Teil 7

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Nachdem ich bis zum endgültigen Ende meiner Geduld mit Fabian über seine Zeichnungen und ihre Bedeutung diskutiert habe (und er mir schließlich glauben muss, weil ich überzeugt bin, dass ich richtig liege und nicht einen Schritt von meiner Deutung abweichen will), bekommt er eine neue Zeichenattacke und ich bin erstmal abgemeldet. Den günstigen Augenblick nutze ich, um aus seinem Zimmer zu verschwinden und mich endlich meinen Reisevorbereitungen zu widmen. Ich telefoniere mit Barbara, verabrede, dass ich heute Abend spät noch bei ihnen in der Filiale ankomme und frage nach den Dingen, die ich der Taxizentrale sagen muss, damit die Fahrt der Agentur berechnet wird und ich sie nicht bezahlen muss. Barbara ist total begeistert und ganz aus dem Häuschen. Sie freut sich wohl wirklich sehr auf mich und hat anscheinend ungeduldig auf meinen Anruf gewartet. Das hebt meine Stimmung und ich freue mich noch mehr auf meine kleine Reise. Nur dass ich Fabian hier alleine lassen muss... 

"Was hast du denn?", fragt Barbara. "Was beschäftigt dich so, dass du nicht sofort losfahren willst?" Wie hat sie das denn jetzt wieder gemerkt? Ich hab doch Fabian mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt! "Ähm...", verlegen und ratlos räuspere ich mich, um Zeit zu gewinnen, in der ich mir vielleicht eine sinnvoll klingende Antwort zurechtlegen kann. "Komm jetzt, spuck' es schon aus, Cara", funkt mir Barbara in meine Überlegungen. "Raus mit der Sprache!" Na gut. Ich gebe mir einen Ruck und beginne zu antworten, aber schnell fällt mir auf, dass ich gar nicht genau weiß, was ich sagen soll, oder darf. "Also, ich glaube für Fabian ist es nicht gut, wenn ich jetzt hier wegfahre... wir haben wohl gerade begonnen... äh... zusammen... zu arbeiten... ja, oder so", nuschele ich verlegen vor mich hin. 

"Ach so..." Am anderen Ende der Leitung kichert Barbara vergnügt. "Das ist gar kein Problem, Cara", sagt sie dann. "Ihr kennt euch gut - und schon lange, oder?", erkundigt sie sich dann aber doch. "Ja...?" Ich weiß so gar nicht, was ich von ihrer Frage halten soll. "Ach, und selbst wenn", tut sie dann meine ganze Verwirrung ab. "Ihr könnt doch zur Not auf jeden Fall telefonieren. Ist zwar etwas umständlich, erfüllt aber seinen Zweck." Ich denke an unser Gespräch von vorhin und wie lange es gedauert hat. "Das kann aber teuer werden", wage ich einzuwenden. "Ist ja, wie gesagt, auch nur die Notlösung", zwitschert Barbara gut gelaunt in mein Ohr. "Komm einfach her und dann wirst du schon sehen." Mit diesem Satz hat sie das Thema beendet und ich trau mich nicht, ihr da zu widersprechen. Kurz gehen wir nochmal alle Verabredungen durch und dann verabschiede ich mich von ihr und lege auf.

Für das Kofferpacken habe ich noch nie lange gebraucht. Wenn man nicht viel besitzt, muss man nicht viel einpacken. Das Taxi ist bestellt, kommt aber erst um drei, also habe ich jetzt noch jede Menge Zeit. Da mein Magen schon wieder vor Hunger grummelt, beschließe ich, Mittagessen zu kochen. Mit den vielen Leuten bei uns in der Zentrale ist das immer so eine Sache, weil jeder zu einer anderen Zeit etwas anderes essen möchte, aber jetzt ist es grade mal halb zwölf, da habe ich in der Küche noch freie Bahn. Weil mir nichts besseres einfällt, mache ich mir eine sehr große Portion Nudeln mit Tomatensoße. Kaum brutzeln die Zwiebeln in der Pfanne, steht Fabian im Türrahmen. "Riecht so gut... krieg ich auch was ab?" So ein Faulpelz! Aber ich nicke und schneide einfach eine weitere große Tomate in die Pfanne. 

Später sitzen wir gemütlich am Küchentisch und essen gemeinsam. Nach einer Weile nimmt Fabian vorsichtig unser Gespräch vom Vormittag wieder auf. "Wenn du recht hast und ich eine Übermittlung zeichne, warum passiert es dann so oft, Cara?" In seinem Gesicht kann ich höchste Anspannung und Unsicherheit sehen. "Das weiß ich auch nicht, Fabian." Ich seufze, denn ich habe die Befürchtung, dass es wieder so anstrengend wird wie heute Vormittag. "Dass eine Übermittlung sich wiederholt, ist allerdings normal, das weißt du doch, oder?" Er nickt. Ist ja auch klar. Nicht jede Übermittlung wird beim ersten Versuch empfangen. Deshalb senden wir in der Zentrale sie meistens drei mal. Wenn sie angekündigt ist und erwartet wird, kann man sicher sein, dass sie so auch wirklich ankommt. Wenn man dagegen eine unangekündigte Botschaft transferieren muss, dann muss man sooft übermitteln, bis der Empfang bestätigt wird. Das kann durchaus öfter sein... 

"Hast du denn inzwischen eine Ahnung, wer sendet? Und wann?", frage ich zwischen zwei Bissen. Dabei tropft mir etwas Tomatensoße vom Löffel zurück auf den Teller. Fabian blickt auf. "Nein, da habe ich wirklich keine Ahnung...", sagt er schulterzuckend. Dann beginnt er breit zu grinsen. "Nettes Design!" "Wie?" "Na der Pulli. Ist der neu?" Ich weiß genau, dass Fabian jetzt nur unschuldig tut, kann mir aber keinen Reim darauf machen und schaue ihn weiter ratlos an. "Och, Cara, du stehst grad wirklich auf dem Schlauch, was?", sagt er worauf er mir den Löffel aus der Hand nimmt, mich vom Stuhl hochzieht und vor den Spiegel schleift. Dort sehe ich das Malheur: Mein cremefarbener Lieblingspullover ist großzügig mit Tomatensoße besprenkelt - so kann ich nicht losfahren. Schade eigentlich. Den hätte ich gerne mit an die Küste genommen, aber jetzt muss ich mich wohl oder übel umziehen.

Gemeinsam haben Fabian und ich unser Geschirr gespült, ich hab meinen Lieblingspulli gegen ein beliebiges anderes Shirt getauscht und stehe nun mit meinem Koffer und der Handtasche vor der offenen Haustür. Fabian ist mit nach draußen gekommen. Ich merke, dass er was auf dem Herzen hat, denn er schaut angestrengt vor sich auf den Boden und tritt von einem Fuß auf den anderen. "Hey Fabian, was ist denn?", frage ich ihn und hoffe, dass er sich durchringen kann, das Wesentliche auszusprechen, bevor das Taxi kommt. Aber er schüttelt nur den Kopf und startet den sinnlosen Versuch, mit der Ferse etwas auf den Plattenweg vor der Haustür zu zeichnen und ich kann nichts weiter tun, als abzuwarten. Schließlich holt Fabian dann doch tief Luft und räuspert sich. Na also, es geht doch. Spuck's aus, Junge! "Also, Cara, dann fährst du jetzt?" Echt jetzt? Nur Smalltalk? "Ja, sieht so aus. Aber wir halten Kontakt. Ich ruf dich morgen früh an, ja?" Er lächelt leicht. Bei seinem gesenkten Kopf kann ich es kaum erkennen, aber ich bin mir sicher. "Ja, das wär... das wär gut", murmelt Fabian und schluckt. Dann hebt er plötzlich den Kopf. "Du musst mir helfen, Cara, alleine schaff ich das nicht." "Aber du bist doch nicht alleine, Fabian", antworte ich verwundert. "Günther ist doch da und Susi..." Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, würde ich sie am liebsten wieder herunterschlucken. Mit Günther kann Fabian unmöglich über die Zeichnungen sprechen! Und Susi könnte ich auch nicht vertrauen. Als ich Fabians Blick suche, kann ich genau erkennen, dass es ihm ebenso geht. "Oder Heide...", wage ich dann noch zu ergänzen. Aber das will er gar nicht hören. "Du rufst ja morgen früh an. Andere Hilfe will ich nicht." Das klingt so, als würde er am liebsten mit dem Fuß aufstampfen, ganz wie ein kleines Mädchen. Ich kann mir ein Lächeln gerade noch verkneifen. Da sehe ich das Taxi in die Straße einbiegen. Schnell ziehe ich Fabian in eine Umarmung, drücke ihn ganz fest und schnaufe in sein Ohr: "Morgen früh, versprochen! Lass dich nicht unterkriegen!" 

"Oh, komme ich ungelegen?", ruft eine bekannte Stimme aus dem Taxi. Schon wieder der junge Fahrer... das kann doch kein Zufall sein! Aber gut - wenn er mich fährt, langweile ich mich wenigstens nicht auf der langen Fahrt. Ich lasse Fabian los, drehe mich noch mal kurz zum Küchenfenster, um Heide zu winken, packe meinen Koffer und meine Tasche und stürme auf das Taxi zu. Küste ich komme!

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