Kapitel 5.

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Als ich Mittwoch spät nachmittags aus der Schule kam, zog meine Mutter gerade ihren Mantel an. „Hallo Schatz", begrüßte sie mich. Fragend sah ich sie an und warf meinen Rucksack in eine Ecke. „Wohin gehst du?", fragte ich skeptisch. Meine Mutter ging weder gerne aus, noch hatte sie viele Freunde. Entweder arbeitete sie, ging zum Fitness oder unternahm etwas mit meinem Dad. Ab und zu luden die Beiden Freunde ein, aber das waren meist Arbeitskollegen oder Bekannte aus Dad's Golfclub.

„Ich werde nach Lilian sehen. Rosalie ist nun schon seit über einer Woche verschwunden und die Polizei findet keine Spur von ihr."

Meine Mutter steuerte die Tür an und ich folgte ihr. „Ich komme mit."

„Das ist schön. Lilian freut sich sicher dich zu sehen." 
Ich folgte ihr zu unserem Ford und ließ mich auf den Beifahrersitz gleiten. Der Himmel zog sich langsam zu und legte alles in einen graues, düsteres Licht. 
„Ich hoffe es regnet so bald nicht, ich habe die Wäsche noch draußen", murmelte meine Mutter und folgte meinem Blick auf die dunklen Wolken. 
„Wie es aussieht, werden die heute zwei Mal gewaschen werden."

„Nun, wie konnte ich auch erwarten, dass die kalte Septembersonne die Kleidung schneller trockenen als der Trockner. Naja, die Hoffnung stirbt zuletzt."

Seufzend startete sie den Motor und wir fuhren rückwärts aus unserer Auffahrt.

Die ersten Regentropfen erreichten uns, als wir an Rosies Haus ankamen und die Klingel betätigten. Es dauerte einen Moment, bis Lilian endlich die Tür öffnete. Sie sah fertig aus, aber als sie uns erkannte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Unter ihrem Augen waren tiefe Ringe, die Haut war blass und es wirkte, als wäre sie um mindestens 10 Jahre gealtert. „Ella, du hast Iva mitgebracht wie schön."

Sie umarmte mich flüchtig, dann meine Mutter. „Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen. Kommt doch rein, ich habe Tee gemacht oder willst du lieber einen Kaffee, Ella?"

Sofort verschwand Lilian in der Küche, während meine Mutter und ich unsere Schuhe abstreiften und die Mäntel an die Garderobe hingen. „Tee ist super, danke. Wann kommt William?"

Ich folgte ihr in die Küche. Sie war riesig, wie auch der Rest des Hauses der Thompsons. In der Mitte befand sich eine große Kücheninsel, darum waren Hocker aufgestellt. Zwei große Fenster erhellten das Zimmer ein wenig, doch trotzdem hatte Lilian das Licht an. Sie stellte mir eine dampfende Schokoladenmilch vor die Nase und ich ließ mich auf einem der Stühle nieder. „Danke, Lilian", sagte ich und nippte zufrieden an der Tasse. Es war viel zu heiß, aber wie immer konnte ich es nicht lassen und trank trotzdem einen Schluck, sodass ich mir den Gaumen verbrannte.
„Ich wusste, doch, dass du eine heiße Schokolade willst", zwinkerte sie. „Es gibt kaum einen Tag, an dem du hier keine trinkst. Und Rosalie..." Sofort verstummte sie und starrte vor sich hin. 
„...Ja?", half ich ihr auf die Sprünge und nickte mit dem Kopf. Sie schreckte auf und ich meinte zu sehen, wie Lilian sich eine Träne fortwischte. „...Ähm, ja. Rosalie liebt auch heiße Schokolade, aber was reden wir davon. Wollt ihr etwas essen? Ein paar Kekse vielleicht?"
„Nein Lily, mach dir keinen Stress", sagte meine Mom sanft, doch Lilian öffnete zitternd den Schrank und durchsuchte die Schubladen. „Lil, wirklich, setz dich zu uns und entspanne dich für einen Moment."
„Ich weiß, dass ich Kekse hatte, ich habe doch letztens erst welche gekauft", murmelte Lilian leise. Ihr zittriges Suchen wechselte in hastiges Wühlen und keine zwei Sekunden später fiel eine Cornflakedose auf den Boden, die Cornflakes verstreuten sich in der ganzen Küche. „Lilian, setz dich hin! Du bist ja ganz durcheinander!", sagte meine Mutter nun streng, nahm ihrer Freundin die Dose aus der Hand, die sie hastig aufgehoben hatte und drückte sie auf einen der Hocker.

„Ich werde kurz in Rosies Zimmer gehen. Dann könnt ihr euch etwas unterhalten", sagte ich leise und meine Mutter nickte mir dankend zu.

Seufzend schlenderte ich die Treppen nach oben in den ersten Stock. Auf dem Weg zu Rosies Tür betrachtete ich die Bilder an den Wänden, die ich schon so oft betrachtete hatte. Lilian und Will bei ihrer Hochzeit, dann ein paar Jahre später mit einer kleinen blonden Rosalie auf dem Arm. Rosalie mit ihrem alten Hund Jasper, der vor ein paar Jahren gestorben war und es hing dort sogar eins mit ihr und Noah, als sie letztes Jahr zusammen auf den Winterball gegangen waren.

Als ich Rosalies Zimmer betrat, sah es noch so aus, wie ich es das letzte Mal in Erinnerung hatte. Das große Doppelbett war nicht gemacht, auf dem Schminktisch lagen ihre letzten Errungenschaften verteilt und über ihrem Sessel stapelten sich die Kleider, die auf einen fallen würden, wenn man sich setzte. Das wusste ich aus eigener Erfahrung. Vorsichtig strich ich über den schwarzen Bettbezug und ließ mich schließlich darauf sinken. Es scheint, als sei sie immer noch da. Als wäre Rosalie nur schnell aufs Klo gegangen oder etwas zu trinken holen. Aber sie war fort und niemand wusste, wo sie war.

Ich konnte nicht lange stillsitzen, also sah ich mich weiter in ihrem Zimmer um, als würde ich es das erste Mal sehen. An ihrem Schreibtisch hingen einige Bilder von ihr selbst. Jedoch hatte sie die Fotos nicht aufgehängt, weil sie sich selbst so verdammt hübsch fand, sondern weil sie allesamt von Noah geschossen worden waren. Einige hingen umgedreht an der Pinnwand, sodass man seine kleinen Nachrichten lesen konnte, welche er mit unordentlicher Schrift auf die Rückseite geschrieben hatte. Noah fotografierte bereits seit Jahren. Schon als ich ihn damals kennenlernte hatte er immer seine Kamera bei sich und knipste alles, was er unter die Linse bekam und halbwegs interessant fand. Als er Rosalie kennenlernte wurde sie seine Hauptinteresse. Sie hatte mir einmal erzählt, dass fast alle Bilder in seiner Dunkelkammer von ihr stammten. Sie hatte nichts dagegen. Er war schließlich ein wirklich guter Fotograf und seine Bilder von ihr sahen ziemlich ästhetisch aus.

 
Ich schlenderte weiter, bis zu ihrem Regal in der sie eine kleine Schneekugelsammlung hatte. Rosie hatte leider eine Schwäche dafür und wann immer sie irgendwo eine hübsche Kugel sah, musste sie sie haben. Wenigstens wusste ich so immer, was ich ihr zu Weihachten schenken konnte. Die Hälfte der Schneekugeln in ihrem Regal stammten sowieso von mir. Gedankenverloren nahm ich die Kleinste von ihnen und wiegte sie in meiner Hand. Darin war ein junges Mädchen, das auf einem Stein saß und in die kleine Flamme eines Streichholzes sah. Eine schwarze Katze drückte sich an ihr Bein und wenn man die Kugel schüttelte, sah es so aus, als säßen sie in einem ungemütlichen Schneesturm. Das war Rosies Lieblingskugel, das wusste ich sicher. Ich hatte sie ihr vor drei Jahren geschenkt, nachdem sie mir die Geschichte dazu erzählt hatte. Von dem Mädchen, dass an Heiligabend Streichhölzer verkaufen musste und fror und nichts verkauft bekam. Also setzte sie sich an den Straßenrand und zündete ein Streichholz nach dem Anderen an. Und bei jeder Flamme, sah sie ihre verstorbene Großmutter etwas klarer, bis sie sie schließlich mit zu sich in den Himmel nahm. 
Ich wusste nicht warum, aber Rosie liebte diese Geschichte. Aber so war sie nunmal. Traurig war ihr Fachgebiet, wie sie immer behauptete.

Ich schluckte einmal. In ihrem Zimmer zu stehen und ihre Sachen in den Händen zu halten ließ sie mich noch mehr vermissen. Hastig wischte ich eine Träne von meiner Wange und stellte die Kugel zurück in das Regal. Doch sie rutschte aus der Halterung und fiel mit einem lauten Klonk zu Boden. Dort rollte sie bis unter den Sessel. Stöhnend ging ich auf alle viere und krabbelte ihr hinterher. Wenigstens war sie nicht zerbrochen. Ich legte mich auf den Bauch und lugte unter den Sessel, der flauschige Teppichboden kitzelte meine Wange. Sie lag ziemlich in der Mitte, trotzdem musste ich mich verbiegen, um sie zu erreichen und zu mir zurück zu rollen. Als sie gegen meine Brust stieß, blieb ich einfach seitlich liegen und atmete durch. Plötzlich fiel mir etwas auf und ich kniff die Augen zusammen. Unter dem Sessel, zwischen den Federn eingeklemmt, war etwas. Ich griff ein weiteres Mal darunter und fühlte mich an den metallischen Federungen entlang, bis ich auf etwas kantiges stieß. Ich zog daran, bis es auf den Boden fiel und ich es unter dem Sessel hervorziehen konnte. 

Fassungslos blickte ich auf das Buch in meinen Händen. Es war dunkelgrün und sah ziemlich mitgenommen aus. Einige lose Zettel und Bilder ragten oben und unter heraus und ließen nicht zu, dass man es ganz schließlich konnte. Das Buch hatte mindestens hundertfünfzig Seiten und ich hatte es noch nie gesehen. Als ich die erste Seite aufschlug, stand dort sauber in Druckschrift: „Tagebuch von Rosalie Ally Thompson."

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Anhang: Iva finding the diary <3

Halloooo, ich bin zurück mit einem Update heute oder morgen kommt der erste Tagebucheintrag yay. Meinungen?? Ja? Immer her damit. 

LG Jenna <3 

Come find meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt