level 9: burning in the skies

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"Irgendwann läufst du ins Messer", boxte ihr jemand auf die Schulter und lächelte auch noch dabei. Anscheinend machte es ihm Spaß, sie immer und immer wieder aufzuziehen und damit eigentlich nur auf eines ansprechend, was sich durch die ganze Einheit sprach.

Es war ihre Verrücktheit, vor nichts zurückzuschrecken, auch wenn man ihr die Waffe an den Kopf hielt; sie war ruhig.

"Soll mich das jetzt aufbauen?", gab sie ebenfalls einen Schlag auf die Schulter zurück und setzte sich neben ihn auf die Sitzbank, auf der sie die Fahrt wieder über holprige Straßen und viel zu viele Schlaglöcher hinter sich zur Grenze bringen mussten. Wie jeden noch so verdammten Tag den sie hier am Ende der Welt bei verregnetem Wetter verbrachten.

Doch sie konnte nicht hier raus, sie musste. Es war Teil von dem Leben, welches sie sich gewünscht hatte. Wie jeder andere Beruf hatte es nicht immer schöne Seiten, doch sie wollte von klein an, wie ihr Vater es war, ein Soldat werden. Stolz lächelnd mit anderen in einer Reihe stehen und vor dem Rathaus zu salutieren. Das Leben anderer retten und seines dafür geben.

"Wahrscheinlich holst du wieder die ganze Patrouille raus, wenn wir wieder Mist gebaut haben", schmunzelte derjenige neben ihr, der sie schon so einige Mal aus ihrem Hochmut geholt und sie vor dem sicheren Tod bewahrt hat. 

Es war Kanan.
First Lieutenant bei der  fünften Einheit der United States Army Reserve.
Bei der sie Captain war.

Zwar verpflichtet man sich bei der USAR nur acht Jahre Dienst zu leisten, Teilzeit, aber sie hat ihrem Vater versprochen, zuerst diese Jahre zu absolvieren, um sich danach sicher sein zu können, dass sie wirklich das Leben bei der Army mochte. Auch die zwei Jahre, die sie bei den Special Forces verbracht hatte, haben das Interesse eines Soldatenlebens in ihr verstärkt, doch sie wollte mehr auf das Schlachtfeld, als Agentin zu sein.

Jetzt war sie mehr außerhalb der wirklichen Einsätze unterwegs und erledigte die Arbeit, die keiner mochte, hat aber in Kanan einen guten Freund gefunden. Und sie waren auch in gewisser Hinsicht unter der Macht der NATO hier, welcher Punkt nur so nebenbei gefallen war. Sie waren irgendeine Unterstützung an der Grenze zu Russland. Doch sie waren auch irgendwie kein Teil der NATO, sonst würden sie nicht den Befehl haben schießen zu dürfen. Die Army war verwirrend, in vielerlei Hinsichten.

Wie jeden Tag, sie waren ein kleiner Trupp aus zehn Personen, für denen es galt, die Tagwache an der Grenze abzulösen und die Nachtschicht zu übernehmen. Sie wusste nicht, was ihre Führungskräfte in New York schon wieder falsch machten, damit man nicht einmal mit dem ebenfalls mächtigen Staat Russland sich in die Haare fuhr. Gleich eine Staffel losschickte.

Nichtsdestotrotz sprang sie nun vom Laster und hatte mit Kanan sofort entschlossen, den unteren Teil der Grenze zu übernehmen, den sie schon etwas besser kannten. Auch die noch so kleinsten Winkel nicht außer Acht zu lassen.

"Hätten die mich doch nach Afrika versetzt", brachte sie zwischen ihren klappernden Zähnen hervor und zog den Reißverschluss der Jacke bis zum Anschlag nach oben, bevor ihre Hände sich um das Gewehr klammerten und ihr Mund hinter dem Kragen verschwand.

"Warum hab ich auf das gewartet", lachte Kanan und fuhr sich durch die dunkelbraunen Haare, die wie immer in alle Richtungen standen. Auch wenn Krieg wäre, dieser Mensch wird nicht aufhören, ein Lächeln auf den Lippen zu tragen. Niemals.

Mit einem kräftigen Stoß wurde sie zu Boden geworfen, während Kanan sich hektisch umsah. Anscheinend etwas entdeckt hatte, was keinesfalls gute Seite mit sich brachte.

"Bleib unten", zischte er nur hervor, als sie sich langsam aufrappeln wollte und drückte sie mit seinem Fuß wieder dem staubigen Boden entgegen. Sein Augen zu dünnen Schlitzen geformt, musterten immer wieder die Umgebung nach jedem noch so kleinen verdächtigen ab. Doch sein Aufatmen entschärfte die Lage wieder und er zog sie auf ihre Füße.

"Sorry", kratzte er sich ein wenig verlegen am Hinterkopf, da er, obwohl sie eine gute Freundin war, einen ihm höher Gradierten zu Boden gestoßen hat, was man als Soldat nicht alle Tage tat.

"Kanan", schnaubte sie sich ein paar gelöste Strähnen aus dem hohen Knoten, den sie sich gebunden hatte, aus dem Gesicht und schüttelte den Kopf, "kein Grund um gleich rot zu werden."

Etwas empört über die Aussage seines indirekten Bosses, stemmte er seine Hände in die Hüfte, was mit dem Gewehr in einer Hand ein wenig eigenartig aussah und schenkte ihr ein sanftes Lächeln, worauf sie ihren Weg fortsetzten. Nun noch wachsamer als vorhin. Doch auch Wachsamkeit, war nicht aller Tage Feierabend. Es war nichts gewonnen.

Mehrere Schüsse schallten ihnen um die Ohren, was nur das rettende Flach-auf-den-Boden-werfen nach sich zog, bevor einmal nach den Feinden Ausschau gehalten wurde.

"Siehst du sie?", hauchte sie hervor und lud ihre Waffe, um bereit für das einseitig losgelöste Feuergefecht zu sein; schob die Ärmel ihres Parkas zurück. Sie würde vor nichts zurückschrecken. Das hatte sie geschworen, immer und immer wieder.

Die Menschen haben sie nur ausgelacht, ihr schon ihren sicheren Tod vor Jahren vorausgesagt, doch sie war immer noch hier. Ein paar Narben waren nur auf ihrer Haut vertreten, aber es waren nur Überbleibsel, damit man nicht die Geschichte in seinem Kopf vergaß, die es dazu zu erzählen gaben. Für was war sie eine Soldatin geworden, um zurückzuschrecken. Es waren genau diese Menschen, die immer ihren Kopf hoben und etwas zu sagen haben.

Kanan zog sie ein wenig zu dem Stein, der ihnen, auch wenn er nicht wirklich groß war, Schutz spenden sollte. Immer wieder prallten Kugeln von dem Maschendrahtzaun ab, der sich vor ihnen erstreckte; und wenige fanden auch den Weg durch die Löcher und prallten neben ihnen mittels kleiner Staubwolke auf dem trockenen Untergrund ab.

"Gibst du mir Deckung?", hauchte er ihr zu, sein Lächeln noch ein wenig breiter als vorhin, da er schon den Sieg sah, der eintreten wird. "Dann sind wir bald fertig."

"Träum' du nur davon", sprang sie aus der Deckung und begann fröhlich loszuschießen und versuchte nebenbei den Platz der Angreifer zu identifizieren, den sie so vergebens suchte. Schließlich war es Kanan, der ihr Rückendeckung gab und sie wieder einmal hinter den Stein zog, wenn es zu gefährlich wurde. Die Gefahr, die sie wie in Trance schwebend auszublenden versuchte. Doch alles war anders und doch so gleich. So kam es ihr zumindest vor.

"Siehst du sie?", hat sie es immer noch nicht aufgegeben, sie zu suchen, während ihr Partner hinter dem Stein verschwand, um nachladen zu können.

"Ich sehe niemanden! Nur Staub und fliegende Kugel!"

Ein kurzes Lachen folgte, welches aber verstummte. Ihre Augen visierten nur einen kleinen Punkt vor ihren Füßen, von dem sie sich langsam entfernen wollte. Vorsichtig einen Schritt nach dem anderen zurück machte und nun auch Kanan mit dem Kopf über die Kante des schroffen kleinen Felsens lugte.

"Lucy!"

Mit dem Ruf sprang er auch über den Stein, doch wurde nur von ihr zur Seite gestoßen. Sie wusste nicht warum sie dies getan hat. Nicht die Waffe gezückt. Er nicht abgedrückt. Sie hat danach nur die Augen geschlossen und sich dem hingegeben, was kam, kommen müsste. Was sie nun als für sich bestimmt hinnahm.

Sie spürte nichts mehr, wie sich die Kugel durch mehrere Zentimeter Muskeln, Knochen, Sehnen und Blut bohrte. Sie rückwärts taummelte und zu Boden fiel. Damit ihr letzter Atem ausgestoßen und somit ihr Leben ausgehaucht wurde. Kanan neben ihr kniete und weinte, ohne Ende.

Sie hat nichts gespürt.
Keinen Schmerz. Sie hat nichts gehört.
Keinen Hall des Schusses.
Sie hatte nichts gefühlt.
Keinen sandigen Boden unter ihrem Körper, der sich langsam mit ihrem Blut tränkte.

Sie hat alles nur gesehen.
Von oben.
Von einer Perspektive, in der sie so viel schreien hat können und sie hat trotzdem keiner beachtet. 

Bis danach die Stimme gekommen war.

keep running like the sky is falling × LINKIN PARK × b.delsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt