Teil 8

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"So, junge Dame, dann machen Sie es sich mal bequem!", fordert mich der braungelockte junge Mann auf. Er hat mein Gepäck in den Kofferraum geladen, mir die Beifahrertür geöffnet und mich angelächelt. Es scheint, als ob er sich ebenso auf unsere lange Tour freut wie ich. Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Für einen Taxifahrer ist so etwas doch Routine, oder? Jedenfalls  hat er sich richtig darauf vorbereitet, mit Proviant und Getränken, die zwischen seinem und meinem Sitz  untergebracht sind. Aufseufzend lasse ich mich in den Beifahrersitz sinken, schließe den Gurt und schiebe meine Tasche im Fußraum zur Seite, so dass ich immerhin ein wenig die Beine strecken kann.

Das Fahrzeug schwankt ein bisschen, als mein Fahrer sich in seinen Sitz fallen lässt. "Na, dann wollen wir mal", meint er, startet den Motor und lächelt mich gewinnend an. Oh, so schöne Augen... dunkelgrau... so ein edles Gesicht... und ein verwegener Dreitagebart... sexy... "Was gibt es denn hier so spannendes zu sehen?" Die tiefe Stimme des Fahrers reißt mich aus meinen Träumereien. Ups... "Ich... ich kenne Sie, Sie haben mich schon mal gefahren, oder?" Ha, grade noch gerettet! "Ja, natürlich", ist die verwirrende Antwort. "Zum Glück darf ich Sie dieses Mal zu einem harmloseren Ziel fahren", und schon lächelt er mich wieder an. "Ist wirklich gut, dass es diesmal weder ins Krankenhaus noch zum Friedhof geht." Ich kann mir ein leises Kichern nicht verkneifen. Ja, das heutige Ziel ist viel positiver. Ich fahre quasi in den Urlaub. Aufseufzend entwirre ich die Kopfhörer meines MP3-Players. Die Fahrt wird mindestens zweieinhalb Stunden dauern, da kann ich mich gut mit Musik entspannen.

"Darf ich Sie noch etwas fragen?", werde ich von meinem Fahrer angesprochen, als ich gerade die Augen schließen will. "Ja, was denn?", möchte ich wissen. "Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber für eine Agentin kommen Sie mir noch sehr jung vor." Mir bleibt vor Erstaunen der Mund offen stehen. Das kann  der doch gar nicht wissen, falsch, das darf der doch gar nicht wissen, dass ich eine Agentin werde. "Ähm...", unruhig rutsche ich auf meinem Sitz hin und her. "Also..." "Ach, machen Sie sich doch keine Sorgen", lacht der Fahrer leise. "Ich glaube, ich muss Ihnen da was erklären. Die Agentur hat eine sehr besondere Beziehung zu unserem Taxi-Unternehmen. Ich dachte nur, Sie hätten einen besonderen Auftrag, weil ich Sie doch in eine andere Filiale bringen soll. Aber dann fange ich am besten mal ganz von vorne an." Jetzt hat er meine volle Aufmerksamkeit.

"Wenn ich mich vorstellen darf: Frank Taxis, aus einem unbedeutenden Zweig der alten Adelsfamilie Thurn und Taxis, die in Europa damals den Post- und Taxi-Dienst entwickelt und aufgebaut hat." Oh ist er dann ein Fürst? Auf jeden Fall ist er adelig... "Sehr erfreut. Cara Müller", antworte ich und hoffe, dass meine Umgangsformen gut genug sind. "Oh, das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite", ist die verblüffende Antwort. Aber er klingt total ehrlich, als ob er genau meint, was er sagt. Und was hat das jetzt mit der Agentur zu tun?

"Die Postanstalten, die unsere Familie ab 1460 ins Leben riefen, sind nicht nur die Vorläufer der heutigen Taxiunternehmen...", doziert er dann. Ach du Schreck! Eine Geschichtsstunde! Wenn der so weitermacht, wird das eine sehr langweilige Fahrt. Ich verstehe ja, wenn er seine Familiengeschichte so spannend findet, aber er muss ja nicht immer von sich auf andere schließen - mich interessiert sie erstmal nicht. "...sondern auch der direkte Vorgänger der Agentur." Mooooment? Was hat er gesagt? Ich glaube, jetzt interessiert es mich doch. Brennend.

"Wie...  wie haben Sie das gemeint?" Vor lauter Eifer bekomme ich den Satz nicht im ersten Anlauf zustande. Seine erste Antwort ist ein breites Grinsen. Dann beginnt er aber bereitwillig zu erklären. "Die Agentur - das ist ja nur der kurze Name. Ausführlich heißt sie 'Agentur zur Übermittlung von Botschaften', das dürfte Ihnen bekannt sein." Ich nicke mit dem Kopf. "Ja, es klingt nur so... blöd, irgendwie." Mein Fahrer lacht laut auf. "Da haben Sie recht. Allerdings beschreibt der Name genau, wozu die Agentur da ist - um Botschaften zu übermitteln. Das fing mit Personentransport an: So konnte der Bote seine Botschaft mündlich weitergeben, auch an einem Ort, an dem er nicht lebte. Dann kam die Post: Die Botschaft wurde aufgeschrieben und nicht mehr persönlich überbracht." 

Staunend lausche ich, was mein Taxifahrer alles zu erzählen weiß. Dabei sehe ich ihn natürlich an, aber schon bald lässt mein Fokus nach und mein Blick gleitet von seinem Gesicht mit dem Dreitagebart zu seinem sehr muskulösen Oberarm, der aus dem T-shirtärmel herausschaut. Am Rand des Ärmels scheint ein Tattoo zu sein, aber es ist zum größten Teil unter dem Stoff verborgen. Nur ein paar kleine schwarze Enden von irgendetwas schauen unter dem Ärmel hervor und wecken meine Neugier. Automatisch und ohne nachzudenken, hebe ich meine Hand um mit den Fingern den Ärmel hoch zu schieben und das Tattoo freizulegen. Im letzten Moment bemerke ich, was ich gleich tun werde und halte in der Bewegung inne.  

"Briefumschläge sind übrigens auch eine Erfindung der Agentur. So konnte die Botschaft vor den Augen Unbefugter geschützt werden", fährt der junge Mann fort und zwinkert mir zu. Erwischt... Ich werde schlagartig dunkelrot. Oh Gott, ist das peinlich!  Aber mein ritterlicher Taxifahrer hat nicht vor mich in dieser Situation schmoren zu lassen. Er redet munter weiter, während ich versuche durch kontrolliertes Atmen meine gewöhnliche Gesichtsfarbe zurückkehren zu lassen. "Das Telefon war das erste paranormale Gerät und ein gewaltiger Fortschritt in der Botschaftsübermittlung", plaudert er munter weiter.  "Aber es ist begrenzt: es kann nur von der Gegenwart in die Gegenwart übermitteln. Deswegen ist es auch nicht gefährlich und für den allgemeinen Gebrauch geeignet."

"Äh... Gegenwart... und wohin übermittelt die Agentur sonst, wenn nicht in die Gegenwart?" Bevor ich nachdenken kann, hat die Frage schon meine Lippen verlassen. "Ja... das ist genau der Punkt, an dem ein Agent mehr weiß als ein Taxifahrer." Erstaunt drehe ich meinen Kopf mit einem Ruck zu ihm zurück und kann beobachten, wie er sich verlegen mit der Hand am Nacken kratzt. "Ich bin da leider auf Vermutungen angewiesen", erläutert er mir und schaut mir in die Augen. "Aber ich denke mal, es geht vor allem darum, Botschaften in die Vergangenheit zu übermitteln. Ich meine... die Zukunft ist ja nicht sooo schwer zu erreichen, wenn man nur genug Geduld hat."

Wie jetzt? Was soll denn an einer Botschaft in die Zukunft leichter sein als an einer Botschaft in die Vergangenheit? Und was meint er mit 'genug Geduld'? Der Blick des Taxifahrers lässt mich wieder los und wendet sich der Straße zu, aber sein Gesicht ziert ein schönes Lächeln. "Los, denken Sie nach! Da kommen Sie selbst drauf." Nach dieser Aufforderung schaltet er das Radio ein. Unser Gespräch scheint also vorerst beendet.

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