"Was hast du getan?", spricht die Verzweiflung aus mir heraus, "Was ist das?"
"Das ist die Spinne, vor der River uns gerettet hat", verkündet meine kleine Schwester stolz. Sie sieht mich mit ihren grossen, runden Augen und dem engelsgleichen Gesicht an, ohne das Ausmass der Katastrophe zu verstehen. Während sie also mit ihren langen Wimpern klimpert, stehe ich kurz vor einem Ausraster.River mustert mich äusserst genau, meine panischen Augen, die Anspannung in meinem Körper und mein nervöses Kauen auf der Unterlippe. Als er dann nochmals seinen Blick zwischen Bleistift, Zeichnung und mir hin- und herschweifen lässt, verändert sich sein sonst ruhiger, ernster Gesichtsausdruck in eine Verkörperung des Schocks.
"Dieser Bleistift?", hakt er nach und ich höre beinahe die Zahnräder in seinem Hirn arbeiten. In seinem Blick liegt eine gewisse Ehrfurcht, ihm ist bewusst, was das Hölzchen mit Miene kann.Und selbstverständlich war klar, dass Maggie Rivers Heldentat derartig in den Himmel loben würde, dass sie die Spinne doppelt so gross malt, wie den Türrahmen. Oh Gott. Das Ding ist jetzt wahrscheinlich irgendwo in ihrem Zimmer. So wie River plötzlich in meinem Zimmer aufgetaucht ist.
Mein Augen schielen zu ihm herüber, während er die Zeichnung anstarrt und versucht, sich derartige Proportionen bei einer echten Spinne vorzustellen. Meine Gedanken hingegen kreisen hauptsächlich um die Situation, für die ich eigentlich ziemlich vieles geben würde. An was erinnert er sich eigentlich? Wie dachte er, sei er in meinem Bett gelandet?
Wie falsch das gerade klingt..."Wie werden wir das Ding los?", stellt er schlussendlich die Frage, die allen, so abgesehen von Magdalena, die nichts begriffen hat, durch den Kopf schwirrt.
"Mit ner Fliegenklatsche", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Bloss das die Fliegenklatsche wahrscheinlich die Grösse des Wohnzimmerbodens haben müsste.Vielleicht kommt sie ja gar nicht durch den Türrahmen, destruiert bloss Maggies Zimmer und haut dann in die Wildnis ab, wo sie alleine verreckt, weil sonst niemand von ihrer Art existiert. Das wiederum macht mich irgendwie etwas traurig. Ich erinnere mich daran, wie wir in der Schule Frankenstein gelesen haben und auch wenn das Monster, das er erschaffen hat, ziemlich asozial war, entpuppte es sich im Grunde auch bloss als schrecklich einsam. Macht den Einsamkeit nicht aus jedem ein Monster?
Zum ersten Mal frage ich mich, ob River sich manchmal einsam vorkommt. Schwirrt ihm immer im Kopf herum, dass er eigentlich von einem kleinen Freak gezeichnet wurde, der Supernatural gruslig findet, immer Streifen trägt und gerne auf dem Boden liegt, auch wenn das Bett frei ist? Fühlt er sich dazugehörig, oder grenzt er sich innerlich von den normal gezeugten Menschen ab?
Von oben kommt erneut ein lautes Poltern und mir stehen die Haare zu Berge, als ein Geräusch erklingt, dass sehr stark an das aufschwingen einer Türe erinnert. Höchstwahrscheinlich entscheidet sich in den nächsten Sekunden, ob das Vieh durchpasst oder den Türrahmen ausreisst. Hoffentlich hat das Ding keine künstliche oder echte Intelligenz und es war pures Glück von Seiten der Spinne aus.
"Wir müssen die Polizei rufen! Vielleicht klaut jemand meine Joseline!", kreischt Maggie aufgeregt und ernsthaft besorgt zugleich. Seltsam, zweiteres hätte ich ihr niemals zugetraut. Um mich wirkt sie zumindest nie wirklich besorgt.
"Ich denke, einem Einbrecher wären deine Barbies sichtlich egal...", knurre ich angespannt. River legt beruhigend eine Hand auf meine Schulter. Immer häufiger nimmt es mich Wunder, wie er so eine innere Ruhe bewahren kann. Aber die hat, soweit meine Erinnerung mich nicht täuscht, auch etwas mit seiner Namenswahl zu tun, oder? Vielleicht beeinflusst das sein Verhalten auch zusätzlich nach dem Prinzip "nomen est omen". Dann muss ich aber schleunigst hoffen, dass mir keine Verwandlung in einen Baum bevorsteht... Arme altertümliche Daphne, es ist doch wirklich schlimm, wenn sich ein Gott unsterblich in einen verliebt.
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Lesson 1 - Wie man sich einen Freund zeichnet
Humor17 Jahre, zum ersten Mal im Ausland und ausgerechnet da kauft sich Daphne einen Bleistift. Oh mein Gott, ein Bleistift! Wäre da nicht die eine kleine Sache, die ihrem unglaublich amüsanten, genialen Singleleben ein Ende setzt. Begleitet von ihren be...