11.Kapitel

135 6 0
                                    

Wieder einmal taten mir die Arme von dem blöden Reflektorheben weh, aber auch mein Kopf schmerzte. Dieser ratterte nur so vor Gedanken, die mich in diesem Moment fast umbrachten. Am liebsten hätte ich ihn so lange gegen eine Wand geschlagen bis er endlich Ruhe gegeben hätte und alle Gedanken sich wieder in ihr Eck verkrochen hätten. Aber so sehr wie mich das Schicksal liebte, wurde auch dieser Wunsch einfach ignoriert.

Es hätte ja an mir gelegen, ob ich nun nachdachte oder nicht, aber ich konnte es keineswegs kontrollieren, die Gedanken kamen einfach. Aus dem Nichts. Und wie mich das in diesem Moment aufregte. Ich wollte Ruhe haben! Mein Kopf sollte endlich aufhören zu denken. Ich schaffte es dann doch irgendwie die Zeit bis zur ersten Pause totzuschlagen. Doch wenn ich ehrlich war hätte ich lieber die Pause durchgehend den Reflektor gehalten, zur Not auch bis mir die Arme abfielen. Aber damals wusste sich noch nicht was auf mich zukommen würde, und unter anderen Umständen hätte ich einen solchen Moment sogar ersehnt.

Es gab ein mobiles Catering an dem ich mir eigentlich etwas zu essen holen wollte, aber mein Weg wurde leider gekreuzt. Er war die letzte Person, die ich hätte sehen wollen. Er, der geradewegs auf mich zu kam. Er hielt einen braunen Umschlag in den Händen, den ich fixierte. Nur um ihm nicht ins Gesicht schauen zu müssen. „Hey“, begrüßte er mich mit einem Lächeln auf den Lippen. Dieses Lächeln, das mich fast um den Verstand brachte. Und genau in diesem Moment bekam ich Panik. Was sollte ich tun? Was sollte ich sagen? Sollte ich normal weiter machen und ihm meine Gefühle verheimlichen? Oder soll ich ihm davon erzählen? Wahrheit oder Lüge?

Langsam wurde ich panisch, denn ich hatte ihm immer noch nicht geantwortet. Ich hatte sogar Angst, dass ich womöglich einen Nervenzusammenbruch hatte. Er sah mir abwartend in die Augen, was mich total kirre machte. Mein Herzschlag verschnellte sich gerade um das Hunderttausendfache, sodass ich Angst hatte, dass es mir jeden Moment aus dem Brustkorb springen könnte. Nervös knetete ich meine Finger und bis mir auf die Unterlippe, so fest, dass ich Angst hatte, dass sie aufplatzen würde. Angst hatte ich in diesem Moment zur Genüge. Dieser unendlich lang erschienene Augenblick, nahm in Wirklichkeit nur einige wenige Sekunden in Anspruch, dennoch qualvolle Sekunden.

„H-Ha-Ha“, ich räusperte mich, da ich keinen gescheiten Ton rausbrachte, „Hallo!“ „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich über mein Wohlbefinden. Als allererstes schoss es mir in den Kopf, dass das unendlich süß von ihm war, danach aber holte mich die Realität ein und die Szene von gestern erschien vor meinem inneren Auge. „J-Ja, ich…“ Verdammt, jetzt muss ich mir eine Ausrede einfallen lassen! Und das so schnell wir möglich „Ich hab’ einen trockenen Hals, also entschuldige mich, ich muss was trinken“, versuchte ich mich aus der Situation zu befreien, aber daraus wurde nichts. „Halt, warte kurz! Ich hab’ da was für dich“, grinste er. Wieso machte mir dieser Typ das so verdammt schwer? Ohne mich von meinen Gedanken beirren zu lassen setzte ich ein gespielt gespanntes Lächeln auf. Naja, gespannt war ich ja, nur das Lächeln war aufgesetzt, denn mir war es gar nicht zu mute zu lächeln.

„Guck!“, forderte er und übergab mir den Umschlag. Etwas verwirrt nahm ich diesen entgegen und öffnete ihn natürlich sofort. Mich noch länger auf die Folter zu spannen hätte ich wahrscheinlich nicht ausgehalten. Zum Vorschein kamen Fotos. „Ich hab’ die Fotos entwickeln lassen“, begann er, „Jedenfalls die besten und natürlich alle die du gemacht hast.“

Oh Mann, ich hätte diesen Augenblick so gerne genossen. Ich hätte mich so gerne darüber gefreut, aber ich konnte das nicht. Nicht solange mir diese Szene immer wieder in den Sinn kam! „Danke“, sagte ich, jedoch nur halbherzig. „Nett von dir“, schob ich noch schnell hinterher, jedoch etwas leiser. Willkürlich nahm ich ein Bild auf dem Umschlag. Und wie sollte es anders sein, war es ein Bild auf dem wir in die Kamera sahen und irgendwelche Grimassen zogen. Das Bild brachte mich zum schmunzeln, doch direkt danach brach meine Stimmung direkt um. Ich sah auf das Foto zwischen meinen Fingern hinab. Auf einmal verschwamm meine Sicht. Nicht etwa weil ich weinte, obwohl mir danach zu Mute war. Nein, ich weinte nicht, aber es war etwas anderes, es fühlte sich alles auf einmal so schummrig an. Ich sah und fühlte alles wie in Watte verpackt, schummrig und endlos erscheinend langsam. Jedes Wort, jede Bewegung spielte sich wie in Zeitlupe ab und ließ mein Übelkeitsgefühl nur noch wachsen. Ich hatte permanent das Gefühl mich übergeben zu müssen. Vor Schreck wegen dem plötzlichen Schwindel hob ich mir die Hand an den Kopf und versuchte mich an irgendetwas festzuhalten, um nicht umzukippen. Nur stand ich leider weit weg von allen Fest-Halt-Möglichkeiten, so taumelte ich einen Schritt nach hinten. Doch mit einem Mal spürte ich starke Hände, die mich an den Schultern festhielten. Meine Sicht wurde immer klarer und so blickte ich in die braunen Augen von Oguz, die mich besorgt anfunkelten.

„Hast du das öfters?“, fragte er immer noch ein wenig besorgt. „Ja, äh, nein, also ich weiß nicht“, stotterte ich, aber ich musste erst einmal verarbeiten, welchen Unsinn ich gerade von mir gegeben hatte. Ich schüttelte meinen Kopf um einen klaren Gedanken fassen zu können. Dann bückte ich mich nach dem Umschlag auf dem Boden um ihn aufzuheben. Währenddessen murmelte ich durchweg irgendwelche Entschuldigungen. Seinen Griff hatte Oguz schon längst von meinen Schultern gelöst. Noch immer auf dem Boden hockend, verzweifelte ich wohl gerade. Mir ging es wirklich schlecht und das auch vom körperlichen Standpunkt aus. Zudem stieg meine Verwirrtheit mit der Zeit immer mehr.

Schließlich überwand ich mich aufzustehen und meinem ursprünglichen Plan mir etwas zu Essen zu holen nachzugehen. „Tut mir Leid. Ich geh’ mir was zu Essen holen“, sagte ich und wartete gar nicht erst auf irgendeine Antwort, als ich ging.

Am Tisch auf dem das Essen stand wurde mir bewusst, dass ich meinen Hunger schon längst verloren hatte. Essen wäre das letzte woran ich jetzt hätte denken können. Mein Kopf brummte immer noch und ich hatte keine Ahnung warum. Überhaupt hatte ich keine Ahnung, was hier abging. Mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen. Es wurde mir einfach alles zu viel.

Mir kam in den Sinn, dass ich vor Oguz schon einmal so einen „Anfall“ gehabt habe. Damals ebim  Dreh. „Alles okay?“, fragte eine vertraute Stimme. „Ja… Ja, mir war grad nur ein bisschen schwindelig“, redete ich mich heraus und setzte ein Lächeln auf. Wie oft hatte ich das in der letzten Zeit schon getan? Im Gedanken seufzte ich. „Dann trink’ doch was!“, bot mir Phil an. Eigentlich hatte ich nichts gegen Philipp, aber in diesem Moment hätte er mir gestohlen bleiben können. Mir hätte im Moment eigentlich jeder gestohlen bleiben können. Ich war einfach nicht auf Konfrontationskurs.

Phil drehte sich um und blickte über den Tisch und reichte mir letzten Endes ein Plastikbecher, der mit Wasser befüllt war. Ehrlich dankbar nahm ich diesen dann auch entgegen. „Danke!“, presste ich hervor bevor ich den Becher in einem Zug leer trank. Das kühle Nass tat meiner trockenen Kehle wirklich ziemlich gut. Wahrscheinlich das erste mal, dass ich mich an diesem Tag wirklich freute. 

Ich hätte 'Nein' sagen können...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt