Die Ernte (Teil 2)

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Ich fange an am gesamten Körper zu zittern, kalter Schweiß rinnt an meiner Schläfe herunter und ich muss mir kramfhaft auf die Unterlippe beißen, um zu verhindern, dass meine Zähne klappern. Wie bei jeder Namensverkündung ist der gesamte Marktplatz in Stille getaucht und man kann förmlich die Gedanken aus der Luft lesen. Und es sind immer die Gleichen : Bitte nicht mein Name.

Doch sie brauchen keine Angst zu haben. Während Leylahnie mit ihrem scharfen Fingernagel das Klebeband aufschlitzt, um den Namen zu verlesen, schließe ich die Augen und atme tief ein. >>Rose Elaine Snow.<< Ich stoße die Luft aus und während sich alle nach mir umsehen, lässt dieser Luftzug meine Welt zuerst erzittern und dann zusammenbrechen. >>Komm schon Liebes, nicht so schüchtern.<<, trällert Miss Bloom auf der Bühne. Ich fahre mir nervös ein letztes Mal über die langen, blonden Zöpfe, um die widerspenstigen Haarsträhnen zu bändigen, bevor ich mit wackeligen Schritten den Weg zur Bühne antrete. Sie starren. Alle starren sie mich an. Voller Angst, Mitleid und Erleichterung, dass es nicht sie getroffen hat. Mit schweißnassen Händen klammere ich mich an dem Stahlgeländer fest, als ich die steinigen Stufen erklimme. >>Komm hoch Liebes.<<, fordert mich die überschminkte Botschafterin auf. >>So, jetzt fehlt nur noch dein Distrikt.<<, trällert sie und schiebt mich zu den zwei weiteren, großen Glaßkugeln, aus denen ich einen Zettel ziehen soll, mit wessen Hilfe ich einem Distrikt zugewiesen werde. Ich bin betäubt, bewusstlos, wie in Trance, als ich meinen dürren, ausgehungerten Arm ausstrecke und in die Kugel fahren lasse. Schnell greife ich ein Stück Papier. Ich will es nicht spannend machen. Ich will einfach weg von hier. Miss Bloomes reißt mir den Zettel aus der Hand und entfaltet ihn langsam, zu langsam für meinen Geschmack. >>Distrikt 4.<<, sagt sie und strahlt mich an. Dann werde ich von ein paar Friedenswächtern gepackt und in das Gebäude hinter der Bühne geschleift. Und die Tränen fangen an mir über die Wangen zu laufen. Ich habe Angst. Solche Angst.

Katniss

>>Rose Elaine Snow.<< Es ist vollbracht. Ich werde sie vernichten, so, wie ich ihre Mutter und ihren Großvater vernichtet habe. Sie wird bluten müssen, bluten für alles, was uns angetan wurde.

Es dauert eine Ewigkeit, bis sich endlich das ausgewählte Tribut aus der Masse der Jugendlichen löst. Von Weiten kann ich sie nicht gut erkennen, doch als sie zitternd die Treppen heraufläuft, stockt mir der Atem. Sie ist klein, zart und sehr dünn. Wie Prim. An ihrem Körper herunter ranken sich geflochtene, lange, blonde Zöpfe. Wie bei Prim. Ihre blauen, großen Augen voller Angst, verletzlichkeit und doch noch etwas anderem. Hoffnung. Sie gleicht Prim bis zu den Fußspitzen. Sie ist Snows Enkelin. Sie gehört zu den Bösen. Diesen Satz rufe ich immer wieder in meinem Gehirn ab. Sie ist nicht wie Prim. Sie wird es nie sein. Sie sind unterschiedlich, wie Primel und Rose. Und sie werden es immer sein.

Die Tribute von Panem - Das Ende war erst der AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt