Kapitel 30

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Ich lache auf. "Ja genau", meine ich belustigt.
Ehe er sich versehen kann, nehme ich einen dicken Ast und bohre ihm das Spitze Ende direkt durch sein Auge, durch sein Gehirn bis der Ast auf der anderen Seite im Boden versinkt.
"Es wird dich nur ein bisschen Zeit kosten. Schmerzen wirst du auch haben, aber hey, du bist nicht tot", meine ich grinsend.
Ich mustere mein Werk, wie er bewusstlos auf dem Boden liegt. Tot kann man nicht sagen, schließlich sind wir es schon. Andererseits, weiß keiner so genau was passiert, wenn wir unseren Frieden finden würden. Keiner ist jemals zurück gekommen. Keiner weiß wie es aussieht oder sich anfühlt. Ob es wirklich Himmel und Hölle gibt, was bedeuten würde, dass es auch Gott gibt. Und das wage ich zu bezweifeln. Nur wenn er persönlich vor mir steht und es mir beweist, vielleicht würde ich es dann glauben. Aber selbst dann wäre ich mir da nicht so sicher.

Ich lasse Damien bewusstlos zurück und schlendere durch den Wald. Auf dem Weg zu Kol werde ich plötzlich durch irgendetwas sehr starkes gegen einen dicken alten Baum gedrückt. Mir wird die Luft abgeschnürt, obwohl ich mir sicher bin, dass ich hier keine brauche. Ich habe schließlich keinen Körper mehr, welcher Sauerstoff zum Leben benötigt.
Dennoch ringe ich verzweifelt nach Luft.
Ich kann mich nicht bewegen. Und Erkennen kann ich auch niemanden, der es verursacht.
Mein Kopf nimmt langsam eine rote Farbe an.
Langsam verschwimmt vor meinen Augen die Welt immer mehr. Gleich werde ich es wissen wie sich der Tod bei den Toten anfühlt. Genau wie Damien.
Eigentlich bin ich ja nicht sonderlich scharf darauf.
"Hallo Alex" Diese vertraute Stimme reißt mich aus meinem Kampf, mit der Kraft, gegen die ich nicht ankomme.
Ehe ich mich versehen oder überhaupt realisieren kann, was da gerade genau passiert, falle ich auf den Boden und schnappe sofort nach Luft. Gierig nehmen meine Lungen diese dankbar auf.
Nochmal, ich bin tot. Wieso habe ich dieses Gefühl gerade? Wieso brauchen meine, eigentlich nicht vorhandenen, Lungen plötzlich Luft?

Nach einem Augenblick, in dem ich ruhig versuche zu atmen und wieder zu Kräften zu kommen, höre ich Schritte, die sich mir langsam nähern.
Die Welt liegt auf der Seite, somit auch die Person, welche jetzt mir ihren Beinen in mein leicht verschwommenes Sichtfeld dreht.

Ich stütze mich mit meinen linken Arm auf und schaue nach oben.
Ich hätte schwören können, dass ich sofort leichenblass geworden wäre, wenn ich es nicht schon bin.
"Was willst du denn hier?", frage ich mit rauer belegter Stimme.

Sie hält mir eine Hand hin, die ich jedoch ignoriere und von selbst aufstehe. Ich sehe direkt in das Gesicht der Person, der ich hier nie begegnen wollte. Meiner großen Schwester, Tatia.

"Das fragst du noch, Alexandria?" Wenn sie meinen Namen ausspricht, hört es sich an, als ob sie mich dabei verflucht.
"Ich will Antworten von dir! Antworten auf die ich ein Recht habe!", meint sie schließlich.
Ich kneife leicht die Augen zusammen. Damien hatte Recht. Es wird meine Hölle werden. Doch Tatia ist nur der Anfang. Es wird noch schlimmer. Diese Seite des Lebens wird mir alles aufzeigen was ich verloren habe. Sie wird mich foltern und mich leiden lassen. Sie wird mir langsam den Verstand rauben, bis ich nicht mehr kann. Genau wie bei Damien. Es hat ihn langsam zerfressen, alles und jeden zu sehen der ihm genommen wurde. Der ihm von mir genommen wurde. Jetzt, wo er erfahren hat, das ich hier bin, hätte er mit der Vergangenheit abschließen können. Doch stattdessen hat sie mit ihm abgeschlossen.
Das könnte glatt ein Poet geschrieben haben, solch eine Tragik.

"Was willst du denn bitte für Antworten?", frage ich sie schließlich. Ich habe keine Ahnung wovon sie spricht. "Wieso hast du es zugelassen?", fragt sie prompt, doch wirklich schlauer bin ich jetzt immer noch nicht. Wahrscheinlich redet sie davon, wie sie starb, wie Emilia starb und unsere Eltern. Doch das war alles nicht meine Schuld. Oder?

"Drück dich klarer aus!", keife ich meine Schwester an. Mit emotionslosen Augen sieht sie mich an. "Wieso hast du zugelassen das wir sterben? Wieso hast du Emilia sterben lassen? Warum hast du es zugelassen in ein Monster verwandelt zu werden, zu dem die dich gemacht haben? Du hast getötet und gemordet. Du hast Familien auseinander gerissen. Du bist nicht besser als die Wölfe. Du hast das Leben nicht verdient, Alex! Du bist ein Monster. Ein Übel und das Böse. Und du solltest leiden, so wie wir es mussten!", hält sie mir vor.
Innerlich zieht sich alles in mir zusammen. Ich weiß das sie Recht hat und normalerweise würde ich ihr diese Genugtuung nicht geben und es ihr gestehen, doch was soll ich tun?
Ich habe kaum getrauert. Habe es nicht zugelassen, weil es zu schmerzhaft war. Mich plagen heute noch die Albträume, wie ich Emilias schmerzverzerrtes Gesicht sehe. Vor meinem inneren Auge spielt sich eigentlich nichts anderes mehr ab.
Den Tod meiner Eltern hingehen, habe ich besser verkraftet. Sie starben bei einem Brand. Eigentlich haben sie das bekommen was sie verdienten. Sie haben mich all die Jahre verabscheut, weil ich nicht dieses kleine Mädchen war, das auf sie gehört hat. Ich habe Widersprochen, habe mich geweigert mit 16 Jahren einen fremden Mann zu heiraten. Habe mich gesträubt und gewehrt. Ich wollte mein eigenes Leben führen. Wollte eigene Entscheidungen treffen und sie nicht von meinen Eltern bestimmen lassen.
Ich wollte Kol heiraten und nicht irgendeinen komischen alten Mann. Doch wurde mir all das verwehrt.

"Weil ihr mich dazu getrieben habt. Für euren Tod konnte ich nichts. Nur für das was danach geschehen ist", sage ich mit fester Stimme. "Ja, ich bin ein Monster. Ich bin ein Urvampir. Und daran wird sich nichts ändern. Ich bin so, seit tausend Jahren" - "Du bist abscheulich", fällt mir Tatia ins Wort.
"Ja mag sein. Und ich habe schlimme Dinge getan, doch all das bin ich. Nicht der Vampir, nicht Kol, nicht Nik oder Elijah. Nur ich. Damit musst du leben, nicht ich", knurre ich wütend.

Alexandria Petrova - The OriginalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt