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Es ist jetzt also schon 12:23 Uhr.
Noch knapp 3 Stunden bis ich endlich wieder zu Hause sein kann.

Am liebsten würde ich sofort meine Sachen packen und verschwinden, aber nein das geht ja nicht.
Ich motiviere mich hier immer wider aufs Neue mit der Tatsache, dass ich Geld verdiene, denn ohne Job - kein Geld und ohne Geld - keine Drogen.

Was für eine bescheuerte Zwickmühle.

"Ey, Simons! Gehen sie endlich wieder an die Arbeit!"

Augenverdrehend befolge ich den Aufruf meines Chefs und packe mein Sandwich in meine Tasche.
Gegessen habe ich davon so gut wie nichts, mein Hungergefühl bleibt in letzter Zeit irgendwie aus.

Langsam trotte ich an meinen Arbeitsplatz. Ein alter Peugeot 205 GTI. 
Ein wundervolles Auto. Doch leider viel zu teuer für mich.

Er hatte eine rundum Restauration nötig. Jetzt fehlt nur noch der Lack, welcher an manchen Stellen zu fallen droht. Ich entscheide mich für die Farbe rot, den Klassiker.

Ich brauche nicht all zu lange und schon glänzt der Wagen, als wäre er neu-

"Gut Simons. Sie können gehen."

Mit großen Augen sehe ich meinen Chef an, bedanke mich schnell und renne beinahe aus der Werkstatt.
Eigentlich dachte ich, dass ich nach der Lackierung des Wagens noch etwas anderes machen müsse, doch zu meinem Glück, war mein Chef mal gnädig.

Ich laufe zur nahe gelegenen U-Bahnstation und verpasse natürlich meine Bahn, da sie vor meinen Augen abfährt.
Ich Glückspilz. Das heißt also 10 Minuten sinnlos mit warten verschwenden.

Genüsslich begebe ich mich zu den Metallsitzen am Bahnsteig, welche mit Kaugummis und Kippenstummel beschmutzt sind und lasse mich auf einen drauf fallen.
Endlich Wochenende! Entspannt schließe ich die Augen, bis mich das Gefühl beschleicht, dass jemand vor mir steht.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen öffne ich wieder meine Augen.

"Ah, da ist ja meiner Lieblingsdealer."

Mein Atem stockt, als ich in seine Augen sehe. Levin.

"Ähm, ja also hi."

Levin lächelt mich nur an.
"Gutes Zeug hast du, dass muss ich schon zu geben."

"Danke, schätze ich."

"Hast du zufällig noch was mit?"

Verdammt, genau heute hatte ich alles zu Hause gelassen.

Etwas beschämt schüttel ich mit meinem Kopf.
Levins Gesichtsausdruck ändert sich schlagartig. Ich glaube, er hatte sich eine andere Antwort erhofft.
Sofort kommt mir ein Gedanke.

"Komm doch heute zum Kawa. Ich hatte vor abends hin zu gehen."

Er überlegt kurz und ich hoffe auf eine Zusage.
In diesem Moment kommt allerdings meine Bahn, weshalb ich nicht mehr auf seine Antwort warten kann.
Der Tag straft mich heute - warum auch immer.

"Also dann. Ich muss los, vielleicht sieht man sich ja heute Abend."

Levin nickt mir nur zu und ich steige ein.

Levin.

Jetzt habe ich ihn schon den zweiten Tag hintereinander gesehen.

Alles andere als enthusiastisch schließe ich die schwere Haustür des Wohnkomplexes auf.
Meine Hände zittern und spüre den Drang nach einem Joint.
Seit ich in der Bahn saß, liegt dieses Gefühl auf mir und ich weiß nicht, woher es kommt, sondern nur wie ich es loswerden kann.

"Oh Mrs Gear. Hallo."

Es überrascht mich nicht zu sehr, dass ich die alte Dame im Treppenhaus sehe. 

Manchmal läuft sie drei mal am Tag die Treppen auf und ab, in der Hoffnung jemanden zu treffen.

Und jetzt habe ich auch noch das Los gezogen.

 "Ach guten Tag junger Mann. Wie war ihr Arbeitstag?"

"Sehr gut Mrs. Gear. Danke der Nachfrage."

Langsam gehe ich Stufe für Stufe nach oben, in der Hoffnung, dass sie mir folgen wird.

Als wir im dritten Stock ankommen, halte ich an und unterbreche ihr Geschwafel, bei dem ich nicht ein mal richtig zugehört habe.
"Also dann Mrs. Gear. Man sieht sich!"

"Ja, mach es gut."

Hinter ihrer Wohnungstür höre ich schon Schmusi eins, zwei, drei und vier jaulen. Schlimme Viecher sind das. Ich frage mich eh wie die überhaupt überleben. Ich glaube, die haben noch nie in ihrem Katzenleben Sonnenlicht gesehen.

Ich beschleunige meinen Schritt nach oben in den fünften Stock.
Der ekelhafte Geruch der Treppenhauses hängt noch in meiner Nase, als ich meine Wohnungstür öffne.

Ich laufe in meine Küche und schmeiße meine Tasche auf den Stuhl am Esstisch.
Jetzt brauche ich erstmal was zu essen. Der Blick in den Kühlschrank zeigt mir, dass ich genügend Joghurt gekauft habe, um eine ganze Woche davon zu leben.
Joghurt ist gerade das einzige,  was ich überhaupt essen kann.

Mit meinem Joghurt bewaffnet gehe ich also in das anliegende Wohnzimmer und schmeiße mich auf das Sofa.

Endlich Wochenende. Endlich wieder Kawa ohne Zeitdruck. Endlich wieder frei sein.

Frei ist mein Stichwort. Nachdem ich fertig mit essen bin, lese ich meine Tüte vom Wohnzimmerboden auf.
Ich muss nicht lange wühlen, um das zu finden, was mein Herz gerade begehrt.

Und wieder steigt mir der wundervolle Geruch in die Nase.
Der Geruch von Gras.

Aus Seiner Linken HosentascheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt