauchen würde. 

 Es ist schon ziemlich bedrückend, dass er zuerst durch die Hölle musste, um hier in der neuen Gegenwart anzukommen. Deswegen mag ich Alfie so. Wir haben so viel gemeinsam. 

 Alfie fragt auch Damien und mich, wie es uns ergangen ist. Damien antwortet damit, dass bei ihm alles beim Besten wäre, doch ich weiß, dass er lügt. Ich weiß aber auch, dass er nur schwer Vertrauen zu Menschen aufbauen kann, also bin ich ihm nicht böse. Ich erzähle Alfie, dass ich Lesen und Schreiben gelernt habe, aber immer noch am Feinschliff arbeite. 

 "Birdie lernt schnell.", lobt mich Damien. "Heute habe ich ihr einige Automarken vertraut gemacht." Alfie scheint begeistert zu sein. Ich setze mich auf den zweiten Stuhl, während die Männer sich über Autos unterhalten. Damien hat mir und Alfie damals die erste Autofahrt ermöglicht, aber Alfie scheint trotzdem viel über Autos zu wissen. Als Damien Alfie über seinen ersten Mercedes erzählt, entdecke ich auf dem Tisch neben mir einen Blumenstrauß mit einer kleinen Karte. Zuerst denke ich, dass das Geschenk einem Zimmernachbarn gehören könnte, aber dann merke ich, dass Alfie keinen Zimmergenossen hat. 

  Alfie ist so sehr im Gespräch mit Damien vertieft, dass ich mir durchlesen kann, was auf der Karte steht...

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  Lieber Alfie,

Es tut mir unglaublich Leid, dass ich dich damals zurückgelassen habe. Nichts kann das, was ich verursacht habe je wieder gut machen. 

Dein Leo

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... und ich kann meinen Augen nicht trauen.


The Rain Upon Us (Damien & Birdie - Trilogie #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt