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Lilja und Alec blieben die ganze Zeit, bis zum Abendessen, bei mir. Obwohl sie gerade mal ansatzweise wusste, was passiert war sprach keiner von ihnen die letzte Nacht oder ein damit zusammenhängendes Thema an. Sie blieben bei mir sitzen und lenkten mich so gut es ging ab. Von Zeit zu Zeit brachten sie mich sogar mit grauenvollen Witzen oder ähnlichem zum Lächeln, wenn auch nur für wenige Sekunden. Die Geschehnisse hingen immer noch wie ein Schatten über mir. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht wirklich passiert war, obwohl ich genau wusste, dass es das war.

Mein Blick fiel immer wieder auf Dracos Brief. Ich hatte mich noch nicht entschieden, ob ich ihn lesen wollte, nach allem, was Draco getan hatte. Ich konnte mir nicht auch nur ansatzweise vorstellen, was wichtiges drinstehen könnte oder warum er den Brief überhaupt geschrieben hatte. Ich wollte es eigentlich nichtmal wissen, zumindest war das, was ich mir einredete.

Lilja war so lieb und holte mir Sachen zum Anziehen, ungefähr eine Stunde bevor wir zum Abendessen losgingen. In den zwanzig Minuten, in denen sie weg war erlaubte ich Alec sich zu mir aufs Bett zu legen, damit ich mich an ihn kuscheln konnte, um mich nicht ganz so verloren zu fühlen. Er hatte mich halb auf seine Brust gezogen und seine Arme um mich geschlungen, was mir tatsächlich das Gefühl von Sicherheit gab. Die Angst, die mir noch von heute Nacht in den Knochen saß, war nicht mehr so allgegenwärtig zu spüren. Wäre Lilja nicht wiedergekommen wäre ich wahrscheinlich eingeschlafen, so müde, wie ich war.

Als es tatsächlich Zeit war zum Essen zu gehen, hatte ich mich zwar bereits umgezogen, aber seelisch war ich einfach nicht bereit dafür die ganze Geschichte mit Draco nochmal zu wiederholen und zwei weitere Personen, die mir wichtig waren, zu verlieren. Und ich wusste, dass ich sie verlieren würde. Harry und Ron hatten Draco immer sogar noch mehr als ich gehasst, was ihnen aber auch niemand verübeln konnte. Draco hatte sich immer abartig gegenüber uns verhalten. Wie hatte ich ihm das vor zwei Jahren einfach so verzeihen können? Ehrlich gesagt wusste ich das selbst nicht, wie eine Menge Dinge, die ihn betrafen.

Da mein verletztes Bein so gut wie gar nicht belastbar war gab Madam Pomfrey mir eine weitere Dosis Schmerzmittel und zwei breite Armreifen, die es mir ermöglichten mich auf Luft zu stützen, um es zu entlasten - Lilja verglich sie mit Muggel-Krücken, bloß, dass sie anderen Leuten nicht die ganze Zeit im Weg wären. Es war gewöhnungsbedürftig mit ihrer Hilfe zu gehen, aber ich war froh mich wenigstens selbstständig bewegen zu können.

Als wir beinahe bei der großen Halle waren blieb ich stehen. Lilja und Alec hielten ebenfalls an und Alec schaute mich besorgt an.
"Alles okay?" Ich nickte. Ich brauchte nur eine kurze Pause und wollte mich in Ruhe sammeln.
"Mit diesen Dingern zu laufen ist anstrengender als es aussieht.", überspielte ich die Situation mit einem halbherzigen Lachen.
"Du machst das aber gut.", versicherte Alec, lächelte mir aufmunternd zu und gab mir einen Kuss.
"Danke.", sagte ich, nicht nur für seine Worte und lächelte das erste Mal heute, weil ich mich wirklich danach fühlte.

"Schön, dass ihr beide euch so gern habt, aber können wir jetzt endlich essen gehen?", fragte Lilja mit einem  genervten Ton, aber ihr Lächeln verdeutlichte, dass dieser nicht ernst gemeint war.
"Klar.", erwiderte ich, nachdem ich noch einmal tief Luft geholt hatte.

Die Atmosphäre in der großen Halle war noch immer erschüttert und beklemmend. Es war, im Vergleich zu jedem anderen Tag, unglaublich still, niemand unterhielt sich lauter als im Flüsterton.
"Beim Frühstück war es sogar noch schlimmer, weil wir da erst erfahren haben, was passiert war. Besonders die Jüngeren sind in Panik ausgebrochen und einige haben sogar angefangen zu weinen.", erzählte Alec, als könnte er meine Gedanken lesen. "Der Gedanke, dass all das passiert war, während wir geschlafen haben, oder dass es überhaupt passieren konnte ist für jeden unheimlich." Alles was er sagte konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. Hogwarts war für viele der sicherste Ort in diesem Krieg gewesen, aber das war es jetzt nicht mehr.
"Und wie geht es jetzt weiter? Was ist zum Beispiel mit eurer Prüfung?", fragte ich leise, um mich etwas abzulenken. Hermine, Ron und Harry waren noch nicht da, also ging ich mit Lilja und Alec zum Ravenclawtisch.
"Die wurden auf später verschoben, auf ungewisse Zeit."

My Destiny in Hogwarts (Draco Malfoy FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt