Kapitel 1

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Da war er. Dieser Tag. Dieser Moment, wo meine ganze Welt zusammenbrach und ich in ein tiefes, schwarzes Loch aus Selbstmitleid fiel, das mein Herz wie Schokoladensoße übergoss.

Aber Schokolade, die definitiv schon abgelaufen war und an den Lippen kleben blieb, die man vielleicht auch noch mit viel Mühe geschminkt hatte, jetzt aber völlig ruiniert wurden.

Und das alles nur wegen der blöden Schokoladentube, die einen in der Schublade noch hoffnungsvoll anlächelte, nur damit sie geöffnet wurde und einen enttäuschte.

Sowie Gabriel es gerade tat, der mir diesen seltsamen Blick schenkte.

Diesen Blick der einem sagte, dass man einen nicht verletzten wolle, es aber trotzdem tuen müsse. Seine grauen Augen starrten abwartend auf mich herab, da sie wahrscheinlich nach einer Reaktion suchten.

Doch ich, nun ja, war nun mal sprachlos. Meine Unterlippe zitterte, meine Rückenhaltung galt der einer alten Frau und während ich nur verschwommen den leeren Schulflur erkennen konnte, redete Gabriel, meine große Liebe, mein gestriger Traummann und bis vor fünf Minuten noch fester Freund, einfach weiter.

6 Monate. Es waren nur 6 verfluchte Monate in denen er mein Ken war, mein Edward, mein Robin Hood.

Mit dem Unterschied, dass diese drei historischen Charaktere nie auf den Gedanken gekommen wären mit ihrer Freundin schluss zu machen und, das auch noch in der Schule, ohne vernünftigen Grund.

"Ich kann dir nicht sagen, warum ich das tun muss Friday. Aber es ist besser so. Für uns beide."

Dieser Satz schlich sich nur ganz langsam in mein Gehirn, katapultierte mich bis zum Jupiter, wo ich natürlich nicht willkommen war und mit einem lebensgefährlichen Aufschlag zurück auf die Erde geschleudert wurde.

Jetzt wusste ich, wie er sich anfühlte, dieser Liebeskummer. Der Punkt an dem das Herz zu weinen anfing und mit Mühe versuchte das Schwert aus der blutenden Wunde herauszureißen.

Während ich Gabriel's Silhouette kaum noch wahrnehmen konnte, dachte ich an den Tag, als ich ihn das erste mal gesehen hatte.

Ja, es war wie in diesen klischeehaften Büchern.

Der gut aussehende, geheimnisvolle Junge.
Der Neue, der mit seiner Familie nach England zog und auf das schüchterne Mädchen traf, wobei er jede andere hätte haben können.

Mit diesen blonden Strähnen, die ihm immer in seine glatte Stirn fielen. Die sonnengebräunte Haut, die ich neben seinen grauen Augen so sehr anhimmelte, wie seine zarten, rosigen Lippen, die die letzten Monate nur für ein Mädchen existierten.

Und das war ich. Das Mädchen, das nach einem Tag benannt wurde.

Der kleine, blonde Lockenkopf, der eine liebe für viel zu weite T-Shirts und enge skinny Jeans besaß.

"Du solltest wissen, dass ich immer noch etwas für dich empfinde aber..."

"Aber nun mal nicht mehr das, was ich für dich empfinde. Schon verstanden Gabriel. Wir sehen uns dann die nächsten Tage in der Schule." Unterbrach ich ihn und konnte meine Tränen kaum noch zurückhalten.

Ehe ich noch irgendetwas dummes von mir geben konnte, drängelte ich mich an ihm vorbei und rannte mit meiner schweren Schultasche auf den Schultern durch die kühlen Gänge, direkt nach draußen auf den riesigen Vorhof.

Ich atmete einmal tief ein und wieder aus, während ich zu realisieren versuchte, was gerade geschehen ist.

"Gott verdammter Mist!" Fluchend trat ich gegen die alte Holzbank, die vor der riesigen Eiche stand, welche von den vielen Gänseblümchen umhüllt wurde.

Dann fingen meine Zehen zu pochen an, weshalb ich schmerzverzerrt meinen Schuh festhielt und mit gequälter Miene auf einem Bein hüpfte.

"Aua!" Nörgelnd ließ ich mich auf das abgenutzte Holz nieder und betrachtete die Farben der vielen Laubblätter, die auf den frischgemähten Rasen landeten.

Eigentlich hatten wir schon seit zwanzig Minuten Unterrichtsschluss gehabt, doch Gabriel wollte unbedingt mit mir über etwas wichtiges reden.

Hätte ich gewusst, dass er unsere Beziehung beenden wollte, wäre ich so stur gewesen
und hätte die ganze Situation noch auf einige Wochen hinausgezögert,
indem ich unvermeidbare Termine vortäuschte.

Doch das hätte mir letztendlich auch nichts gebracht, außer dass Gabriel die ganze Sache vielleicht nochmals überdachte.

Umständlich versuchte ich die Taschentücher aus meinen Rucksack zu kramen, die ich für Erkältungen
oder Trauerfälle, wie mich extra eingesteckt hatte.

Aber wer hätte schon erahnen können, dass ich sehr bald einer dieser Trauerfälle sein würde.

Da der Reisverschluss der Tasche klemmte, beließ ich es bei meinen befeuchteten Wangen und ignorierte die Tatsache,
dass unser Hausmeister Henri mich weinen sah, da der alte Mann zehn Meter weiter die Hecken schnitt und mich mit seinen noch übrigen Zähnen angrinste.

Abgesehen davon, dass seine Halbglatze sich bis ins tiefste Universum widerspiegelte
und damit irgendwelche grünen Männchen anlockte, konnte ich Henri, der schon das ein oder andere mal nach der Festnetznummer meiner Oma gefragt hatte,
heute nicht ertragen.

Er besaß immer dieses strahlende Lächeln, was ich normalerweise so niedlich fand, mich heute aber zur Weißglut brachte.

"Ich mache Schluss Friday, wegen nichts." Äffte ich Gabriel nach und hoffte insgeheim, dass keiner außer Henri meine Faxen mitbekam.

Aber zu meinem Glück fing es auch noch zu regnen an, was die trübe Stimmung nur noch unterstrich. Komischerweise fiel hier die letzten fünf Tage kein Wasser von den Wolken.
Einen Regenschirm hatte ich ebenfalls nicht vorhanden, weshalb sich nun die dicken Tropfen mit meinen Tränen vermischten und meine Kleidung trieften.

Schmollend erhob ich mich von der Sitzbank und entfernte mich von dem Ort, an dem mir Gabriel sein Herz schenkte und wieder nahm.

Wie konnte ich nur glauben, dass Gabriel und ich jemals ein glückliches Paar werden konnten, Kinder bekamen und heiraten würden. Ich war so naiv.

Aber in diesen sechs Monaten fühlte ich mich wie im siebten Himmel. Er war immer so niedlich gewesen, wenn er mir Blumen schenkte. Einmal hatte er mir eine Sonnenblume zum Matheunterricht mitgenommen.

Nur für mich, weil ich sein kleiner Sonnenschein war.

Tatsächlich war der ganze kitschige Kram mit den romantischen Dinnern und hauchzarten Küssen vorbei.

Und da liefen sie wieder. Die Tränen.

Auf den Heimweg starrten mir die Leute wehleidig hinterher, dem Mädchen ohne Jacke und durchnässten Schuhen,
die jetzt auch noch dabei war in ein Eiscafé zu marschieren, was zu den niedrigen Temperaturen durchaus nicht passte.

Dabei wollte ich keine trockenen Schuhe oder eine vernünftige Jacke. Keinen Sonnenschein oder fünfunddreißig Grad.
Alles was ich wollte war Gabriel und der hatte mir mein Herz gebrochen.

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