Teil 4

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"Wieso Friedhof?! Was um alles in der Welt willst du denn jetzt auf dem Friedhof?", keift Susi hinter mir her. "Komm zurück. Tu endlich etwas Vernünftiges und stell dich in die Küche!" Aber da bin ich schon zur Tür hinaus und durch den Vorgarten gelaufen. Grade sehe ich das Taxi in die Straße einbiegen. Schnell bücke ich mich, um noch ein paar Blumen im Vorgarten zu pflücken. Susi hinterm Vorhang des Küchenfensters spuckt bestimmt Gift und Galle, aber das ist mir komplett egal. Ich kann doch Bodos Grab nicht ohne Blumen besuchen.

"Hallo! Kommen Sie, oder soll ich weiterfahren?", ruft der Taxifahrer mir zu. Die tiefe Stimme und auch die Worte kommen mir bekannt vor. Ich richte mich auf und erkenne erstaunt den Fahrer vom letzten Mal. Oha, damals hatte ich ja ein denkwürdiges Bild geboten. Ich will gerade anfangen mich zu schämen, da grinst er mich an und zeigt auf die Blumen in meiner Hand. "Fertig mit der Gartenarbeit?", fragt er. Ich bin verwirrt und weiß nicht, wie ich reagieren soll. "Äh... Gartenarbeit?", stammele ich zurück. Er steigt aus, um mir die hintere Tür zu öffnen. "Na, wenn Sie jetzt sogar Unkraut mitnehmen, geht es demjenigen im Krankenhaus bestimmt schon wieder besser", schwatzt er munter drauflos, während er meine Handtasche hält, damit ich besser in den Wagen steigen kann, sie mir schließlich hineinreicht und die Tür schließt. Dann  geht er wieder um den Wagen herum und setzt sich auf seinen Platz. Er lässt den Motor an und richtet den Rückspiegel so aus, dass wir uns gut sehen können. "Uniklinik war das, nicht wahr?" Es ist unheimlich, wie er sich daran erinnert. Was erinnert er noch? Mir wird ziemlich unbehaglich.

"Nein", entgegne ich ihm kleinlaut und leise. "Ich möchte zum Neuen Friedhof, bitte." Das Spiegelbild des Fahrers reißt die Augen auf, dann räuspert er sich und beißt sich auf die Unterlippe. Ich weiß auch nicht, was mich reißt, aber unter seinem durchdringenden Blick fange ich einfach an zu erzählen: "Er ist gestorben, wissen Sie? Ich kam gerade noch rechtzeitig, dann ist er gestorben. Er ist eingeäschert worden und sein Grab ist nur ganz klein, aber ein paar Blumen kann man drauflegen. Ich dachte, die, an denen ich ab und zu vorbeigehe, die würden mich wieder stärker mit ihm verbinden. Er fehlt mir so sehr... " Die ganze Zeit habe ich versonnen auf den Spiegel gestarrt. Jetzt fokussiere ich meinen Blick wieder und stelle fest, dass im Spiegel gar kein Gesicht mehr zu sehen ist, sondern nur noch ein braungelockter Hinterkopf. Der Fahrer hat sich zu mir umgedreht. Ganz aufmerksam schaut er mich an und fragt: "Darf ich Sie denn jetzt überhaupt noch zum Friedhof fahren, wo ich doch so taktlos war?" Die Frage kommt mir sehr merkwürdig vor. Er scheint sie aber wohl wirklich ernst zu meinen und eine Antwort darauf zu erwarten. Jedenfalls guckt er mich weiter fragend an und schickt nach einer kurzen Pause ein aufforderndes "Hm?" hinterher. "Äh - ja klar, ist schon gut", nuschele ich und versuche mich anzuschnallen, ohne die Blumen zu zerknicken.

"Neuer Friedhof also", sagt mein Fahrer ganz geschäftsmäßig und setzt den Blinker. Als ich von meinen Blumen wieder hochschaue, begegnen sich unsere Blicke erneut im Rückspiegel. Ich denke noch, dass er vielleicht mal wieder auf die Straße sehen sollte. Dann überlege ich, warum er es wohl nicht tut, und werde prompt wieder rot. Endlich schließt er kurz die Augen. Als er sie wieder öffnet, sind sie auf den Verkehr gerichtet. Einerseits möchte ich erleichtert aufatmen - hatte ich doch schon gefürchtet, dass seine mangelnde Aufmerksamkeit zu einem Unfall führen könnte. Andererseits steckt mir ein trauriges Seufzen in der Brust, denn irgendwie hatte mir dieses Schauen und Angeschaut-Werden sehr gefallen. Ich atme möglichst neutral tief durch. "Alles in Ordnung da hinten?", erkundigt sich der Taxifahrer sofort. "Möchten Sie vielleicht lieber vorne sitzen? Wir sind sonst auch gleich da..." Er ist wirklich ein besonderer Mensch und irgendwie sagt er lauter ungewöhnliche Sachen. Aber seine Aufmerksamkeit mir gegenüber tut mir gut. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie geradezu genieße. "Nö, ist gut, alles bestens", antworte ich ihm und unser Gespräch verstummt für eine kurze Zeit.

Schließlich biegt er auf den Parkplatz des Friedhofes ein und sagt: "Schade, da sind wir schon. Ähm.... soll ich warten?" Also das wäre mir jetzt doch etwas zu viel Aufmerksamkeit und vermutlich würde es auch höllisch teuer werden. "Nein, danke", lehne ich zögernd ab. "Hier fährt nachher mein... Kollege vorbei. Der nimmt mich dann mit." 'Hoffe ich', denke ich im Stillen, denn eigentlich habe ich nur so am Rande mitbekommen, dass Karsten heute noch zur Zentrale kommen wird, um mit Günther über die Zukunft der Agentur zu sprechen; und dass er trotz dessen eifriger Beteuerungen, es sei doch gar nicht nötig, vorher noch Bodos Grab besuchen will. Mit Karsten selber habe ich gar nicht darüber gesprochen. Ich hoffe jetzt einfach, dass er kommt und mich dann in seinem Auto mitnimmt. Ich winke dem Taxifahrer zum Abschied mit dem Blumenstrauß, dann straffe ich meinen Rücken und betrete den Friedhof.

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